Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Rigas Ausschuss für Denkmäler will weitere Demontage sowjetischer Erinnerungsorte
04.03.2023


Auch Puschkin soll verschwinden

Puschkin-Statue vor der Rigaer Kongresshalle, Foto: Neaizsargâts darbs, Saite

 “Der Abriss von Denkmälern ist eine sehr aufregende Sache. Dann macht sich bei allen der Hormonspiegel bemerkbar. Je mehr abgerissen wird, desto mehr will man. Wer hat noch nicht, wer will noch mal?” sagte Glebs Pantelevs, ein Bildhauer, der Mitglied des Rigaer Ausschusses für Denkmäler ist, der LSM-Reporterin Zanda Ozola-Balode (lsm.lv). Sie berichtete am 3. März 2023 über die hitzige dreistündige Debatte im Gremium der Stadt Riga, in dem neben Stadtabgeordneten Künstler, Historiker und Stadtplaner vertreten sind. Sie beschlossen, dem Stadtrat die Demontage weiterer Denkmäler vorzuschlagen, die in sowjetischer Zeit aufgestellt wurden, unter ihnen die große Statue von Andrijs Upits vor der Kongresshalle.


Upits ist ein prominenter Name der lettischen Literaturgeschichte. Er war ein vielseitiger Schriftsteller und Dichter, der die soziale Situation der armen Bevölkerung in seinen Werken darstellte. 1905 beteiligte er sich an den revolutionären Aufständen und der sozialistischen Bewegung. In der Zeit der lettischen Unabhängigkeit kam er vorübergehend ins Gefängnis; während der nationalistischen Ulmanis-Diktatur waren seine Bücher verboten. Viele verübeln ihm, dass er sich nach der Okkupation Lettlands durch die Rote Armee am 30. Juli 1940 mit 19 weiteren Abgeordneten des lettischen Volksrats nach Moskau begab. Dort “baten” sie, Lettland in die Sowjetunion aufzunehmen.


Die Ausschussmitglieder setzten weitere Namen auf ihre Streichliste: Den in Riga geborenen Mathematiker Mstislaw Keldysch, der sich am Weltraumprogramm und der Entwicklung von Atombomben für die Sowjetunion beteiligte, die Schriftstellerin und Kommunistin Anna Sakse, den Schriftsteller und Deutschlehrer Sudrabu Edzus, der sich für ein Leben in der Sowjetunion entschied und als einer von wenigen Letten den großen stalinistischen Terror überlebte, und den Historiker Janis Zutis, der zur sowjetischen Zeit Mitglied der lettischen Akademie der Wissenschaften war.  


“Das waren Menschen, die nicht einfach Kollaboranten gewesen waren, sondern jene, die aktiv die Okkupation Lettlands durchsetzten,” meint Ausschussmitglied Didzis Senbergs, der zugleich ein Vertreter des Zentrums für öffentliche Erinnerung ist. Die Stadtabgeordnete Rita Eva Naseniece, Politikerin der Partei Vienotiba, betrachtet die Aktion als großen Hausputz: “Wir reinigen unser Haus und gestalten es so, wie wir es in Zukunft sehen wollen.” Selbst das Denkmal für Alexander Puschkin, der 1837 starb, soll aus Riga verschwinden. Das begründet Maris Micerevskis, der ein Mitglied der neu gebildeten Fraktion “Kods Rigai” im Stadtrat ist, auf folgende Weise: “Die Sache ist die, dass keines dieser Denkmäler sich in Riga befände, wenn Lettland nicht durch die Sowjetunion okkupiert worden wäre.”


Miroslavs Mitrofanovs, ein Stadtabgeordneter der Russischen Union Lettlands, vertrat die Minderheitenposition im Ausschuss: “Wenn die Kollegen vom Hausputz reden, sehe ich hier keinen Hausputz. Unsere Geschichte ist wie ein Buch, aus welchem wir versuchen, einige Seiten herauszureißen. In 100 Jahren wird irgendeine andere Macht zu uns kommen und die Nationalbibliothek oder andere Objekte abreißen.”


Seit dem Einmarsch der russischen Armee sind Lettlands sowjetische Denkmäler in der Debatte. Laut Saeima-Beschluss vom 16. Juni 2022 wurden Denkmäler entfernt, die das sowjetische oder nazistische Regime “rühmten”. In der Praxis betraf es lediglich sowjetische Erinerungsorte, u.a. die antifaschistischen Siegesdenkmäler in Riga und Daugavpils. Über den jüngsten Vorschlag des Denkmalausschusses muss nun der Rigaer Stadtrat abstimmen.


Udo Bongartz




 
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