Latvieðu Centrs Minsterç

   

Größte Oppositionspartei im lettischen Parlament spaltet sich
03.02.2008


Logo Jaunais laiks

 

In Lettland, der mittleren der drei baltischen Republiken, haben vier Parlamentsabgeordnete und über 20 Kommunalpolitiker am 31. Januar ihren Austritt aus der liberalkonservativen Partei Neues Zeitalter (Jaunais Laiks, JL) erklärt. Unter ihnen: Ex-Außenministerin Sandra Kalniete, Fraktionschef Karlis Sadurskis und der ehemalige Bürgermeister der Hauptstadt Riga, Aivars Aksenoks. Damit spaltet sich die größte Oppositionspartei des lettischen Parlaments, der Saeima. Kommentatoren werten die Parteikrise allerdings auch als Chance, nach der "Regenschirmrevolution" im letzten Herbst neue politische Alternativen zu entwickeln.

S. Kalniete leitete den JL-Regionalrat. Sie spürte die Stimmung in den Ortsverbänden, deren Vertreter sich von der Parteispitze vernachlässigt und unterfinanziert sahen. Vor den nächsten Kommunalwahlen schien ihr der Partei ein "tödlicher Schlag" versetzt. Daraus zog sie die Konsequenz, zusammen mit den Kommunalpolitikern die Partei zu verlassen. Im Gegensatz zu den Regierungsparteien erhält JL keine Unterstützung von den ebenso einflussreichen wie umstrittenen "Oligarchen" des Landes – sieht man einmal von einer vergleichsweise kleinen, in ihren Details jedoch fast komischen Affäre um die schwarze, mit Geldern des örtlichen Fleischkombinats gefüllte Kasse der Parteigliederung im ostlettischen Rezekne ab.

 

Sitzungssaal der Saeima
Sitzungssaal der Saeima. Photo Latvijas Saeima

A. Aksenoks nannte der Tageszeitung Diena folgende Ursachen, die die von Beobachtern schon länger prognostizierte Spaltung bewirkten: Eine Partei bestehe zunächst einmal aus Personen. Falls zwischen ihnen Gerede, Missgunst und Intrigen vorherrschten, schwäche das natürlich die Gruppe. In der letzten Zeit sei die Partei von Apathie beherrscht worden, die es nicht erlaube, weiterhin konstruktive Politik zu betreiben.

 

Im letzten Herbst hinterließen JL-Politiker im Zuge der "Regenschirmrevolution" einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits mischten sie sich in Schnee und Regen vor der Saeima unters Volk, um in den größten Demonstrationen seit der Unabhängigkeit 1991 Parlamentsauflösung und Neuwahlen zu fordern. Andererseits verhandelten JL-Vertreter mit den Regierungsparteien, um zusammen ein neues Kabinett zu bilden. Schließlich blieb Jaunais laiks in der Opposition. Genau dies macht S. Kalniete ihren einstigen Weggefährten nun zum Vorwurf: "Es war ein Fehler, nicht in die Regierung einzutreten". Während die Bevölkerung gegen Korruption, Inflation und die soziale Misere protestierte, schien die größte Oppositionspartei strategisch zerstritten. Die liberalkonservative JL, die am 2. Februar ihr sechsjähriges Bestehen feiert, will sich als Antikorruptionspartei profilieren. Ihr ehemaliger Parteivorsitzende Einars Repse war von 2002 bis 2004 Regierungschef. In dieser Zeit wurde auch die Antikorruptionsbehörde KNAB gegründet, die seither im Kampf gegen die "Oligarchen" einige spektakuläre Erfolge verbuchen konnte. Nicht zuletzt die von der alten und neuen Regierung versuchte Absetzung von KNAB-Chef Aleksejs Loskutovs war Anlaß für die "Regenschirmrevolution". Der Spagat zwischen dem populistischen Anspruch einer „Saubermann“-Partei und der verweigerten politischen Verantwortung hat Jaunais laiks nun zerissen. Politische Beobachter betrachten die Spaltung freilich auch als Chance.

Die Expertin des politikwissenschaftlichen Zentrums Providus, Iveta Kazoka, kommentierte gegenüber der Nachrichten-Agentur LETA zuversichtlich: "Meiner Ansicht nach ist diese Spaltung das Beste, was mit dieser Partei geschehen kann. Es war schon seit längerer Zeit klar, dass JL in der jetzigen Gestalt und in diesem Zustand keine Zukunft hat. Dies bezeugt die vergleichsweise niedrige Popularität, an der sich auch dann nicht viel änderte, als die Koalitionsparteien ihren Rückhalt in der Gesellschaft verloren. Die JL war schlaftrunken, wechselseitige Intrigen zerfraßen die Oppositionspartei, welche im großen Maß ihr politische Tatkraft einbüßte." Jetzt könne sich der Rest der Partei stabilisieren und die Abtrünnigen eine neue politische Heimat finden. Derzeit wird spekuliert, ob S. Kalniete mit dem nationalkonservativen Politiker Girts Valdis Kristovskis eine neue Partei gründet. Andere könnten zur Initiative "Für eine andere Politik"von Aigars Stokenbergs stoßen, der eine linksliberale, an skandinavischen Vorbildern orientierte Alternative befürwortet. Sitz des lettischen ParlamentsDie Herbstproteste haben offenbar nicht nur einen Austausch des Regierungschefs bewirkt. Jetzt steht – wieder einmal - ein Umbruch im lettischen Parteienspektrum bevor. Ob dieser Alternativen zum wirtschaftsliberalen Kurs der Regierung aufzeigt, muss sich erst erweisen. Bislang diskutiert das politische Establishment vorwiegend strategisch und machtpolitisch, dabei kommt die Debatte um Inhalte eher zu kurz.

- Udo Bongartz -

Sitz des lettischen ParlamentsPhoto: Latvijas Saeima

 




 
      Atpakaï