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Aivars Lembergs "Stipendiaten": Die lettische Art politischer Landschaftspflege
15.12.2009


Lembergs schaut selten so grimmig.Präsidentin Vaira V??e-Freiberga warnte am Ende ihrer Amtszeit die Abgeordneten der lettischen Saeima: Ein Damokles-Schwert hänge über ihnen. Dies könnte auf jene Parlamentarier herabfallen, die in Korruption und Vetternwirtschaft verwickelt sind. Doch der Faden, an dem dieser Dolch über das politische Establishment schwebt, erwies sich bislang als erstaunlich stabil. Nun sorgt eine Liste mit Partei- und Politikernamen erneut für Aufsehen. Demnach soll der Oligarch von Ventspils, Aivars Lembergs, geheime Zahlungen an Abgeordnete geleistet haben. Über dieses Dokument wird schon seit Jahren spekuliert. Nun aber bestätigte der lettische Generalstaatsanwalt  J?nis Maiz?tis am 4.12.09 in einem Interview mit Latvijas Radio, dass Abgeordnete illegal als sogenannte “Stipendiaten” gesponsort wurden. Lembergs hingegen bestreitet weiter, solche Zahlungen geleistet zu haben und forderte Maiz?tis auf, die fragliche Liste zu veröffentlichen.

Aivars Lembergs, Unternehmer und Bürgermeister von Ventspils, hat großen Einfluss auf die lettische Politik. Foto: http://lettland.blogspot.com

Ein Teil der Geldempfänger habe den Vorgang im Prinzip bestätigt, so der oberste Strafverfolger Lettlands. Zwei Jahre lang hatte er den Fall untersucht. Von Anfang an hatte er erklärt, dass sein Verdacht sich auf vorliegende Papiere stütze. Die Staatsanwaltschaft befragte, soweit bekannt wurde, mindestens 15 Politiker. Die Ermittlungen verzögerten sich, weil Personen, die über den Geldfluss Bescheid wüssten, die Zusammenarbeit verweigerten, doch dies könne sich bis zu den nächsten Wahlen ändern. Außerdem seien die Zahlungen verschlüsselt erfolgt, weder Zahler noch Empfänger unmittelbar zu erkennen.

Das TV-Politmagazin  Nek? person?ga des Privatsenders TV3 wies schon im letzten Jahr auf die Existenz solcher Listen hin. Demnach habe Lembergs möglicherweise geheime Überweisungen sowohl an Parteien als auch an einzelne Politiker getätigt. Die Journalisten verdächtigten  den Bürgermeister und Unternehmer von Ventspils, von 2002 bis 2004 mehr als drei Millionen US-Dollar aus schwarzen Kassen auf diese Art genutzt zu haben.

Dieses Buch sorgte 2006 für Wirbel. Rigas größte Buchhandlung boykottierte seinen Verkauf.

Die investigativen Journalisten Lato Lapse und Kristine Jancevska beschäftigten sich in diesem Buch mit den Schattenseiten des Multimillionärs, dessen Aufstieg bereits in sowjetischer Zeit begann; der Titel des Buchs lautet: "Wer ist Lembergs? Der Weg des Bürgermeisters von Ventspils zum Geld und zur Macht." Foto: UB

Die Tageszeitung Diena publizierte am 4.12.09 Auszüge aus den besagten Listen. Ein Eintrag lautet beispielweise: „LSDS +LSDSP 498 250, ZS (7000 Ls), LZS (11 200 Ls).” Welche Bedeutung diese Notizen konkret haben, werden die Juristen entscheiden müssen. Auffallend hoch ist die Zahl, die offenbar mit den Abkürzungen für die lettischen Sozialdemokraten (LSDSP=Latvijas Soci?ldemokr?tisk? Str?dnieku Partija, Lettlands Sozialdemokratische Arbeiterpartei) verbunden ist. Doch gerade hier fehlt eine Währungsangabe. Die lettischen Sozis gelten seit Jahren als korrumpiert. Vor einigen Jahren publizierten die Medien einen Vertrag, der ihre Zusammenarbeit mit Unternehmern belegte. Auch Lembergs geriet in den Verdacht, mit den Sozialdemokraten verhandelt zu haben. Aber seine Unterschrift fehlte auf dem Dokument. Dem lettischen Wähler bietet die traditionsreiche LSDSP keine glaubwürdige Alternative mehr zu den sich abwechselnden liberalkonservativen Regierungsparteien. Seit 2002 konnte sie die Fünf-Prozent-Hürde bei Saeima-Wahlen nicht mehr überwinden.

Seit langem steht die sich mit einem grünen Anstrich zierende Bauernpartei unter dem Verdacht, sich vom Brot des Oligarchen zu nähren. So wundert es nicht, in den sogenannten Lembergs-Listen entsprechende Abkürzungen zu finden: dabei könnte “ZS” für Zemnieku Savien?ba und “LZS” für Latvijas Zemnieku Savien?ba/ Lettlands Bauernunion" stehen. Die in den letzten Jahren stets mitregierende Bauernpartei, die seit 2002 ein Bündnis mit den lettischen Grünen bildet, gilt als Lembergs langer Arm im Parlament. Sie stellte ihn bei den letzten Saeima-Wahlen 2006 noch als Spitzenkandidaten auf, als die Staatsanwaltschaft ihren mutmaßlichen Gönner bereits wegen Korruption, illegalen Gelderwerb und Amtsmissbrauch anklagte. Später kam “der Engel von Ventspils”, wie ihn seine Fans verehren, sogar zeitweilig in Untersuchungshaft. Das Stichwort “Dollarzahlungen” erinnert an die Affäre des LZZ (Za?o un Zemnieku Savien?ba/ Vereinigung der Grünen und Bauern) -Politikers Indulis Emsis. Dieser trat 2007 vom Posten des Parlamentsvorsitzenden zurück. Ein Koffer mit mehreren Tausend Dollar, den er im Restaurant des Regierungskabinetts stehen ließ, hatte ihn in Erklärungsnot gebracht.

 

Die livländische Ordensburg in Ventspils

Lembergs ist seit 1988 Bürgermeister von Ventspils. In seiner Ära verwandelte sich die Hafenmetropole vom hässlich ölverschmierten Entlein in den stolz herausgeputzten Schwan unter den lettischen Städten. Die Einwohner der Stadt danken ihm diese Entwicklung und verhalfen seiner Lokalpartei bislang stets zur absoluten Mehrheit im Stadtrat. Foto: "Algirdas" auf Wikimedia Commons

Der medienerfahrene Multimillionär Lembergs weist alle Beschuldigungen strikt von sich. Am 14.8.08 erklärte er gegenüber der Nachrichtenagentur LETA die Gerüchte über seine Stipendiaten als “allerreinste Propaganda”:

“Ich verstehe, dass im Fernsehen den Menschen drei Seiten Text gezeigt werden und man behauptet, diese geben Lembergs Stipendiate wider. Dies hätte eine Hausdurchsuchung bei mir am Ende des Jahres 2006 ergeben. Das sind absolute Lügen. Bei mir wurde die Hausdurchsuchung am 20.7.06 durchgeführt, und das ist nicht das Jahresende. Offensichtliche Lügen.”

Und der mutmasslich reichste Bürger Lettlands holte weiter aus: "Soweit ich verstehe, ist auf diesen Seiten von Stipendiaten keine Rede. Dort sind irgendwelche Tabellen. irgendetwas Beliebiges, dass jeder, der nicht faul ist, fabrizieren kann, und jeder, der nicht faul ist, kann fantasieren, was die eine oder andere Bezeichnung bedeutet. Es ist unbezweifelbar, dass das nicht meine Listen sind. Das sind nicht die Listen meiner Stipendiaten.”

Lembergs interpretiert solche und ähnliche Anschuldigungen nicht nur als Propaganda des politischen Gegners, sondern er vermutet dahinter eine internationale Verschwörung, deren Fadenzieher der US-amerikanische Multimilliardär George Soros sei. Auch manche Kommentatoren in lettischen Gazetten unterstützen Lembergs Sicht der Dinge. Demnach scheint es ein wichtiges Ziel des geläuterten Investmentbankers zu sein, der sich zum Kritiker der neoliberalen Ideologie mauserte, in Lettland die wirtschaftliche und politische Macht zu erobern und dabei Lembergs ins Verderben zu stürzen. Tatsächlich könnte dem lettischen Oligarchen eine Institution Soros` gefährlich werden: Die Soros Foundation finanziert in Lettland unter anderem DELNA, einen Ableger von Transparency International, der Berliner Nichtregierungsorganisation, die weltweit gegen Korruption angeht. Auch der Magnat aus Ventspils befindet sich im Fadenkreuz der Korruptionsbekämpfer.

Inzwischen reagierte Lembergs auch auf das Radio-Interview des Generalstaatsanwalts. Er forderte ihn auf, öffentlich zu bestätigen, dass er im Besitz der besagten Listen sei, aus denen er unmissverständlich als Sponsor hervorgehe.

Der Hafen von Ventspils

Die Quelle des Reichtums der Stadt ist das Erdöl, das hier von Russland kommend auf Tankern verladen wird. Foto: Neva Micheva auf Wikimedia Commons

Aber auch Lembergs` Kritiker legen nach. Am 12.12.09 publizierte die Tageszeitung Diena ihren neuen Zwischenstand: Nun schätzen die Journalisten die Summen, die bis 2006 gezahlt wurden, auf sieben Millionen US-Dollar. Betroffen seien Parteien und einzelne Politiker, die monatlich Zahlungen in der Höhe eines Gehalts erhalten hätten. Betroffen ist vor allem die Vereinigung der Grünen und der Bauern. Ihr Vorsitzender Augusts Brigmanis stellt sich aber gegenüber der Presse ahnungslos.

Die Zahlungen seien von zwei Firmen aus Liechtenstein überwiesen worden. Eine von ihnen habe der Unternehmer Laimonis Junkers geleitet, der als “Lembergs` Kassierer” galt. Um einem Gerichtsverfahren in anderer Sache zu entgehen, verschwand er 2007 aus Ventspils. Nun wurde bekannt, dass dieser wichtige Zeuge Anfang Oktober in Paraguay mit 55 Jahren verstorben ist

Ein weiterer wichtiger Zeuge, der Chef der kurländischen Firma Ventamonjaks und ZZS-Parteimitglied,  Krists Skuja, der sich ebenfalls “nah am Geldstrom” befunden haben soll, starb im Februar im Alter von 65 Jahren. Journalisten der Diena fanden heraus, dass das Geld aus Transitgeschäften mit dem Ölhandel stamme. Der Hafen von Ventspils ist ein bedeutender Verladeort für russisches Erdöl.

Nachdem die Ermittlungen und der Gerichtsprozess gegen Lembergs sang- und klanglos im Sande zu verlaufen schienen, könnten nun die weiteren Verhandlungen wieder spannend und für so manchen Parlamentarier ungemütlich werden.

 

Weiterer LP-Artikel zum Thema:

Der Streit der Oligarchen mit der Staatspräsidentin und Lembergs in der Haftzelle

 

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