Lettland: Wahl der 11. Saeima
17.09.2011
Erstmals seit 1991 findet in Lettland nach einem Volksentscheid eine vorgezogene Neuwahl der Saeima statt. Die Legislaturperiode des letzten Parlaments dauerte gerade mal ein Jahr. Beobachter zweifeln, ob der erneute Gang zur Urne tatsächlich größere politische Veränderungen bewirkt. Immerhin verzichteten die Propagandisten diesmal darauf, ethnische Konflikte zwischen Letten und Russen zu schüren. Eine Neuheit ist die Zatleru Reformu partija (Zatlers Reformpartei, ZRP), die der vormalige Staatspräsident Valdis Zatlers im Juli gründete. Er hatte im Frühjahr den Beschluss gefasst, die Parlamentarier zu entlassen, weil sie sich weigerten, die Immunität ihres Kollegen Ain?rs Šlesers aufzuheben. Danach wählten die Abgeordneten Zatlers als Staatsoberhaupt ab. Die Antikorruptionsbehörde KNAB hatte gerade Šlesers` Haus durchsucht und benötigte die Genehmigung der Gesetzgeber. Der Kampf gegen Oligarchen wie Šlesers prägte die Diskussionen und Aktionen des Sommers. Die letzte Wahlprognose sieht das Mitte-Links-Bündnis Saska?as Centrs (Zentrum der Eintracht, SC) vorn. Die Partei des Ministerpräsidenten Valdis Dombrovskis, die im Vorjahr Wahlsieger war, kommt demnach nur noch auf den dritten Platz.
Auch diesmal verstopfte die Wahlpropaganda lettischer Parteien die Rigaer Briefkästen, Foto: LP
Saska?as Centrs vorn
Die Demoskopen von Latvijas Fakti ermittelten vom 10. bis 15. September folgende Wählerentscheidung: Demnach kommt das auf die russischstämmige Wählerschaft zielende oppositionelle SC auf 21,2 Prozent, Zatlers` ZRP auf 15,3 Prozent, Dombrovskis` Vienot?ba (Einigkeit) auf 15,1 Prozent. Die Za?o un Zemnieku Savien?ba (Union der Grünen und Bauern, ZZS), die enge Beziehungen zum Oligarchen aus Ventspils, dem Bürgermeister Aivars Lembergs unterhält, erreicht 9,6 Prozent. Die zweite Oligarchenfraktion, die sich nun in Šlesera Reformu partija (Slesers Reformpartei) unbenannt hat, dürfte mit prophezeiten 2,9 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde deutlich verfehlen. Den Nationalkonservativen, die diesmal auf aggressive Polemik gegen die russischstämmige Minderheit verzichteten, werden 6,6 Prozent vorhergesagt. Die Wahlforscher ermittelten einen Anteil von 14,1 Prozent, der sich für keine Partei entscheiden wollte.
Premier Valdis Dombrovskis, Foto: http://politik.in2pic.com auf Wikimedia Commons
Streitthema Oligarchie
Der Kampf gegen die lettische Oligarchie dürfte demnach teilweise erfolgreich sein. Šlesers Partei wäre nicht mehr vertreten. Allerdings ist seine Fraktion auch in der noch amtierenden Saeima mit nur acht von hundert Parlamentssitzen nicht an der Regierung beteiligt, Lembergs` ZZS hingegen schon, sie ist der kleinere Koalitionspartner. Das Streitthema Oligarchie spaltet die lettische Bevölkerung: Auch Lembergs hat seine Fans, in der prosperierenden Ölhafenmetropole Ventspils ist er seit Jahrzehnten Bürgermeister. Der Streit um ihn und andere Businesspolitiker sind eher als Symptom und weniger als Ursache der sozialen Probleme des Landes zu werten. Die Polemik gegen die Oligarchen eint die vermeintlich `sauberen` Mitte-Rechts-Parteien Vienot?ba, ZRP und die Nationalkonservativen. Sowohl Vienot?ba als auch ZRP setzen auf wirtschaftsliberale Konzepte: Einheitssteuern und das stetige Hoffen auf die nächste Konjunktur. Tatsächlich konnte Dombrovskis` Regierung die finanzielle und wirtschaftliche Lage seines Landes stabilisieren, nach tiefer Rezession sind wieder Wachstumsraten und steigende Exporterlöse zu verzeichnen. Doch diese reichen bislang nicht, um die anhaltende Abwanderung zu stoppen und Jugendlichen eine Perspektive im Heimatland zu schaffen.
Der jugendlich wirkende SC-Politiker Nils Ušakovs ist Bürgermeister von Riga und Vorsitzender des SC-Parteienbündnisses, Foto: Laurijs Svirskis auf Wikimedia Commons
Ušakovs koalierte mit Šlesers
Schon vor der letzten Wahl wurde dem SC ein Wahlsieg vorher gesagt, doch das Mitte-Links-Bündnis, dem viele lettische Wähler misstrauen, wurde nur zweitstärkste Fraktion. Das Parteienbündnis des populären Rigaer Bürgermeisters Nils Ušakovs propagiert eine gerechtere Sozialpolitik und die Einführung der progressiven Einkommenssteuer. Dies dürfte auch ein größerer Teil der lettischen Wähler befürworten. Aber nach wie vor ist der ethnische Graben, der sich im Sprachenstreit und in gegensätzlichen Geschichtsinterpretationen zeigt, nicht überwunden. Gegenüber den Oligarchenparteien zeigt sich ausgerechnet das SC weniger abweisend: In Rigas Stadtrat schloss Ušakovs mit Šlesers` Partei eine Koalition. Die Wahllokale schließen gegen 22 Uhr, mit ersten Ergebnissen wird nach Mitternacht gerechnet. Etwa 1,5 Millionen Bürger sind stimmberechtigt.
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