Lettland: Saeima-Abgeordnete wählen Ex-Banker Andris B?rzi?š zum neuen Staatspräsidenten
02.06.2011
Der Machtkampf zwischen dem Staatsoberhaupt Valdis Zatlers und der Saeima tobt in zweiter Runde. Nachdem Zatlers am Samstagabend kurz vor dem Ende seiner Amtszeit seinen Beschluss verkündete, das Parlament aufzulösen, verweigerten die Abgeordneten ihm am Donnerstag die Wiederwahl. Stattdessen erhielt der Kandidat der Za?o un Zemnieku savien?ba (Union der Grünen und Bauern, ZZS) mit 53 Stimmen die Mehrheit. Der ehemalige Chef der Unibanka gilt als Repräsentant des Establishments und Oligarchen-Vertrauter. Etwa 100 Jugendliche protestierten am Donnerstagabend vor dem Parlamentsgebäude in Riga.
Turbulente Wochen im lettischen Abgeordnetenhaus, der Saeima in Riga. Die 10. Legislaturperiode währt erst seit letzten Oktober. Dennoch droht der jetzigen Zusammensetzung der Volksvertretung das vorzeitige Ende, Foto: LP
Er habe sich zur Kandidatur entschlossen, um zu verhindern, dass sich der gegenwärtige Präsident in weißrussischer Art an der Macht halte, meinte B?rzi?š. Doch Zatlers Entscheidung, die Abgeordneten zu entlassen, ist nach der lettischen Verfassung möglich, wenn später darüber ein Referendum stattfindet. Letztlich entscheiden am 23. Juli die Wahlbürger, ob die 10. Saeima tatsächlich ihr frühzeitiges Ende findet. Diese Aktion machte Zatlers bei den Parlamentariern offenbar so unbeliebt, dass sie ihm die Wiederwahl verweigerten. Es überrascht nicht, dass gerade die ZZS einen eigenen Kandidaten benannte. Seit Jahren überprüft der lettische Generalstaatsanwalt den Verdacht, ob ZZS-Abgeordnete illegal Gelder vom Oligarchen Aivars Lembergs kassieren. Gegen den Bürgermeister und Multimillionär von Ventspils wird ebenso seit Jahren wegen Korruption und Geldwäsche ermittelt. Offensichtlich votierte auch die Fraktion Par Labu Latviju (Für ein gutes Lettland, PLL) gegen Zatlers. In ihren Reihen sitzen die beiden weiteren Oligarchen des Landes, Ex-Minister Ain?rs Šlesers und Ex-Regierungschef Andris Š??le. Gemeinsam mit Lembergs gerieten sie jüngst ins Fadenkreuz von Ermittlern der Antikorruptionsbehörde KNAB. Als die Saeima-Mehrheit letzte Woche beschloss, den Fahndern eine Hausdurchsuchung bei Šlesers nicht zu genehmigen, zeigte sich Zatlers zum Handeln entschlossen.
Auch Abgeordnete des russisch und sozialdemokratisch orientierten Saska?as Centrs (Zentrum der Eintracht, SC) stimmten offenbar für B?rzi?š bzw. gegen Zatlers. Das SC bezieht Geld aus fragwürdigen Quellen und steht im Verdacht, hinter den Kulissen vertrauliche Kontakte mit den Oligarchen zu pflegen. Dagegen bekundeten Vertreter der größeren Regierungsfraktion Vienot?ba (Einigkeit, V) und die Nationalkonservativen ihre Sympathien für Zatlers. Allerdings meldete das Webportal pietiek.com, dass auch V -Abgeordnete Zatlers Entschluss insgeheim missbilligen. V-Regierungschef Valdis Dombrovskis hingegen zeigte sich enttäuscht von der Abstimmung und ist der Ansicht, dass die Parlamentarier nicht dem Willen der Bevölkerung entsprochen haben. Ebenso kritisch äußerte sich die Ex-Präsidentin Vaira V??e-Freiberga: Das sei nicht der Beginn eines neuen Zeitabschnitts, sondern gehörige Schritte zurück in die Oligarchen-Abhängigkeit. Ähnlich skeptisch kommentierten die V-Politikerinnen Solvita ?bolti?a und Sarm?te ?lerte diese Wahl auf delfi.lv. ?bolti?a sieht den Staat in einer rechtlichen und moralischen Krise, ?lerte betrachtet das Votum für B?rzi?š als Sieg der Oligarchen.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur LETA wurde B?rzi?š 1944 in N?taure, einem Ort südlich von C?sis, geboren. Er schloss 1988 sein Studium an der Wirtschafts-Fakultät der Lettischen Universität ab. Danach arbeitete er unter anderem als Chef der Privatisierungsabteilung der Lettischen Nationalbank, war Vorstandsvorsitzender des privaten Geldinstituts Unibanka, wurde später Präsident der Lettischen Industrie- und Handelskammer und ist seit letzten Oktober ZZS-Abgeordneter. Pietiek.com brachte die für lettische Verhältnisse beträchtliche monatliche Pension von mehr als 4400 Lats (6189 Euro) ins Gespräch, die der zukünftige Staatspräsident vor allem seinem Einkommen als Ex-Chef der Unibanka verdankt. Damals saßen ebenso bekannte wie berüchtigte lettische Personen im Aufsichtsrat dieser Bank: Neben Aivars Lembergs und Andris Š??le u.a. auch der Jurist und rechtspopulistische Schriftsteller Andris Gr?tups. Sie sorgten dafür, dass B?rzi?š zwischen 1993 und 2003 ein Bankergehalt von insgesamt 1,2 Millionen Lats (1,7 Millionen Euro) bezogen hat. Ein solcher Staatsmann, der im Kreise Gleichgesinnter sich beträchtlichen Wohlstand verschaffte, wird es schwer haben, das Vertrauen der durch IWF-Sparmaßnahmen gebeutelten Bevölkerung zu gewinnen.
Am Donnerstagabend protestierten laut delfi.lv etwa 100 Jugendliche vor der Saeima in der Rigaer Innenstadt und riefen „Fort mit der Korruption“ und „Lembergs hinter Gittern“. Viele kamen mit Fahrrädern und trugen die lettische Nationalfahne mit Trauerflor. Sie forderten bereits den Rücktritt des gerade gewählten Präsidenten. Auch vor dem Rigaer Schloss, dem Sitz des Staatspräsidenten, versammelten sich Bürger. Zatlers kam mit seiner Ehefrau hinunter und bedankte sich für die Unterstützung. „Ich nehme kein Wort von dem zurück, was ich gesagt habe. Unser aller Verpflichtung ist es, unsere Einstellung in dem Referendum zum Ausdruck zu bringen, welches ich erlassen habe.“ B?rzi?š zeigt sich von der Kritik unbeeindruckt. Er wolle unabhängig von den Oligarchen agieren und mit harter Arbeit das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen.
Atpakaï