Lettland: Jahresrückblick 2013
28.12.2013
Lettland 2013 – das war die Wartezeit auf den Euro, der von den einen erwünscht, von anderen kritisiert wird. Das Jahr schien wie allenthalben in Europa politisch vor sich hinzudümpeln, doch im November wirbelte die Supermarkttragödie die Politik auf. Ministerpräsident Valdis Dombrovskis sah eine Mitverantwortung für den Dacheinsturz, bei dem 54 Menschen starben. Er trat zurück, ist nur noch geschäftsführend im Amt. Im neuen Jahr wird Lettland nicht nur eine neue Währung, sondern auch eine neue Regierung bekommen. Das Jahr 2013 war aus lettischer Perspektive durchwachsen, die wirtschaftlichen Verhältnisse wurden etwas besser, doch die sozialen Probleme bleiben gewichtig. Der Einsturz des Supermarktdachs führte Letten und Russen im Leid zusammen, doch zugleich schürt die Initiative, die den Abriss des sowjetischen Siegesdenkmals fordert, neue Konflikte. Eigentlich bedarf eine solch unentschiedene Lage umsichtige und mutige Entscheidungen, sowohl in Lettland als in ganz Europa. Bleibt zu hoffen, dass 2014 solche von den Verantwortlichen getroffen werden. Hier der Rückblick auf das Jahr 2013.
Lettische Politiker möchten Lettland zu einem vorbildlichen EU-Land machen, Foto: Saeima
Januar
Ist das Glas halb leer oder halb voll? Diese Frage stellt sich bei der Bewertung lettischer Verhältnisse ständig. Im Januar führte ein Artikel der New York Times den Letten vor Augen, wie unterschiedlich ihre Landsleute die wirtschaftliche Entwicklung einschätzen. Der Chef eines Architekturbüros verdient schon wieder recht gut, inszeniert sich als Selfmademan, der ohne staatliche Hilfen seine Familie durch die Krise brachte. Ein paar Etagen tiefer, in der Unterschicht, sehen Letten, die im eigenen Land nur prekäre Jobs ergattern, die Lage weniger rosig. Sie hoffen auf besser bezahlte Arbeit im westlichen Ausland. Die Regierung kümmerte sich beim letzten Jahreswechsel erst mal um das Oberschicht-Prekariat. Sie fand heraus, dass Vorstandsmitglieder in staatlichen Betrieben deutlich schlechter bezahlt werden als in anderen Ländern. Da konnten sich die lettischen Chefs auf internationalen Pool-Partys wohl gar nicht mehr blicken lassen, deshalb verdreifachten sich in der Neujahrsnacht ihre Gehälter. Ganz andere Probleme haben jene, die, in Europa geboren, nirgendwo eine Heimat finden, weil die Missgunst der Mehrheitsbevölkerung dies nicht zulässt. Die ARD zeigte im Januar die Dokumentation Wadim, das Porträt eines jungen Staatenlosen aus Lettland, der an seinem Geburtsort als „Okkupant“ und in Hamburg als „Asylant“ verunglimpft wurde. Sein Schicksal, an jedem Ort in Europa unerwünscht zu sein, endete mit seinem Freitod auf den Gleisen der Hamburger S-Bahn.
2013 war das Rudolfs-Blaumanis-Jahr. Der lettische Schriftsteller, der die deutsche Literatur bestens kannte, wurde 1863 in Vidzeme geboren, Foto: http://lv.wikipedia.org
Februar
Auch die Euro-Münze hat zwei Seiten und über sie erzählen Freunde und Gegner des neuen Geldes zwei sich widersprechende Geschichten. Das zeigte sich in der Parlamentsdebatte im Februar, in der die Pro-Euro-Regierung und die weniger begeisterte Opposition ihre Argumente austauschten. Für die Mitte-Rechts-Regierung ist der Euro ein Mittel, um Lettland mit Westeuropa stärker zu verbinden. Wirtschaftspolitisch sieht die Regierung vor allem Vorteile. Die Opposition und mit ihr der größte Teil der Bevölkerung sind weitaus skeptischer. Es sind nicht nur emotionale Vorbehalte wie der Verlust des Nationalsymbols Lats, die Kritiker gegen die Gemeinschaftswährung einwenden. Manche Ökonomen betrachten den Euro wie einen Sprengsatz. In ihm sind unterschiedlich starke Volkswirtschaften aneinandergekettet, wobei die schwächeren nun nicht mehr durch Abwertung ihre Wettbewerbsposition verbessern können, sondern nur noch durch niedrigere Löhne. Der Anteil der Niedriglohnjobs ist im EU-Vergleich in Lettland besonders hoch – und Niedriglohn bedeutet hierzulande weniger als drei Euro Stundenlohn. Ob der Euro das geeignete Mittel ist, um Lettlands dringendste Probleme, die ausgesprochen ungleiche Einkommensverteilung, miese Löhne, Erwerbslosigkeit, mangelhafte soziale Absicherung und Abwanderung in den Griff zu bekommen, wird von so manchem bezweifelt. Für die deutsche Exportindustrie ist der Euro dagegen ein willkommenes Mittel. Diesmal soll an deutschen Waren die Welt genesen. Und manchmal, wie im Fall Daimler, laufen die Geschäfte wie geschmiert. Aber so manches Importland hat schon die weiße Flagge gehisst.
März
Im Märzen spannt kein lettischer Bauer die Rösslein ein. Noch friert es in lettischen Gefilden. Da lockt der warme Kinosaal. Dort konnten die Zuschauer ein Werk des Regisseurs Janis Nords sehen. Sein Jugendfilm „Mama, ich liebe dich“ hatte zuvor einen Spezialpreis auf der Berlinale gewonnen. Der Film zeigt, wie in der Hektik und dem alltäglichen Stress das Wichtigste zu kurz kommt. Die Menschen haben keine Zeit mehr, Situationen richtig einzuschätzen und die richtigen Schlüsse zu ziehen. In der allgemeinen Überforderung passieren Irrtümer, so dass ein harmloser Streich die Hauptfigur, den Schüler Raimonds, zu immer verhängnisvolleren Untaten verleitet. Mit ihnen will er vor seiner Mutter seine Unartigkeit vertuschen. Dies macht ihn sogar zum Dieb und er riskiert, im kriminellen Milieu zu enden. Nach dem Abspann dieses Films stellt sich die Frage, ob wir im alltäglichen Getriebe, in der täglichen Schlacht um den Wohlstand, das Wesentliche überhaupt noch zu erfassen vermögen. Einer vermochte das gewiss. Der Dichter Imants Ziedonis. Er starb am 27.2. Regisseur Alvis Hermanis bezeichnete ihn als eine Person, mit der sich Außerirdische hätten treffen können, um friedlich Kontakt mit der Menschheit aufzunehmen. Zuviel Hektik, Betriebsamkeit und fragwürdige Effizienz-Kriterien – das sind auch Probleme der Psychiatrie, in der Medikamente missbraucht werden, um Patienten pflegeleichter zu machen. Ombudsmann Juris Jansons warf sozialen Betreuungszentren schwere Missstände vor. Der Hauptmangel solcher staatlichen Einrichtungen ist fehlendes Geld.
April
Im April knarrt das Eis. Dennoch zieht es noch so manchen Eisangler hinaus auf das gefrorene Meer. Vor der Küste Jurmalas knarrt es am Karfreitag gewaltig und plötzlich wandeln 223 Petrijünger auf abdriftenden Eisschollen. Sie wollten billig zum Karfreitagsmahl kommen, statt dessen bescheren diese Leichtsinnigen den lettischen Rettungsdiensten viel Arbeit. Rettungsboote, Schlepper und Hubschrauber eilen herbei. Ihnen gelingt es, alle zu retten. An der Daugava bereiten die tauenden Eismassen ebenfalls Probleme. Diese türmen sich an einigen Stellen haushoch und verstopfen den Fluss. Der Ort P?avi?as meldet Pegelhöchststände. Seitdem 1965 das Wasserkraftwerk gebaut wurde, stand hier das Wasser noch nie so hoch.
Mai
Der Tag der Arbeit sollte in diesen Zeiten eher als Trauer- denn als Feiertag begangen werden. Europa geht die Arbeit aus, besonders jungen Menschen droht eine düstere Zukunft. Die Arbeitsgesellschaft, die jeden Bürger, der nicht von Hause aus ein sattes Vermögen geerbt hat, zur Erwerbsarbeit verpflichtet, hat längst nicht jedem einen menschenwürdigen Job zu bieten. Nicht nur die Erwerbslosigkeit, auch die Beschäftigung zu miesem Lohn und miserablen Bedingungen gehört für immer mehr Arbeitnehmer zum Alltag. In der EU-Erwerbslosenstatistik nimmt Lettland inzwischen wieder einen unscheinbaren mittleren Rang ein. Seit dem ersten Höhepunkt der Finanzkrise hat sich die Arbeitslosigkeit von Höchstständen wieder auf ein niedrigeres Maß reduziert. Doch nicht nur neue Arbeitsplätze, auch die Abwanderung frustrierter Arbeitssuchender sorgte für Entlastung. Die Emigranten werden Lettland in Zukunft fehlen. Entsprechend skeptisch bewerten die verbliebenen Einwohner die Regierungsarbeit. Dombrovskis` Kabinett erhielt im monatlichen DNB-Umfrage-Barometer erneut schlechte Noten. Letten beurteilen die Leistungen ihrer Volksvertreter traditionell skeptisch. Sie klagen über die niedrigen Löhne und Renten, darüber, dass sie sich für einen hinreichend bezahlten Job im Ausland umschauen müssen. Von der „Erfolgsgeschichte“, die hiesige Kabinettsmitglieder der deutschen Presse erzählen, bleibt da wenig übrig. Die Gefahr ist groß, dass sich die Politikerverdrossenheit zur Demokratieskepsis ausweitet. Was nützen demokratische Spielregeln, wenn die soziale Ungleichheit sich immer mehr vergrößert, ein Teil der Bevölkerung nur noch mit prekären Jobs über die Runden kommt? Gerade die Unterschicht fühlt sich nicht mehr vertreten und scheut den Gang zur Wahlurne. Die lettischen Kommunalwahlen machten mit einer historisch niedrigen Beteiligung Schlagzeilen.
Juni
Lange trogen beschönigende Zahlen über die Dimension des Bevölkerungsschwunds hinweg. Doch die Volkszählung von 2011 ergab, dass Lettland deutlich weniger Einwohner zählt, als bis dahin öffentlich zugestanden wurde. Stets verzeichneten die Statistiker in den letzten Jahrzehnten mehr Aus- als Einwanderer, mehr Sterbefälle als Geburten. Die bereinigten Daten zeigen, dass die rigide Sparpolitik von 2009 noch mehr Einwohner zum Verlassen des Landes motiviert hat. Noch liegt die amtliche Bevölkerungszahl knapp über zwei Millionen. Kritiker halten sogar diese Angabe für geschönt. Auch ein historisches Bauwerk sorgte im Juni für miese Stimmung. Die Rigaer Burg, einst Sitz des Deutschen Ordens, heute Arbeitsstätte des Staatspräsidenten und Herberge des nationalen Geschichtsmuseums, geriet bei umfassenden Renovierungsarbeiten in Brand. Flammen aus dem Dachstuhl erhellten den Rigaer Nachthimmel. Zum Glück blieb das Museumsinventar größtenteils verschont. Journalisten kritisierten, dass Verantwortliche fahrlässig gehandelt hätten.
Die Gedenktafel für Siegfried von Vegesack wird enthüllt, Foto: LP
Juli
Lettland? „Ne neue Knabbermischung von Bahlsen oder watt?“ So höhnte einst Kabarettist Volker Pispers. Die meisten Deutschen haben den engen Bezug der eigenen Kultur zur lettisch-livländischen vergessen. Die 800 Jahre währende Geschichte der Deutschbalten ist im Geschichtsunterricht selten ein Thema. Einwanderer und Eroberer aus Norddeutschland bildeten lange Zeit die Oberschicht über lettische Leibeigene. Deutsch sprechende Barone bestimmten die livländischen Verhältnisse – im schlechten, aber auch im guten Sinne. Der deutsch-lettische Kulturverein Domus Rigensis will die historischen Gemeinsamkeiten zwischen Letten und Deutschen wieder ins öffentliche Bewusstsein bringen. In diesem Juli waren die Domus-Rigensis-Tage der Literatur gewidmet. Zentrales Thema waren Autoren, die zwischen den ethnischen Gruppen vermittelten. Zu ihnen gehörte Siegfried von Vegesack. Er beschrieb die soziale Trennung zwischen dem deutschen Adel und den lettischen Dienern. Aus seinem Werk dringt der Wunsch, eine Welt zu erleben, die ohne solche Trennungen auskommt. Der Höhepunkt des Julis bildete das Sängerfest, das wochenlang in Riga mit zahlreichen Konzerten und Veranstaltungen gefeiert wurde. Am Abschlusskonzert, bei dem sich mehr als 15.000 Sänger und Musiker auf der Bühne drängelten, nahm auch Bundespräsident Joachim Gauck teil.
August
Einst war Lettland ein wichtiger Industriestandort, nicht erst seit sowjetischen Zeiten. Bereits in der Ära des Zaren gingen Arbeiter in die Fabriken. Die Schlote rauchten in Riga, aber auch in der westlettischen Küstenstadt Liep?ja. Damals gründete ein deutscher Einwanderer hier ein Stahlwerk, das sich zum größten Arbeitgeber der Region entwickelte. Heute ist Metalurgs ein Restposten lettischer Schwerindustrie, der trotz Modernisierung in Schwierigkeiten geriet. Mangelnde Nachfrage auf den Weltmärkten trifft den Produzenten von Moniereisen besonders. Bereits am Jahresbeginn wurden die Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmens publik. Nur mit staatlichen Subventionen könnte Metalurgs erhalten werden. Schwierigkeiten machen auch die Aktionäre, die ihren Besitz nicht den Gläubigern überlassen wollen. Ohne Metalurgs ist die Zukunft Liep?jas kaum vorstellbar.
Das Design der Slow Revolution, Foto: LP
September
Auch wenn die Letten mit ihren Politikern unzufrieden sind, nach Revolution ist ihnen nicht zumute. Da überraschte der Titel des 5. Survival-Kit-Festivals: „Slow Revolution“. Die Veranstalter luden Aktionskünstler, die sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfinden. Sie provozieren, irritieren in der Öffentlichkeit. Der Russe Ilya Budraitskis beispielsweise traf sich mit den Angestellten eines Moskauer Luxuscafés. Er musste feststellen, dass sie die neoliberale Ideologie verinnerlicht hatten, so dass es ihnen gar nicht in den Sinn kam, sich gemeinsam und solidarisch gegen niedrige Löhne und Ausbeutung zur Wehr zu setzen. Die Künstler fühlen sich wie Aliens im öffentlichen Raum, wo die Menschen eine andere Sprache sprechen. Budraitskis und seine Mitstreiter sind bestrebt, die ideologischen Diskurse zu stören. Nur wer das allzu Selbstverständliche in Frage stellt, kann zu neuen Einsichten gelangen. Die Bundestagswahl war auch für lettische Journalisten ein Thema. Vertreter der Regierungspartei Vienot?ba lobten Angela Merkels Wahlerfolg. EU-Abgeordnete der CDU und der Vienot?ba sind in Straßburg Fraktionskollegen. Sie teilen gemeinsame wirtschaftspolitische Ansichten. Seit` an Seit` mit Angela Merkel und Wolfgang Schäuble fordern Premier Valdis Dombrovskis und Finanzminister Andris Vilks von den Südeuropäern die Erfüllung des harten Sparkurses, Vilks legte sogar einmal den Griechen nahe, aus der Eurozone auszutreten.
Lehrer protestieren vor dem Parlament in Riga, Foto: LIZDA
Oktober
Trotz vieler wirtschaftlicher und sozialer Probleme sind die Letten froh, seit mehr als zwei Jahrzehnten wieder in einem unabhängigen Land zu leben – frei von Deportationen und willkürlichen Verhaftungen, frei von ideologischen Denkschablonen und Zensur. Einige Mutige nutzten das Tauwetter der Gorbatschow-Zeit vor 25 Jahren, um die lettische Volksfront zu gründen. Diese richtete sich gegen die Dogmen der priviligierten Funktionäre und trat für politische Reformen ein. Bald setzten sich jene durch, die ein unabhängiges Lettland forderten. Der Austritt der baltischen Länder und der Ukraine aus der Sowjetunion bedeutete das Ende des „real existierenden Sozialismus`“, der die Menschen zu Objekten totalitärer Herrschaft degradiert hatte. Im Oktober trafen sich die ehemaligen Volksfront-Aktivisten in der Rigaer Kongresshalle, dort, wo vor 25 Jahren ihre Gründungsversammlung getagt hatte. Nicht allen ist die Umstellung auf die kapitalistischen Verhältnisse gelungen. Viele, die in sowjetlettischen Fabriken oder landwirtschaftlichen Kollektiven gearbeitet hatten, fanden im unabhängigen Lettland keine Arbeit mehr. Diese „verlorene Generation“ sucht ihr Lebensglück im Alkohol. Im Oktober geriet eine sogenannte „To?ka“ in die Schlagzeilen. So nennen Letten die Verkaufsstellen für illegal hergestellten Schnaps. Dieser war vergiftet, acht Menschen starben daran. Auch jene, die besser ausgebildet sind, beklagen die niedrigen Löhne. Lettische Lehrer gehören zu den schlecht bezahltesten Europas. Etwa 2000 Lehrer protestierten vor dem lettischen Parlament. Das staatliche Budget für 2014 billigt den Pädagogen weniger Lohnsteigerung zu, als der Bildungsminister zuvor in Aussicht gestellt hatte. Die Gewerkschaft LIZDA erwägt Streiks. Der Bildungsminister stritt sich mit dem Regierungschef. Dessen Kabinett scheint ohnehin uneins. Insbesondere die nationalkonservative Regierungsfraktion sorgte für Ärger. Premier Valdis Dombrovskis entließ deren Kulturministerin Žaneta Jaunzeme-Grende. Bald darauf werden die Rechten den Justizminister J?nis Bord?ns aus ihrer Partei ausschließen und seine Entlassung aus dem Kabinett fordern. Dombrovskis wird diesem Wunsch nicht entsprechen.
November
Dieser November wird in schmerzhafter Erinnerung bleiben. Die Tragödie von Riga-Zolit?de, bei der beim Einsturz eines Supermarkts 54 Menschen ihr Leben verloren, machte auch international Schlagzeilen. Die genaue Ermittlung der Baumängel wird noch Monate dauern. Journalisten recherchieren, ob mangelnde gesetzliche Vorschriften, Einsparungen an der falschen Stelle und skrupelloses Gewinnstreben die Katastrophe verursachten. Regierungschef Valdis Dombrovskis sprach von seiner Mitverantwortung und trat nach vier Jahren im Amt zurück. Solange hatte seit 1991 noch niemand das Land regiert. Der lettische Chef der Supermarktkette Maxima, die eine Filiale im Unglücksgebäude betrieb, wurde nach ignoranten Äußerungen entlassen. Bei aller Trauer bedeutete das Zolit?de-Unglück auch einen Lichtstreif: Niemand fragte beim Blick auf das zerstörte Gelände, ob die Opfer unter den Trümmern lettischer oder russischer Herkunft sind. Das Leid erzeugte Solidarität zwischen den Einwohnern und die oftmals kleinkarierten ethnischen Konflikte verloren ihre Bedeutung.
Dezember
Einige lettische Politiker hingegen versuchen, ethnische Spannungen zu eigenen Gunsten auszunutzen. Zu ihnen gehört der nationalkonservative Justizminister J?nis Bord?ns, der zuvor noch für seine Fachkompetenz gelobt wurde. Er fordert den Abriss des Siegesdenkmals in Riga-Pardaugava, das an den Sieg der Sowjetunion gegen Nazi-Deutschland erinnert. Es ist der zentrale Identifikationsort der russischsprachigen Minderheit und ein Ärgernis für die lettische Mehrheitsbevölkerung. Denn der Sieg Stalins bedeutete für die Letten die Fortsetzung totalitärer Herrschaft. Der populistische Vorschlag, der von mehr als 10.000 Unterschriften auf der Webseite manabalss.lv unterstützt wird, führt zu erneuten Spannungen mit Russland, das ein antifaschistisches Denkmal verleumdet sieht. Ein weiterer Gegenstand, der ebenfalls die Öffentlichkeit spaltet, ist bereits in den letzten Wochen des Jahres in Bank- und Postfilialen erhältlich: Die Letten können dort „s?kumkomplekti”, also Beginnersets erwerben, um mit dem Euro das Bezahlen zu üben. Denn diese Münzen werden ab dem Neujahrstag den Lats ersetzen. Und last not least: 2013 war auch das Jahr, in welchem sich die Rigenser darauf vorbereiteten, dass ihre Stadt im kommenden Jahr EU-Kulturhauptstadt sein wird. Gewiss gehört es zu den guten Vorsätzen der Lettischen Presseschau, von verschiedenen kulturhauptstädtischen Veranstaltungen zu berichten.
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