Lettland: Lehrer demonstrieren für bessere Gehälter
26.10.2013
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Diese Gewerkschaftsforderung müsste in einem Europa, das solidarisch wäre, selbstverständlich sein. Doch lettischen Lehrern wird sie wie Hohn in den Ohren klingen. Sie müssen mit einem Bruchteil des Verdiensts ihrer westeuropäischen Kollegen zurechtkommen. Für neu eingestellte Lehrer der Sekundarstufe I spreizen sich beispielsweise die Jahresgehälter zwischen armseligen 5.345 Euro/KKS in Rumänien und stattlichen 63.358 Euro/KKS in Luxemburg. Für lettische Lehrer herrschen beinahe rumänische Verhältnisse. Ihr Salär gehört zu den niedrigsten des Kontinents. Die Austeritätspolitik, mit der Lettland sich in die Euro-Zone spart, lässt keine größeren Lohnsteigerungen zu. Die Lehrergewerkschaft LIZDA konnte in Gesprächen mit zuständigen Politikern ihre Forderungen nicht durchsetzen. Am 24.10.2013 protestierten 2000 Lehrer vor dem Parlamentsgebäude, wo die Abgeordneten derzeit über das Budget für 2014 debattieren. LIZDA droht mit Streik.
Lehrer versammeln sich vor dem Parlament, um gegen die staatliche Lohnpolitik zu demonstrieren, Copyright: LIZDA-Foto auf plus.google.com
Abgeordnete mit Trillerpfeifen begrüßt
Bis zehn Uhr versammelten sich die Lehrer und Gewerkschafter vor der Saeima, dem Parlamentsgebäude in der Rigaer Innenstadt. Sie begrüßten die Abgeordneten mit Trillerpfeifen. Der Grund des Unmuts war auf Plakaten zu lesen: „Lehrergehälter für Politiker!“, „Die Krise ist beendet, rückt die Gehälter raus!“, „Erlaubt den Lehrern zu leben, nicht nur zu vegetieren!“ oder „Mit der Liebe zur Arbeit bezahlen wir keine Rechnungen!“ Auch Wissenschaftler beteiligten sich, auch sie werden in Lettland nur spärlich entlohnt. Drinnen sprachen Gewerkschafter mit Mitgliedern des Ausschusses für Bildung, Kultur und Forschung. Die Abgeordneten der Regierungsfraktionen zeigten Verständnis für den Unmut. Aber am 6.11.2013 werden sie für das umstrittene Budget stimmen, das den Pädagogen zwar eine Gehaltserhöhung ab dem 1.9.2014 zubilligt. Dann soll das minimale Monatsgehalt nach zehnjähriger Tätigkeit 295 statt 280 Lats betragen. Doch das ist der LIZDA (Latvijas Izgl?t?bas un zin?tnes darbinieku arodbiedr?bas/ Lettische Gewerkschaft der Beschäftigten in Bildung und Wissenschaft) zu wenig. Sie fordert ein Minimalgehalt von 310 Lats bzw. 442 Euro.
Lehrer wehren sich, auf einem Plakat steht geschrieben: "Lehrer sollen in Lettland Kinder unterrichten und nicht Hühner in Deutschland abpacken!", Copyright: LIZDA-Foto auf plus.google.com
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Jahresbruttodienstbezüge für ausgebildete Lehrer in Vollzeit, Sekundarstufe I, 2011/12 |
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Minimale Dienstbezüge in Euro-KKS |
Maximale Dienstbezüge in Euro-KKS |
Durchschnittl. tatsächliches Gehalt in Euro-KKS |
Bulgarien |
6 010 |
n.z. |
10 405 |
Tschechische Republik |
13 412 |
16 201 |
16 853 |
Deutschland |
42 873 |
56 864 |
: |
Estland |
10 308 |
15 066 |
13 446 |
Irland |
25 430 |
54 272 |
: |
Griechenland |
15 327 |
27 990 |
22 213 |
Spanien |
33 662 |
47 190 |
: |
Frankreich |
23 029 |
41 898 |
25 227 |
Italien |
24 141 |
36 157 |
28 257 |
Zypern |
29 614 |
64 839 |
: |
Lettland |
6 257 |
6 512 |
12 948 |
Litauen |
6 155 |
11 341 |
14 711 |
Luxemburg |
63 358 |
110 132 |
86 745 |
Österreich (AHS) |
29 074 |
61 181 |
52 308 |
Polen |
10 159 |
17 092 |
22 506 |
Portugal |
25 758 |
52 441 |
36 386 |
Rumänien |
5 345 |
14 205 |
9 775 |
Slowenien |
22 094 |
34 241 |
: |
Slowakei |
8 860 |
11 996 |
13 968 |
Finnland |
27 666 |
35 983 |
38 333 |
Die Grafik zeigt die Gehaltsdifferenzen verschiedener EU-Länder. Zwar liegt das tatsächliche Einkommen lettischer Lehrer weit über dem Tarif, weil sie Überstunden und zusätzliche Arbeit leisten. Doch auch damit befinden sie sich weit hinten in der Gehaltsskala. Quelle: europa.eu
LIZDA-Vorsitzende Ingr?da Mikiško beim Fernsehinterview, Copyright: LIZDA-Foto auf plus.google.com
Vegetieren auf dem Lande
Die Gehaltsunterschiede sind selbst innerhalb Lettlands beträchtlich. Besonders prekär ist die Situation auf dem Land, wo weniger Kinder leben, denn die Finanzierung richtet sich nach dem Grundsatz `Das Geld folgt den Schülern`. Die Nachrichtenagentur LETA berichtete am 24.10.2014, dass in der Gemeinde Stren?i 57 Prozent der dort angestellten Lehrer monatlich nur 280 Lats (397 Euro) oder weniger verdienen. Fast ein Fünftel der Pädagogen Lettlands, 4.677 an der Zahl*, bekommt nur das Minimalgehalt oder mangels Auslastung noch weniger. In der Gemeinde M?rupe, die sich im Speckgürtel von Riga befindet, erhalten dagegen 41 Prozent ein Gehalt von 750 Lats (1063 Euro) oder mehr. In der Hauptstadt verdienen 56 Prozent der Lehrer mindestens 550 Lats. LIZDA-Vorsitzende Ingr?da Mikiško warnte am Protesttag vor den Folgen des staatlichen Sparens: „Um hinzuzuverdienen arbeiten immer mehr Pädagogen über das Maß einer Vollzeitstelle hinaus. Das Ergebnis einer solchen Überlastung beeinflusst die Qualität der Bildung. Die Korrektur von Schülerarbeiten, Vorbereitung und andere Verpflichtungen werden nur teilweise bezahlt. Die Lehrer werden in Qualitätsstufen eingeteilt, doch ihre Finanzierung ist nicht geregelt. Somit steigt ihr Gehalt nicht, es verringert sich sogar. Das Dienstalter beeinflusst das Gehalt nur geringfügig. Es findet eine Arbeitsintensivierung für Lehrer und Dozenten bei gleicher Entlohnung statt. Wegen der niedrigen Bezahlung meiden Männer und junge Lehrer diesen Berufszweig. Man kann die Liste der Probleme fortsetzen, für jegliche Reform und Lösungen ist eine zusätzliche staatliche Finanzierung für diesen Berufsbereich erforderlich.“
Die Demonstranten, überwiegend Demonstrantinnen, kamen aus allen Teilen des Landes, Copyright: LIZDA-Foto auf plus.google.com
Lettische Lehrer werden noch lange Europas Kirchenmäuse bleiben
Selbst wenn LIZDA ihre Gehaltsforderungen durchsetzt, werden lettische Lehrer weiterhin zu den Kirchenmäusen Europas zählen. Die durchschnittliche Produktivität Lettlands ist geringer als in westeuropäischen Ländern. Da sich das gesamte nationale Einkommensniveau vor allem nach der Produktivität der Fertigungsbereiche bemisst, bleiben lettische Löhne auch in jenen Branchen niedrig, in denen die Arbeitsleistung sich nicht in den Kategorien der Produktivität messen lässt. Solche beträchtlichen Lohndifferenzen führen zu sozialen Spannungen in einer gemeinsamen Währungs- und Wirtschaftsunion. Die prekären Löhne sind der Hauptgrund für Abwanderung. Wie lange werden sich Arbeitnehmer in armen EU-Ländern eine solche Ungleichbehandlung noch gefallen lassen? LIZDA droht nach den erfolglosen Verhandlungen mit Streik. Darüber wollen die Gewerkschafter am 7.11.2013, einen Tag nach der parlamentarischen Verabschiedung des Haushalts 2014, beraten. Eric Romer, Chef des gewerkschaftlichen Dachverbandes ETUCE (European Trade Union Committee for Education) unterstützt die Forderung seiner lettischen Kollegen. Er schrieb dem Regierungschef Valdis Dombrovskis am 23.10.2014 einen Brief, in dem er daran erinnerte, dass dessen Politik der Haushaltssanierung zulasten der Lehrer und Wissenschaftler erfolgte: „Die Gehälter der lettischen Lehrer gehören zu den niedrigsten in Europa. 2011 betrug das gesetzliche minimale Lehrergehalt etwa 6000 Euro jährlich. 2009 führte die scharfe Austeritätspolitik zu einer Senkung des Bildungsetats um 50 Prozent. Das Budget für die Hochschulen wurde besonders hart getroffen, im Jahr 2010 um die Hälfte gekürzt. Mehr als 50 Schulen der Grund-, Mittel- und Oberstufe wurden 2010 geschlossen (von insgesamt 800). Berücksichtigt man, dass das lettische Bildungswesen beispiellose Kürzungen während der Wirtschaftskrise von 2008 bis 2010 erfahren hat, in der Höhe von 50 Prozent des Bildungsbudgets, appellieren wir an das Parlament und die Regierung, die Situation zu überprüfen und die Forderungen der lettischen Lehrer anzuhören.“
* die ursprüngliche Formulierung "Fast ein Fünftel der 4.677 Pädagogen Lettlands" war falsch. Bitte um Nachsicht.
Weitere LP-Artikel zum Thema:
Lettland - Regierung streitet sich über Lehrergehälter
Externe Linkhinweise:
lizda.lv: Eiropas arodbiedr?ba aicina Latvijas parlamentu un vald?bu pild?t LIZDA pras?bas
tvnet.lv: Zem?ko atalgojumu pedagogi sa?em Stren?u un T?rvetes novad?
tvnet.lv: Pedagogi neatk?psies no sav?m pras?b?m algu paaugstin?šanai
tvnet.lv: Pedagogu streiks var?tu notikt eks?menu laik?
lizda.lv: Pedagogi un zin?tnieki neatk?pjas no pras?b?m par cien?gu darba samaksu!
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