Der Kunsthistoriker Ojars Sp?r?tis wurde im letzten Jahr zum Präsidenten der Wissenschaftlichen Akademie gewählt. Unter ihrem Dach sind Institute aus unterschiedlichen Forschungsbereichen vereinigt. Damals bezeichnete er den Dialog mit den politisch Verantwortlichen als seine wichtigste Aufgabe. Doch die Gespräche mit dem Bildungs- und Wissenschaftsminister Roberts ??ilis und anderen offiziellen Vertretern bleiben offenbar fruchtlos. Sp?r?tis kritisiert die Regierung, die Zusagen nicht einhält. Lettische Botschafter zeichneten im Ausland ein geschöntes Bild von den Forschungsbedingungen. „Diese doppelte Moral, welche unsere Regierung in Brüssel verkündete, dass sie in diesem Jahr 131 Millionen in die Wissenschaft investieren wird. Das sind Zahlen, die bewusst in den Mittelpunkt gestellt werden, damit wir die eigene Fassade recht wunderbar und hübsch herausputzen, aber auf innenpolitischer Ebene ist die Finanzierung überhaupt nicht das, was die Wissenschaft zufriedenstellen könnte, sie deckt nicht einmal ihren Bedarf,“ sagte Sp?r?tis am 20.3.13 in einem Radiointerview auf LR1. Er sieht Forschung und Lehre in seinem Land gefährdet und warnt vor italienischen Verhältnissen.
Leere Taschen: Ein Kennzeichen lettischer Wissenschaftler, Foto: LP
Stagnation und Einsparungen statt Forschungsförderung
Sp?r?tis reagierte mit dem Interview auf eine Meldung, die die Medien am Vortag verbreiteten: Das Kabinett hatte den Vorschlag aus dem Bildungs- und Wissenschaftsministerium zurückgewiesen zusätzlich 5.507.643 Lats (7.834.970 Euro) zu bewilligen. Das Geld sollte die Mitfinanzierung verschiedener Projekte sichern. Die Forschungsinstitute benötigen dafür EU-Mittel, doch der lettische Staat muss sich beteiligen, beispielsweise um kommunale Gebühren für Forschungsräume zu bezahlen. Der neue Nationale Entwicklungsplan sieht eine ständige Steigerung der Ausgaben für wissenschaftliche Zwecke vor. Doch in Wirklichkeit hält die Regierung finanzielle Zusagen nicht ein. So entstehe Stagnation anstelle von Entwicklung. Für Sp?r?tis enthalten die Regierungspläne nur leere Worte. Derzeit werde nur 50 bis 60 Prozent des Betrages finanziert, der den Forschern 2008 zur Verfügung stand.
Die Wissenschaftliche Akademie in Riga, Foto: Wikimedia Commons
??lis: Sucht euch einen anderen Job
Sp?r?tis kritisiert insbesondere Forschungsminister ??lis, der vor seinem Amtsantritt als Sozialanthropologe doziert hatte. Er schaffe es nicht, die Interessen der Wissenschaftler zu vertreten. Sein Ministerium arbeite langsam und erfolglos. Im letzten Jahr habe jedes Ministerium vom Finanzminister mehr Geld eingefordert, nur ??lis habe darauf verzichtet. Sp?r?tis spielte auf das Studienfach des Ministers an: Forschungspolitik sei kein anthropologisches Experiment, hier gehe es um reale Volkswirtschaft und um wirkliche Menschen. In der Öffentlichkeit ist ??ilis allerdings recht beliebt. Seine Erklärungen, staatliche Mittel einzusparen, mehr Effizienz einzufordern, die Qualität der Studiengänge zu überprüfen, fragwürdige Fächer zu streichen und mehr zu privatisieren, rufen ein zustimmendes populistisches Echo hervor. Aber unter seinen ehemaligen Kollegen machte sich der Politiker der Reformu Partija keine Freunde. Bei der Frage, ob es bei solchen Vorwürfen noch einen konstruktiven Dialog geben könne, erinnerte sich der Akademie-Präsident an eine bezeichnende Begegnung: „Es gibt den Dialog. Wir hatten mehrere Gespräche. Und es schien, dass wir uns wechselseitig verstehen. Doch es folgten keine entsprechenden Aktivitäten, es war nichts mehr davon zu hören. Herr ?ilis kommt wunderbar in die Wissenschaftliche Akademie und eröffnet den Anwesenden: `Wenn euch das nicht passt und hier nicht überleben könnt, dann sucht euch einen anderen Job und andere Arbeitsräume.`“ Wohin solche Ignoranz führt, erläuterte Sp?r?tis am Beispiel Italiens. Dort seien im Jahr 2005 den Hochschulen die Budgets gekürzt worden. „Das führte dazu, dass nur noch alte Professoren für die Hälfte des Gehalts arbeiten und junge Doktoren massenhaft das Land verlassen, in allen übrigen Ländern konkurrieren, um eine Arbeitsstelle zu bekommen. Wir in Lettland scheinen uns auf denselben Weg zu begeben, denn leider sind dies jene Leistungsfähigen, die Lettland erfolgreich aus dem Ausland zurückholen will, wohin sollen sie denn fahren?“
Minister Roberts ??lis, Foto: Saeima (Ernests Dinka, Saeimas Kanceleja)
Lieber als Bauarbeiter nach Norwegen
An ??lis`Empfehlung, sich nach neuen Jobs umzuschauen, erinnerte sich in einem tvnet-Interview auch der Vorsitzende der Vereinigung lettischer Nachwuchswissenschaftler, Gatis Kr?mi?š. Er warnt davor, dass die lettische Wissenschaft auf eine Katastrophe zusteuere. Ein Großteil der Wissenschaftler sei mehrere Monate gezwungen worden, Urlaub zu nehmen. In dieser Zeit seien sie ohne Einkommen geblieben. Besonders hart treffe es Human- und Sozialwissenschaften. Dort hätten junge Wissenschaftler überhaupt keine Chance mehr auf eine Anstellung. Von den derzeit etwa 3000 Wissenschaftlern, die vollzeitbeschäftigt seien, hätten mehrere Hundert große Probleme. Viele suchten tatsächlich alternative Arbeitsmöglichkeiten. Manche erhielten nicht einmal den staatlichen Mindestlohn, arbeiteten gerade mal für 90 Lats (128 Euro). Anerkannte Wissenschaftler arbeiteten inzwischen lieber in der norwegischen Bauwirtschaft. Da sei das Verhalten des Forschungsministers schockierend. Auch Kr?mi?š beobachtet den Widerspruch zwischen politischen Versprechen und ihrer fragwürdigen Praxis: “Wir sehen, dass die geplante Entwicklung des Landes und das dem Volk Versprochene Lügen sind, denn die Wirklichkeit ist eine gänzlich andere.“
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Oj?rs Sp?r?tis wird Präsident der Lettischen Akademie der Wissenschaften
Externe Linkhinweise:
zeit.de: Die Flucht der Klügsten
latvijasradio.lv: Oj?rs Sp?r?tis kritiz? vald?bu par dubultmor?li saist?b? ar zin?tnes finans?jumu (Video)
tvnet.lv: Latvijas zin?tnieki br?dina par katastrofu nozar?
Atpakaï