Das Motto der lettischen OrganisatorInnen lautete "Be the Change! Make History! Changing history is hot!" Mehr Menschen als erwartet beteiligten sich am 20.6.2015 an der öffentlichen Kundgebung. AktivistInnen beabsichtigen, mehr Toleranz in der Gesellschaft einzufordern und schwule und lesbische Lebensgemeinschaften rechtlich mit der traditionellen Ehe gleichzustellen. Die lettische Initiative Mozaika organisiert bereits seit zehn Jahren lokale Demos für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender (LSBT). Bei den ersten Umzügen schlug ihren Mitgliedern und SympathisantInnen noch offener Hass entgegen. GegendemonstrantInnen grölten "No Pride, no Pride!" und bewarfen die bunte Truppe unter den Regenbogenflaggen mit Mist und Eiern. Inzwischen hat Mozaika einiges erreicht. Zwar zeigt sich die lettische Mehrheit in Umfragen immer noch skeptisch, doch offenbar lernt sie allmählich, die Bekundungen einer Minderheit zu tolerieren. Dies ist auch ein Erfolg des lettischen Rechtsstaats.
Die Regenbogenflagge ist das Symbol der LSBT-Bewegung, Foto: LP
Unterstützung aus dem Ausland
LSBT-Demonstrierende wagten sich 1991 in London zur ersten Euro-Pride auf die Straße, 1992 in Berlin, seitdem alljährlich in westeuropäischen Großstädten. In Osteuropa gab es bislang nur eine Kundgebung dieser Art, im Jahr 2010 in Warschau. In den ehemals sozialistischen Ländern ist öffentlich bekundeter Schwulenhass verbreiteter als im Westen. In der Sowjetunion drohte Homosexuellen noch in den 80er Jahren das Gefängnis. Immer noch punkten Politiker und Kirchenvertreter mit homophoben Äußerungen. Die Mozaika-AktiivistInnen durchkreuzen den muffigen Diskurs. Sie scheinen Erfolg zu haben, denn der aggressive Widerstand ihrer Gegner wird schwächer. Die 5000 TeilnehmerInnen versammelten sich unter ihren LSBT-Symbolen, den Regenbogenflaggen. Neben lettischen Fahnen waren auch jene anderer Länder, darunter deutsche, zu sehen. Laut irir.lv beteiligten sich Diplomaten von 11 Botschaften. Auf Transparenten zeigten die Pride-GängerInnen Slogans wie "Warum gefällt es der Gesellschaft, wenn zwei Männer Waffen halten, aber nicht, wenn sie sich an ihren Händen halten?", "Verabscheuen ist einfach, Liebe braucht Mut" oder "Homophobia free zone". Lsm.lv bat TeilnehmerInnen, die Demo zu kommentieren. Zwei Hamburgern war es wichtig, die Letten zu unterstützen, weil ihre Lage schwieriger sei als ihre in der norddeutschen Hansestadt. Aber sie lobten die gute Atmosphäre, obwohl sie in Riga mehr Polizei wahrnahmen als bei entsprechenden Aktivitäten in Deutschland. Die beiden fühlten sich dadurch aber sicher. Vom Straßenrand hätten sie ein paar homophobe Rufe vernommen, doch auch viel Unterstützung, die sie nicht erwartet hätten. Eine Schweizerin, die sich schon an vielen Euro-Pride-Demos beteiligt hat, meinte, dass die Rigaer Kundgebung stiller und kleiner sei als die vorhergehenden. Mit 5000 Teilnehmenden übertraf der zwei Kilometer lange Umzug bis zum Wöhrmann-Park dennoch die Erwartungen. Mozaika hatte - vielleicht aus kalkulierter Untertreibung - mit weniger als die Hälfte gerechnet. Der litauische Vertreter einer LSBT-Jugendorganisation verband das Lob für die Veranstalter mit einem Seitenhieb auf Russland. Diese Pride sei gut organisiert und ehrenvoller gewesen, als er erwartet habe. Seiner Ansicht nach habe Russlands Aggression und Homophobie vielen die Augen geöffnet, selbst nicht solches haben zu wollen.
Demonstrantin auf der Baltic Pride von 2012. Auf ihrem Plakat steht: "Wir sind alle Menschen. Weshalb unterscheiden sich die Rechte?", Foto: LPPolizei gab den Antiglobalisten keine Chance
Zufrieden zeigte sich auch die Polizei, weil sie diesmal kaum Zwischenfälle registrierte. In diesem Fall hat sich der lettische Rechtsstaat bewährt, der sexuellen Minderheiten das Recht auf Kundgebungen genehmigt und Demo-TeilnehmerInnen vor Übergriffen schützt. Diesmal versuchten `Antiglobalisten` die Stimmung anzuheizen. Diese Splittergruppe stemmt sich gegen liberale Einflüsse aus dem Westen. Mit linken Globalisierungskritikern hat sie nichts gemeinsam. Polizisten nahmen ihren Anführer Andris Orols wegen des Versuchs fest, eine nicht genehmigte Gegendemo zu veranstalten. Die Antiglobalisten forderten auf Plakaten, die Werte der Familie zu unterstützen, statt "psychische Abweichungen" zu popularisieren. Zwei dieser Zeitgenossen zündeten eine Regenbogenflagge an und sollen beabsichtigt haben, mit Eiern zu werfen. Die lettischen Ordnungshüter nahmen auch sie fest. Allerdings kann die homophobe Truppe darauf bauen, dass die Politiker den Wunsch ihres Gesinnungsgenossen Viktors Petrovs weiterhin erfüllen werden. Petrovs umriss gegenüber lsm.lv das Ziel der Antiglobalisten: Sie wollten der Regierung zu verstehen geben, dass Veranstaltungen dieser Art und Gesetzesänderungen, die die Andersdenkenden einforderten, in diesem Staat nicht stattfinden sollen. Bislang scheint das lettische Parlament von solchen Gesetzesänderungen weit entfernt. Die Abgeordneten haben das Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe sogar in die Verfassung aufgenommen.
Homophobe Gegendemonstranten auf der Rigaer Baltic-Pride-Demo von 2012, auf ihrem Schweinekopf-Plakat ist zu lesen: "Letten sterben aus" und "Nein zum Gayropa", Foto: LPTrauer um das geschändete Lettland
Am Tag der Pride-Demo hisste der evangelische Pfarrer des Rigaer Vororts Saulkrasti die lettische Flagge mit Trauerflor. Odita Kronberga, Lsm.lv-Journalistin, befragte ihn nach dem Sinn seines Tuns. Er trauere um die Menschen, die die Pride-Aktionen organisierten und um jene, die auf Dinge stolz seien, für die man sich schämen müsse. Er trauere um den besudelten Wöhrmann-Park und über das besudelte Riga und über das geschändete Lettland. Es sei kein Geheimnis, dass sich Lettland in einer außergewöhnlich schwierigen demographischen Situation befinde, Menschen wanderten massenhaft ins Ausland ab, die Anzahl der Geburten sei niedriger als die Zahl der Sterbefälle. In diesem Zusammenhang erscheine es ihm "schwachsinnig", sich über gleichgeschlechtliche Beziehungen zu freuen. Dann fügte er noch eine provokante Gleichsetzung hinzu. Lettland habe genügend "gesunde und normal denkende Menschen", die verstünden, dass es sich hier um Ausdruckformen des Zeitgeists handele. "Ich glaube, wie die kommunistische Ideologie vergangen ist, wie die nazistische Ideologie vergangen ist, so wird auch dies vorübergehen. Und ebenso wie nun ehemalige Nazis sich nur dafür schämen können, dass sie solche Ansichten hatten, ehemalige Kommunisten nicht mehr auf Paraden gehen und sich ihrer Siege erfreuen, so, glaube ich, wird es einst auch ehemaligen Pridisten ergehen." Ähnlich wie in Ostdeutschland sind praktizierende Christen in Lettland eine Randerscheinung. Doch bei den Themen Ehe, Familie und Sexualität sind Kirchenvertreter die homophoben Wortführer. In einem schwulenfeindlichen Milieu zu leben ist für die Betroffenen mehr als ein rechtliches Problem. Hinzu kommt der Leidensdruck, die sexuellen Neigungen vor den Angehörigen und vor den angeblich "gesund und normal denkenden Menschen" verbergen zu müssen. Der US-Psychiater Silvano Arieti* beobachtete in den fünfziger Jahren, dass latent Homosexuelle überdurchschnittlich häufig mit dem Befund Paranoia in die Psychiatrie eingeliefert wurden. Nach Arietis Auffassung hatte die Furcht vor Entdeckung der gesellschaftlich geächteten Neigung den Verfolgungswahn verursacht. Hinter dem Bedürfnis, die eigene, bislang tabuisierte sexuelle Neigung öffentlich kundzutun, dürften demnach mehr als nur Mode und Zeitgeist stecken, nämlich die Hoffnung auf Anerkennung und auf ein psychisch intaktes Leben.
*Silvano Arieti, Interpretation of Schizophrenia,
Second Edition, New York 1974, S. 171
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Externe Linkhinweise:
lsm.lv: Eiropraid? piedal?jušies 5000 cilv?ku; policija aiztur tr?s personas
lsm.lv: Protest?jot pret praidu, Saulkrastu m?c?t?js izkar s?ru karogu
irir.lv: Eiropraid? R?g? piedal?jušies aptuveni 5000 cilv?ku
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