Lettische Kommunalwahlen am 3.6.2017
27.05.2017
Lokale Medien sind häufig von den Stadtregierungen finanziell abhängig
Lettische Politiker befinden sich derzeit im Wahlkampf. Sie konkurrieren um Sitze in den Stadt- und Gemeinderäten. Im Mittelpunkt steht dabei das Rathaus der lettischen Hauptstadt. Hier stellt sich die Frage, ob Nils Usakovs auch die nächsten vier Jahre Bürgermeister bleiben kann. Derzeit bildet seine Partei Saskana ("Eintracht") mit der Lokalpartei Gods kalpot Rigai! ("Die Ehre, Riga zu dienen") mit 23 plus 16 Sitzen eine stattliche Mehrheit. Dagegen wartet die Opposition lediglich mit 12 Abgeordneten der Nationalen Allianz, 8 der Partei Vienotiba ("Einheit") sowie einem unabhängigen Ratsmitglied auf. Das Stadtparlament Rigas ist hinter der Saeima das zweitwichtigste Abgeordnetenhaus des Landes. Etwa jeder dritte lettische Einwohner lebt in der Daugava-Metropole. Die Mitte-Links-Partei Saskana gilt als Interessenvertreterin der russischsprachigen Minderheit, die allerdings in Riga die relative Mehrheit bildet. Saskana-Befürworter loben die städtische Sozialpolitik, die u.a. Rentnern kostenloses Fahren im städtischen Nahverkehr ermöglicht. Kritiker bemängeln dagegen Korruption und Misswirtschaft. Skandale und Missstände haben auch andere Parteien in anderen Kommunen zu verantworten. Da stellt sich die Frage, ob die Bürger darüber gut und kritisch informiert werden. Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens LTV begutachteten diesbezüglich die Arbeit ihrer Kollegen, die in Lokalredaktionen tätig sind.
Im Rathaus von Riga tagt Lettlands zweitwichtigstes Parlament, Foto: By Selfmade - Paša darbs, Neaizsarg?ts darbs, Saite
Stadt-PR statt kritischer Journalismus
Die Recherchen der LTV-Journalisten deuten darauf hin, dass Medien, die über Lokales berichten, knapp bei Kasse sind. Der Anzeigenmarkt stagniert, Internetkonkurrenten fangen Werbekunden ab. Das ermöglicht Stadträten, Dezernatsleitern und Vertretern der städtischen Versorgungsbetriebe Selbstdarstellung im journalistischen Gewande. Die Rigaer Stadtregierung gab im letzten Jahr 1,2 Millionen Euro für Zahlungen an Lokalmedien aus (lsm.lv). Dabei verwischten sich teilweise die Grenzen zwischen Reklame, PR, Propaganda und journalistischer Berichterstattung. Die Stadt Riga war 2016 der wichtigste Werbekunde für Zeitungen, kommerzielle Radio- und Fernsehstationen. Doch nicht alles war als städtische Reklame oder Propaganda erkennbar. Beispielsweise veröffentlichte die Tageszeitung “Neatkar?g? R?ta Av?ze” am 16.11.2016 Interviews mit dem Rigaer Verkehrsdezernenten und dem Vizebürgermeister Andris Ameriks. Der Leser erfuhr nur im Kleingedruckten an anderer Stelle der Lokalrubrik, dass diese Texte von der Stadt bezahlt wurden. Auch private Radiostationen und TV-Kanäle lassen sich aus städtischen Kassen finanzieren. So ist es auch in Ventspils, wo Aivars Lembergs Bürgermeister ist. Er darf laut eines Gerichtsbeschlusses dieses Amt eigentlich gar nicht ausüben. Sein Stadtrat pflegt gute Kontakte zur Presse und zu Funk und Fernsehen. Davon zeugt eine Reihe von Kooperationsverträgen. Zu den Empfängern des städtischen Geldes zählen das Webportal Delfi, verschiedene private Fernseh- und Radiostationen, darunter Baltkom Radio. In diesem Sender erhält Lembergs regelmäßig in einer eigenen Sendereihe das Wort. Dem Hörer wird nicht mitgeteilt, dass diese Beiträge aus dem kommunalen Budget stammen. Dies wäre nach lettischem Gesetz eigentlich erforderlich. Das meiste Geld erhalten die beiden Lokalmedien der Ölhafenstadt: Die Tageszeitung Ventas Balss, die im letzten Jahr 260.000 Euro aus der Stadtkasse erhielt und das Lokalfernsehen Kurzemes telev?zija, das mit 101.000 Euro bedacht wurde. Eine weitere Geldquelle ist der Vorstand des Freihafens von Ventspils, dessen Vorsitzender ebenfalls Aivars Lembergs ist. So erhielt Ventas Balss weitere 140.000 Euro für Informationsdienste. Das Blatt, das fünf Mal in der Woche in einer Auflage von 4.500 Exemplaren erscheint, dafür 48 Mitarbeiter benötigt, verfügt damit über eine üppige kommunale Versorgung. Die Chefredakteurin betont die redaktionelle Unabhängigkeit, doch ihre öffentlich-rechtlichen Kollegen haben in ihrem Blatt kaum Kritisches über den Bürgermeister und seine Stadtregierung gelesen. Offizieller Besitzer von Ventas balss ist der Unternehmer Mihails Soifers, er hat die Zeitung von der Offshore-Firma Farrel Finance Corporation erworben. Die auf den Britischen Jungfraueninseln registrierte Firma besitzt zudem Kurzemes telev?zija. Wer tatsächlich hinter dieser Briefkastenadresse steckt, ist nicht geklärt. Verschiedene Spuren zum Ventspilser Bürgermeister weisen Richtung offshore, doch die Richter und Staatsanwälte können ihm bis heute nichts nachweisen.
Die zufriedene Selbstzufriedenheit der Leser, Hörer und Zuschauer
Anda Rozukalne, Journalistik-Dozentin der Stradina-Universität, stellt eine unbefriedigende Stagnation in lettischen Medien fest (lsm.lv). Der Zustand der Lokalberichterstattung missfällt ihr im Besonderen: Die lokale Presse verfüge über keinen intellektuellen Glanz und nicht über klare Positionen, welche gestatteten, Ereignisse schnell einzuordnen, weit zu blicken, sozialen Wandel wahrzunehmen, spezielle Perspektiven einzunehmen, um der Gesellschaft die notwendigen und relevanten Inhalte anzubieten. Die Lokalmedien duldeten das große Geld und die große Frechheit, welche den Einfluss der kommunalen Regierungen vergrößerten, die die Mittel der Steuerzahler für Zeitungen, Fernsehen und Radio einsetzten. Aber sie kritisiert auch das selbstzufriedene Publikum. Es stelle keine größeren Anforderungen und klebe am Gewohnten. Trotz der Kenntnis gefälschter Nachrichten bevorzuge ein großer Teil immer noch die gelben Blätter, um über die Verrücktheiten Pariser Shows zu diskutieren oder Stars anzuhimmeln, nur deshalb, weil solche Ausgaben leicht konsumierbar sind, gefallen und ansprechen. Die Verbraucherideologie nähre die Überzeugung, dass Medien, die sofort ansprechen, Qualität hätten, so enthalte sich ein Großteil der Leserschaft der Aufgabe, nach wirklichen Kriterien für solide Informationen zu suchen und eventuell den eigenen Medienkonsum zu ändern.
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