Staatspräsident Raimonds Vejonis beauftragt Aldis Gobzems mit der Regierungsbildung
26.11.2018
Verfassungsschutzpräsident Maizitis warnt vor Risiko
Aldis Gobzems bekundete am 23. November 2018 gegenüber der LSM-Redaktion: „Im Paragraph 56 der Verfassung ist bestimmt, dass der Staatspräsident einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten auswählen soll, der der beste und stärkste für die gesamte Gesellschaft ist. Im konkreten Fall hält die KPV LV als siegreiche Partei des Mitte-Rechts-Blocks ihren Kandidaten bei.“ (lsm.lv). Damit meinte Gobzems offenbar sich selbst, denn er ist der besagte Spitzenkandidat. Dabei hat seine neue Partei Kam pieder valsts? (KPV) - Wem gehört das Land? – gerade mal 14,25 Prozent der Wählerstimmen bei den Parlamentswahlen im Oktober erzielt. Sie wurde knapp vor der Jauna Konservativa Partija (JKP) zweitstärkste Partei hinter der sozialdemokratischen Saskana, die als Vertreterin der russischsprachigen Minderheit gilt. Diese blieb zwar stärkste Fraktion, wird aber traditionell durch eine Koalition von kleineren Mitte-Rechts-Parteien in die Opposition verbannt. So soll es auch diesmal geschehen. Allerdings ist das rechte Lager diesmal zergliedert in ältere Parteien, die bislang regierten, aber nun keine parlamentarische Mehrheit mehr zustande bringen, und mehreren siegreichen Neuzugängen, zu denen die KPV gehört. Im Mitte-Rechts-Block sind weniger unüberwindbare ideologische Gegensätze als ein Ringen um die Macht und um das Amt des Regierungschefs erkennbar. Nach wochenlangen ergebnislosen Verhandlungen hat Staatspräsident Raimonds Vejonis am 26. November Aldis Gobzems mit der Regierungsbildung beauftragt (president.lv).
Gobzems (links) und Vejonis im Amtssitz des Staatspräsidenten, Foto: Kanzlei des lettischen Staatspräsidenten, president.lv
Vejonis zeigte sich unzufrieden mit den Verhandlungen, er hatte bereits am 7. November Janis Bordans, Spitzenkandidat der JKP, beauftragt, eine Regierung zusammenzustellen. Aber der Politiker, der als Mitglied der Nationalen Allianz zwischen 2014 und 2015 Justizminister gewesen war, brachte keine Koalition zustande. Nach einigem Zögern wandte sich Vejonis nun an Gobzems und erklärte der Presse seine Erwartungen: „Die Spielbedingungen haben sich nicht geändert – ich erwarte von jemandem, den ich nominiere, dass er innerhalb einer Frist von zwei Wochen Vorschläge liefert für eine mehrheitsfähige Regierung, die mögliche Zusammensetzung des Kabinetts und natürlich über die wesentlichen auszuführenden Aufgaben, die der Premier anzugehen gedenkt. Falls das innerhalb von zwei Wochen nicht geschieht, werde ich die Nominierung widerrufen und mir das weitere Vorgehen überlegen, wie man zu einer handlungsfähigen Regierung kommen kann.“ (lsm.lv).
Gobzems bedankte sich für das in ihn gesetzte Vertrauen, ihm obliegt es nun, aus fünf bis sechs Kleinparteien eine Koalition zu schmieden, ein politisches Spektrum, das von rechts- und wirtschaftsliberal bis nationalkonservativ reicht. Der Jurist wurde bereits im Alter von 25 Jahren Leiter der lettischen Insolvenzverwaltung, war davor schon stellvertretender Chef der Privatisierungsagentur. Er engagierte sich in der linksliberalen Partei Sabiedriba citai politikai – Gesellschaft für eine andere Politik -, die aber bereits nach kurzer Eigenständigkeit in der Mitte-Rechts-Allianz Vienotiba aufging und verschwand. Im Verzeichnis der Antikorruptionsbehörde KNAB ist Gobzems als Spender für beide Parteien aufgeführt (knab.lv). Der Öffentlichkeit ist Gobzems als Opferanwalt der „Zolitude-Tragödie“ bekannt, bei der 2013 durch den Einsturz eines Supermarktes 54 Menschen starben und 59 verletzt wurden (diena.lv).
Janis Maizitis, Chef des lettischen Verfassungsschutzes, warnte noch am Tag der präsidialen Bekanntmachung vor der Nominierung eines Kandidaten, dem noch nicht die Erlaubnis erteilt wurde, sich mit Staatsgeheimnissen vertraut zu machen und das sei ein sehr großes Risiko. Nach lettischem Recht benötigt ein Politiker dafür eine spezielle Genehmigung vom Verfassungsschutz, unabhängig davon, ob er zum Regierungschef gewählt wurde. Maizitis zum Verfahren seiner Behörde: „Ich möchte anmerken, dass die den Gesetzen entsprechende Überprüfung innerhalb von drei Monaten zu erfolgen hat und noch auf weitere drei Monate verlängert werden kann. Diese Fristen waren zuvor öffentlich nicht bekannt. Nun, nach dem Urteil des Verfassungsgerichts, erhielten sie Gesetzeskraft. Das ist keine Frage von ein paar Tagen oder Wochen, in besonderen Fällen, wenn der Betroffene sich langfristig mit Unternehmertätigkeiten beschäftigte, sich nicht unmittelbar im Wahrnehmungsfeld des Staates oder der Sicherheitsbehörden befand oder er nur vom Gehalt lebte und keine Übersicht über seine Einnahmen und Ausgaben besteht,“ so wird Maizitis in der Presse zitiert (diena.lv). Gobzems` Tätigkeit in der Insolvenzverwaltung legt genauere Überprüfungen nahe. Die Medien berichteten über Skandale im Umfeld dieser Berufsgruppe. Im Sommer wurde sogar ein Insolvenzverwalter ermordet, offenbar in einem von Profikillern ausgeübten Attentat (LP: hier).
Auf die Frage, was Staatsgeheimnisse sind, spekuliert welt.de: „Wirkliche Staatsgeheimnisse sind wirklich geheim. Deshalb lässt sich über sie nur spekulieren – manchmal mit dem Wissen um einige Indizien und Andeutungen. Zu den großen gehüteten Geheimnissen ohne schriftliche Nachweise zählen vor allem Hinweise auf außenpolitisch relevante Vorgänge.“ (welt.de) Dazu zählt die Zeitung zum Beispiel Indizien, ob die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau in den 60er Jahren den Bau israelischer Atomwaffen mitfinanziert haben könnte. Eine spezielle Genehmigung eines Geheimdienstes, um geheimste Geheimnisse zu erfahren, benötigen deutsche Kanzler nicht.
Gobzems zeigte sich über die Verlautbarung Maizitis` erbost. Den Journalisten sagte er, dass man sich keine Sorgen darüber machen solle, dass er die Genehmigung bekomme. ”Für eine Behörde mit einem Budget von acht Millionen ist es in dieser Situation wohl erforderlich, um Rechtshilfe nachzusuchen. Und die Geschichte hat erwiesen, dass man solches in sehr kurzer Zeit lösen kann. Deshalb wird auch dieses Problem, das in Wirklichkeit kein Problem ist, gelöst werden.“ Und er fügte hinzu: „Ein solches System existiert in keinem einzigen Land der entwickelten Welt, Litauen und Estland inbegriffen." (nra.lv) Tatsächlich böte ein gewählter Regierungschef, dem brisante Informationen verwehrt werden, Stoff für eine politische Komödie.
Aber erst einmal muss Gobzems genügend Willige für eine Großkoalition aus sechs Fraktionen finden. Er muss sich um die Mitwirkung der Jauna konservativa partija (Neue konservative Partei), der Attistibai/ Par! (Für Entwicklung/ Pro!), der Nacionala apvieniba (Nationale Allianz), der Zalu un zemnieku savieniba (Union der Grünen und Bauern) sowie der Jauna Vienotiba (Neue Einigkeit) bemühen. Seiner eigenen Partei Kam pieder valsts? (Wem gehört das Land? KPV), die erst 2016 gegründet wurde, werfen die politischen Gegner Populismus vor. Die KPV setzt sich für „konservative Haushaltsdisziplin“ ein und will die Rechte des Steuerzahlers stärken. Gobzems` Partei hat sich zum Ziel gesetzt, den negativen Geburts- und Migrationssaldo umzukehren, damit Lettland im Jahr 2050 wieder von 2,5 Millionen Menschen bevölkert wird, derzeit liegt die Zahl unter zwei Millionen und ist weiter rückläufig. In den Kommentarspalten löste die Nominierung heftige Debatten aus, für und wider Gobzems, ob er der "beste und stärkste" Kandidat für die gesamte Gesellschaft ist, bleibt die offene Frage.
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