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Lettland führt gesetzliche Krankenkasse ein
08.09.2018


Staatliche Unterversorgung

Proteste der Ärzte und KrankenschwesternDie lettische Regierung will die steuerfinanzierte medizinische Versorgung ab nächstes Jahr auf ein Kassensystem umstellen. Dann haben nur noch jene Anspruch auf volle medizinische Versorgung, die entweder sozialversicherungs-pflichtig beschäftigt sind oder zu jenen Gruppen zählen, für die der Staat die Beiträge übernimmt, beispielsweise Minderjährige, registrierte Erwerbslose, politisch Repressierte, Menschen mit Behinderungen, Rentner oder auch Mönche. Wer kein Kassenmitglied ist, hat nur noch Anspruch auf den Rettungssanitäter, Geburtshilfe, Behandlung bei Hausärzten, auf einige Vorsorgeuntersuchungen, wenige freie Medikamente und in Fällen, in denen die Erkrankung Folgen für die Gesellschaft hat: Etwa bei psychischen Problemen oder Infektionskrankheiten (vm.gov.lv). Trotz der großzügigen Ausnahmeregelungen besteht die Gefahr, dass ähnlich wie in Deutschland Behandlungsbedürftige durchs Rost fallen werden, beispielsweise gering verdienende Scheinselbständige, die das Geld für eine freiwillige Mitgliedschaft nicht aufbringen können. Bereits ab 1. Januar sollen für die freiwillige Mitgliedschaft 206,40 Euro für die Jahre 2018 und 2019 erhoben werden (diena.lv). Die Gebühr soll in den folgenden Jahren weiter steigen.

Proteste des medizinischen Personals vor dem Parlament, Foto: LP

 

Gesundheitministerin Anda Caksa schätzt, dass sich etwa 30.000 Lettinnen und Letten `freiwillig` versichern müssten, wenn sie auch in Zukunft gesundheitliche Versorgung zuhause, stationäre  Behandlung, medizinische Diagnostik, Rehabilitation, Medikamente und medizinische Geräte, Psychotherapie oder Behandlung im EU-Ausland erstattet bekommen wollen. Caksa betont, dass der Besuch beim Hausarzt für alle frei bleibe, der in 70 Prozent der Fälle helfen könne. Die Ministerin prognostiziert, dass sich insgesamt die gesundheitliche Versorgung nicht verschlechtern werde. Sie beklagt aber als Ärztin, dass so die Patienten unterteilt werden. Trotzdem bezeichnet sie die Einführung des Kassensystems als „guten Kompromiss“, der eine bessere Finanzierung gewährleiste (lsm.lv).

Daiga Behmane, Vorsitzende des Verbands für Gesundheitsökonomie, kritisiert, dass die Kriterien, die bestimmen, welche chronisch Kranken gebührenfrei behandelt werden müssen, unscharf formuliert seien: „Im heutigen Gesundheitssystem ist es gewöhnlich nicht so, dass irgendwelche besondere Krankheitsgruppen hervorgehoben werden. Wenn wir im System eine effektive Pflege haben wollen, dann müssen wir einheitliche Bedingungen für die Patienten aller chronischen Erkrankungen schaffen, damit sie wichtige Behandlungen in Anspruch nehmen können.“

Martin Urdze, sozial engagierter Pfarrer und Leiter der Diakonie in der Hafenstadt Liepaja, sieht in der Einführung einer Krankenkasse die Absicht, jene Letten von einer kostenlosen Versorgung auszuschließen, die im Ausland leben und in ihrer Heimat keine Steuern bezahlen. Zudem sollen Schwarzarbeiter motiviert werden, sich registrieren zu lassen und Abgaben zu zahlen. “Bei uns in der Diakonie haben wir einige Leute, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht beim Arbeitsamt registrieren lassen und somit aus dem ganzen sozialen System herausfallen. Ein Grund ist, dass sie verschuldet sind und keine offiziellen Gelder haben dürfen oder dass sie einfach ihre Adresse geheimhalten aus Angst vor Pfändungen, Gerichtsverfahren usw. Allerdings ist das lettische Gesundheitssystem bereits jetzt zum großen Teil privatisiert. Der Anteil der Selbstbeteiligung der Einwohner ist einer der höchsten, wenn nicht der höchste innerhalb der EU. Viele Dienstleistungen gibt es nur gegen volle Bezahlung, z. B. Zahnbehandlung, verschiedene Operationen, Spezialisten. Selbst, wenn sie vom Staat vorgesehen werden, bleibt nichts anderes übrig, als selber zu bezahlen, um die langen Wartezeiten zu umgehen." Die EU hat die lettische Regierung mehrmals wegen der Mängel im Gesundheitssystem kritisiert und Besserungen angemahnt. Derzeit wendet die Regierung etwa 3 Prozent vom BIP für die staatliche Gesundheitsversorgung auf, der EU-Durchschnitt liegt bei 7 Prozent.




 
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