Lettischer Verteidigungsminister Artis Pabriks ehrt SS-Legionäre
09.10.2019
"Lettlands Legionäre sind der Stolz des lettischen Volkes und des Landes“
Am 27. September 2019 fuhr Pabriks in den 181-Seelen-Ort More im Kreis Sigulda, 60 Kilometer von Riga entfernt. Er hielt dort eine Rede zum 75. Jahrestag der More-Kämpfe. Lettische SS-Legionäre, die teils von den Deutschen zwangsrekrutiert, teils freiwillig an der Seite der Wehrmacht gegen die Rote Armee kämpften, hatten die – nach lettischen Angaben – zehn Mal stärkeren Sowjets in einer mehrtägigen Abwehrschlacht zurückgeschlagen und damit deren Einmarsch in die lettische Hauptstadt verzögert. Daran erinnerten die Gedenkfeierlichkeiten, an denen auch Viesturs Bubucis, Stabschef der Nationalgarde, teilnahm. Der Tevija-Chor der Nationalarmee und die Folkloregruppe Vilkaci sorgten für Unterhaltung im Festprogramm. Auf dem örtlichen Soldatenfriedhof wurden am Legionärsdenkmal Blumen niedergelegt. Sie galten nach Auskunft des Verteidigungsministeriums dem „Helden“ der Schlacht, Rolands Kovtunenko (modgov.lv). Schließlich nutzte die Nationalgarde und ihre Jugendorganisation Jaunsardze die Gelegenheit, um Schüler anzuwerben. Diese übliche antibolschewistisch geprägte Erinnerungskultur wäre in der Öffentlichkeit längst abgebucht, wenn nicht Pabriks die Legionäre als Stolz des lettischen Volkes gepriesen hätte. Bei Sozialdemokraten und Antifaschisten entfachten die Ministerworte scharfe Kritik. Die Saeima-Oppositionspartei Saskana beschwerte sich beim NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
Artis Pabriks, Foto: Saeima - 13.Saeimas deput?tu svin?gais sol?jums, CC BY-SA 2.0, Saite
„Aus tiefster Seele ehren“
Pabriks sagte auf der Gedenkveranstaltung: „Unsere Verpflichtung ist es, diese lettischen Patrioten aus tiefster Seele zu ehren. Entsinnen wir uns daran, dass sich die Zahl der Legionäre in unserer Mitte leider von Jahr zu Jahr verringert, derzeit sind es in der Reihe des Soldatenvereins der Nationalarmee kaum noch 30. Wir werden das Andenken der gefallenen Legionäre in Ehren halten, wir werden niemandem erlauben, es herabzuwürdigen! Lettlands Legionäre sind der Stolz des lettischen Volkes und des Landes.“
Weitere Zitate künden davon, dass der lettische Verteidigungsminister die SS-Legionäre als Vorbild für seine Nation betrachtet: „Die Schützengräben von More bestehen bereits seit 75 Jahren und sind zur Hälfte verschüttet und überwachsen. Aber unsere Erinnerung an unsere Legionäre, Helden ist glänzend und ewig. Sie fochten hier einen sehr großen Kampf gegen eine sehr große Übermacht aus,“ und schließlich: „Es sind solche Orte wie More, wo wir alle neben den Schützengräben, den Gräbern unserer Legionäre und ihren Denkmälern Kraft schöpfen, in der Überzeugung, dass unser Land Zukunft hat, dass wir den richtigen Weg gehen und dass unser Land und unsere Nation eine immer bessere Zukunft verdient haben.“ (modgov.lv)
Denkmal für SS-Legionäre in More, wo sich auch ein Schlachtmuseum befindet, Foto: Neaizsarg?ts darbs, Saite
Aus Opfern werden Helden
Dass die Worte heikel waren, bemerkte die Presseabteilung des Verteidigungsministeriums. Laut Information der investigativen Webseite pietiek.com wurde die Schlagzeile des Ministeriums, die auf Pabriks` Rede hinweist, von „Lettlands Legionäre sind der Stolz des lettischen Volkes und des Landes“ in „Ehrung für die in der More-Schlacht gefallenen lettischen Soldaten“ geändert. Doch der Eklat ließ sich nicht mehr verhindern.
Janis Urbanovics, Fraktionsvorsitzender der sozialdemokratischen Oppositionspartei Saskana, unterzeichnete einen Brief an NATO-Generalsekretär Stoltenberg. Saskana wirft darin der lettischen Regierung vor, verbrecherische Organisationen zu rühmen, die mit der Nazi-Partei verbunden waren, um eine rassistische Doktrin zu verwirklichen. Das delegitimiere die nordatlantische Allianz. Der Brief erinnert daran, dass die SS-Legionäre mehrheitlich gezwungen wurden, für eine feindliche Macht zu kämpfen: „In Betracht dessen, dass die Mehrheit der lettischen Legionäre zwangsrekrutiert wurden, hat das Außenministerium der lettischen Republik mehrmals betont, dass man sie nicht als Teilnehmer an einer verbrecherischen Organisation betrachten darf. Aber mit seiner öffentlichen Äußerung verändert Verteidigungsminister Pabriks das Verhältnis zu den lettischen Legionären wesentlich, indem er aus Opfern Helden macht.“ (diena.lv)
Lettlands Antifaschistisches Komitee und die russisch orientierte Partei Latvijas Krievu savieniba wandten sich ebenfalls an die NATO, um Pabriks zur Rechenschaft zu ziehen: „Wir sind ernsthaft darüber besorgt, dass der Verteidigungsminister eines NATO-Landes eine verbrecherische Organisation ehrt und lobpreist, die Legion der Waffen-SS, dabei die anwesenden Jugendlichen und die Soldaten der lettischen Streitkräfte dazu auffordert, ihrem Beispiel zu folgen. Das ist faktisch eine Aufforderung, alle verbrecherischen Tätigkeiten, die die Nazis im Zweiten Weltkrieg in Europa anrichteten, zu wiederholen.“ Der Text fordert die Verteidigungsminister der NATO-Länder auf, Pabriks vom Bestreben, Nazis zu rühmen, abzuhalten (sputniknewslv.com).
Gedenktafel für Voldemars Veiss auf dem Rigaer Ehrenfriedhof für Soldaten, Foto: LP
Einseitiger Antibolschewismus
Die einseitig antibolschewistisch geprägte Erinnerungskultur, die vor allem von der mitregierenden Nationalen Allianz gepflegt wird, bringt Lettland immer wieder international in Verruf. Jährlich findet am 16. März der Gedenkmarsch der SS-Legionäre im fragwürdigen Bewusstsein statt, dem Land gedient und Heldenhaftes geleistet zu haben (LP: hier).
Der lettischen Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass das, was bei einem deutschen „Endsieg“ mit Beteiligung der Legionäre gedroht hätte, noch deutlich repressiver als die sowjetische Herrschaft geworden wäre: Die NS-Regierung hatte vorgesehen, bis zum Ural die Bevölkerung auszuhungern, zu vertreiben oder als „Untermenschen“ zu Leibeigenen des „Ariers“ zu erniedrigen.
Von antibolschewistischer Unbekümmertheit zeugt auch die Verehrung des NS-Kollaborateurs Voldemars Veiss auf dem Soldatenfriedhof in Riga, der als Chef der lettischen Polizei den Transport jüdischer Mitbürger zu den Massenerschießungsplätzen organisierte und sich später an der deutschen Partisanenbekämpfung in Weißrussland beteiligte, bei der viele unschuldige Zivilisten ihr Leben verloren. (LP: hier).
Atpakaï