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Regierungskoalition in Lettland feuert obersten Korruptionsbekämpfer
02.07.2008


Vor dem lettischen Parlament, der Saeima, nahm Aleksejs Loskutovs am letzten Sonntag Blumen seiner Fans entgegen. Mehr alsKNAB Logo 500 Bürger hatten sich versammelt, um gegen seine Absetzung als Leiter der Antikorruptionsbehörde zu protestieren. Genutzt hat es nichts – drinnen setzten die Abgeordneten der Regierungskoalition in einer außerplanmäßigen Sitzung des Hohen Hauses ungerührt einen Beschluß durch, der ihren Widersacher in die Wüste schickt. Eigentlich können Loskutovs und seine Mitarbeiter eine gute Bilanz vorweisen. Doch in den letzten Wochen hatte sich gezeigt, dass die finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Kasse des Büros für die Verhinderung und Bekämpfung von Korruption - lettisch kurz: KNAB - schwerwiegender sind als bisher angenommen.
 
Logo der lettischen Antikorruptionsbehörde mit dem Motto: Ehre über Macht
 
Als der Vorsitzende der mitregierenden Tautas Partija (Volkspartei), Aigars Kalvītis, auf dem Weg zur Sitzung in einem Seiteneingang der Saeima verschwand, rief die Menge: “Die Volkspartei flieht vor dem Volk”. Als Premier hatte Kalvītis bereits im letzten Jahr versucht, den KNAB-Chef zu entlassen, und zur Begründung “Mängel in der Buchhaltung” der Behörde angeführt. Die Öffentlichkeit sah darin allerdings einen fadenscheinigen Versuch, die unbequeme Institution, die unter anderem auch die Finanzierung von Wahlkämpfen überprüft, zu entmachten. Der Ministerpräsident hatte jedoch die Unterstützung der Bevölkerung für Loskutovs unterschätzt. Diese Affäre löste im verregneten Spätherbst 2007 mit machtvollen Demonstrationen die sogenannte Regenschirm-Revolution aus. Damals protestierten Tausende mehrmals gegen die liberalkonservative Regierung. Schließlich trat Premier Kalvītis zurück.
 
Aleksejs Loskutovs vor der Saeima am 29.06.08
Spricht meistens nicht durch die Blume: der geschasste Korruptionsbekämpfer Aleksejs Loskutovs
am 29. Juni 2008 vor dem Parlament in Riga. Photo: Apollo.lv
 
 
Der ehemalige Regierungschef sieht sich nun bestätigt. Er kritisierte in der außerplanmäßigen Parlamentsdebatte, dass Loskutovs in seiner vierjährigen Amtszeit “uns in den Augen der Bürger zu potenziellen Verbrechern gemacht hat”. Kalvītis warf dem KNAB-Chef willkürliche Festnahmen, parteiliches Verhalten und Verleumdungen vor.

Draußen mussten derweil Politiker der Regierungsfraktionen die rohen Eier wütender Demonstranten fürchten. Unter heiterem Himmel erinnerten Regenschirme symbolisch an den letzten Herbst. Manche harrten mehr als acht Stunden aus, um ihren Ärger über die Entscheidung der Volksvertreter zu bekunden. “Das Volk gegen die Mafia”, “Wer hat Angst vor dem KNAB?” oder “Die Entlassung Loskutovs - Der Anfang vom Ende der Volkspartei: Sonntag, 29.6.2008” war auf Plakaten zu lesen. Und immer wieder forderten die Regierungsgegner: “Löst die Saeima auf!”

Die parlamentarische Opposition solidarisierte sich mit den Demonstranten. Einars Repše, Abgeordneter der Partei Jaunais laiks (Neues Zeitalter), betonte in der Debatte, dass das KNAB momentan die einzige Kraft in Lettland sei, die gegen Korruption kämpfe und an die sich der Bürger wenden könne, wenn er mit diesem Problem konfrontiert werde. Deshalb sei eine Stimme gegen Loskutovs eine Unterstützung der Korruption im Staat. In der Debatte werde über “die Unabhängigkeit des KNAB, über ihre Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit und über die Frage (gesprochen), ob das Parlament der lettischen Republik als Institution tatsächlich Korruption in Lettland deckt und unterstützt.” Die Regierung habe diese rote Linie bereits übertreten, fügte Repše hinzu.  
 
Sitz der lettischen Antikorruptionsbehörde
Wachsam und zum Warnruf bereit... Fassadendetail am Sitz der Antikorruptionsbehörde KNAB in Rīga.
Photo: Udo Bongartz
 
Das KNAB hat seit ihrer Gründung vor vier Jahren zahlreiche Skandale aufgedeckt. Zum Beispiel ergaben telefonische KNAB-Abhörprotokolle, dass Geschäftsleute, die 2006 mit Bestechungsgeldern die Bürgermeisterwahl in Jūrmala beeinflussen wollten, sich darüber mit dem Gründer der Volkspartei, Andris Šķēle, und mit dem Verkehrsminister aus den Reihen der Latvijas Pirmā partija (Erste Partei Lettlands), Ainārs Šlesers, beraten hatten. KNAB-Ermittlungen brachten 2007 den Bürgermeister von Ventspils vor Gericht: Der Politiker und Geschäftsmann Aivars Lembergs ist ein Förderer der Regierungspartei Zaļo un zemnieku savienība (Bündnis der Grünen und der Bauern). Er soll im Ölgeschäft tätig sein und den lettischen Zeitungsmarkt beherrschen. Die Anklage wirft ihm nun Korruption, Geldwäsche und Steuerbetrug vor.

In ihrem Bericht über den letzten Urnengang zur Saeima 2006 hatte die Behörde bei der Volkspartei, der Ersten Partei Lettlands und dem Bündnis der Grünen und Bauern die Überschreitung der zulässigen Wahlkampfausgaben moniert, ferner die unerlaubte Annahme von Spenden und falsche Angaben in der Erklärung über die Finanzierung des Wahlkampfes (der letztgenannte Vorwurf geht auch an die Adresse der mitregierenden Liste Tēvzemei un brīvībai/Latvijas Nacionālās neatkarības kustībaFür Vaterland und Freiheit/Bewegung für die nationale Unabhängigkeit Lettlands). Der Fairness halber sollte aber angemerkt werden, dass auch Jaunais laiks, die Saubermann-Partei von Repše, wegen Überschreitung der zulässigen Wahlkampfausgaben und deklarierter Falschangaben gerügt wurde.
 
Angesichts der Erfolge des scheinbar so unbestechlich agierenden KNAB überraschte es, dass Kalvītis' Vorwürfe offensichtlich doch nicht nur ein Vorwand waren: Tatsächlich landete beschlagnahmtes Geld im Umfang von zirka 200.000 Euro in die privaten Taschen von KNAB-Angestellten. Zwar wird Loskutovs bislang keine unmittelbare Schuld vorgeworfen, doch die Öffentlichkeit diskutiert nun darüber, ob der Leiter einer Behörde die Verantwortung übernehmen muss, wenn sich seine Angestellten wie Diebe benehmen.

-Udo Bongartz-




 
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