Latviešu Centrs Minsterē

   

8. März in Lettland: Blumen (und mehr) für das Land der Chefinnen
07.03.2008


Bislang hatten Lettinnen und Letten zum Internationalen Frauentag ein eher ironisches Verhältnis: Der NelkenNelkenduft des 8. März roch noch zu sehr nach sowjetisch verordnetem Ritual. Eine Umfrage des Markt- und Sozialforschungsinstituts TNS Latvia ergab nun, dass der Tag der Emanzipation deutlich beliebter wird. Zwar gleicht der lettische Frauentag eher einer erweiterten Version des Muttertags. Eine Frauenbewegung im westlichen Sinne hat es  hierzulande nicht gegeben. Aber Lettland ist deshalb kein Paradies für Patriarchen: Eurostat-Zahlen zeigen, dass Frauen in Lettland öfter berufliche Spitzenpositionen einnehmen als in anderen EU-Staaten.

 

Sag´s der Frau durch die Nelke... Photo: web24.admin.mail.or.at

 

TNS Latvia befragte im Februar 496 Einwohner zwischen 15 und 74 Jahren. Die Ergebnisse weisen noch auf einen deutlichen Unterschied zwischen dem lettischen und russischen Bevölkerungsteil, doch diese Differenz wird geringer: 62 Prozent der russischen Minderheit halten diesen Feiertag für “sehr bedeutend”, beim lettischen Teil sind es bloß 47 Prozent, aber damit immerhin zwölf Prozent mehr als im letzten Jahr.  Das Nachrichten-Portal Delfi veröffentlichte dazu Zahlen, die lettische und russische Frauen gleichermaßen feiern können: EU-Statistiker fanden heraus,  dass die meisten Chefinnen in litauischen und lettischen Unternehmen zu finden sind: In diesen beiden baltischen Ländern sind 41 Prozent der Angestellten in leitenden Positionen Frauen. Auf den dritten Platz kommt Frankreich mit 39, gefolgt von Ungarn mit 37 und Großbritannien mit 35 Prozent. Alice Schwarzers Heimatland schneidet in dieser Tabelle beschämend ab: Mit weniger als 30 Prozent liegt Deutschland abgeschlagen auf Platz 22. Folgt nun ein “Pisa-Schock” in Sachen Gleichberechtigung?

Der Aufstieg der lettischen Frauen beruht unter anderem jedoch auf einer wenig erfreulichen Beobachtung. Die Soziologin Aivita Putniņa erforschte 2006 die Situation ihrer männlichen Landsleute. Ihre Interviews ergaben, dass das sogenannte “starke Geschlecht” die neuen Zeiten schlechter verkraftet hat. Schon in der mittleren Altersgruppe sind in Lettland Frauen in der Mehrzahl, weil Männer sich umbringen, riskant leben, ihre Gesundheit mit Rauchen und Trinken ruinieren. Für viele ist es schwieriger geworden, die traditionelle Rolle des Familien-Ernährers einzunehmen. Statt dessen drohen Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und sozialer Abstieg. Die Äußerung einer interviewten Landwirtin deutet darauf hin, dass sich Frauen flexibler auf den Kapitalismus einzustellen vermochten. Hier ein Zitat aus Putniņas Untersuchung:  

“In sowjetischer Zeit hatte jeder einen Job, jeder arbeitete. Dann fiel plötzlich alles auseinander und es gab keine Stabilität mehr! Die Zeiten waren vorbei, dass du alles hattest und dir alles gebracht wurde. Eine Frau, so nimmt man an, muss über Kinder Bescheid wissen, muss wissen, was auf den Tisch kommt. Sie muss ständig daran denken, wie sie an Geld kommt. Eine Frau kann es sich nicht leisten, die Decke über den Kopf zu ziehen und über nichts nachzudenken. Eine Frau geht herum, um sich anzubieten, was sie machen kann, was sie finden kann. Ein Mann findet das vielleicht schwieriger, sich selbst auf dem Arbeitsmarkt anzubieten, so wie eine Ware, wie sie sagen. Sie gehen und sagen sich:`Ich werde nicht dahingehen, um mich selbst zu verkaufen.` Doch in der heutigen Zeit wirst du den Job nicht bekommen, wenn du dich nicht präsentieren und zur Schau stellen kannst.” (Zitiert und übersetzt nach: A. Putniņa,“ Men in Latvia: A Situation Sketch“ in: Commission of Strategic Analysis; Demographic Situation: Present and Future, Riga 2006, S. 67).

Der 8. März bietet eine gute Gelegenheit, über neue Rollen-Verteilungen zwischen den Geschlechtern nachzudenken. Dabei darf der Mann Blumen-Kavalier bleiben: TNS Latvia verlautbart, dass Rosen und Tulpen die begehrtesten Sträuße sind. Die ideologisch anrüchige Nelke erlangt einen achtbaren dritten Platz. 

Der Chef des Internet-Shops Ints neoshop.lv, Ints Trifanovs, weiß im Nachrichtenportal postfactum.lv indes zu berichten, daß lettische Männer am Internationalen Frauentag verstärkt eine besondere Überraschung für ihre Mitbürgerinnen planten. Schon zwei Wochen vorher steige nämlich die Nachfrage nach Sex-Artikeln wie Aphrodisiaka, einschlägigen Düften und Ölen sowie Vibratoren um 30% …

-Udo Bongartz-

 




 
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