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Maler Auseklis Bauskenieks: Visionär der Zeiten
15.06.2022


Durchtriebene Heiterkeit irritierte die Machthaber

Auseklis Bauskenieks, Selbstporträt hinter Glas, 1986, Foto: LNMM

Das Lettische Nationale Kunstmuseum zeigt derzeit eine Bauskenieks-Ausstellung. Der Maler, der 2007 als 97jähriger starb, gilt als einer der bekanntesten Vertreter der lettischen Kunstgeschichte. Er hielt sich von politischen Vorgaben fern, stattdessen die Absurditäten des Alltags auf satirische Weise fest. Bauskenieks` Biographie ist zudem ein anschauliches Beispiel für den wechselvollen Lebenslauf eines Letten des letzten Jahrhunderts.


Auseklis Bauskenieks` Gemälde sind bunt, verspielt, erinnern an Comics und naiver Malerei, sind aber mit realistischer Präzision gezeichnet. Die Motive sind vielfältig, der Alltag scheint absurd verfremdet, zuweilen lächerlich, zum Beispiel im Schlafzimmer, wo eine nackte Frau sich vor dem Spiegel frisiert, während aus dem Bett die ebenso großen Füße des Mannes herausragen, hier sorgt die Perspektive für einen Nonsens-Effekt. Oder die skurrile Szene einer Künstlergruppe im Atelier, die über das präsentierte Bild des Malers diskutieren, der zu einem bleichen Figürchen geschrumpft ist, während die Kollegen lauthals deklamieren und die Kunststudentinnen sich langweilen. Auf dem zur Debatte stehenden Gemälde ist zu sehen, wie der rote Hahn im Dachfenster erscheint und die Dinge durcheinandergeraten. Bauskenieks` Bilder erzählen auf verfremdende Weise über die Wirklichkeit, üben unterhaltsam gesellschaftliche Kritik, die nicht unmittelbar fassbar ist.


Bauskenieks wurde 1910 als Sohn in einem kleinbürgerlichen Elternhaus in Jelgava geboren. Er hatte vier deutlich ältere Geschwister, er war das umsorgte Nesthäkchen. Als Heranwachsender wurde ihm das ständige Herumerziehen und Bevormunden von allen Seiten zur Last. Seine Schulnoten waren nicht berauschend, auch im Zeichnen nicht, was er gern tat. Als Fünfzehnjähriger hatte er die Zurechtweisungen von Lehrern, Eltern, Geschwistern satt und er plante, Reißaus zu nehmen, was er dann doch nicht tat. Er hatte davon geträumt, Matrose zu werden, um ferne Länder zu sehen.


1929 konnte er sich von seiner pädagogisch ambitionierten Umwelt befreien; er zog nach Riga und fand eine Anstellung im Verkehrsministerium, wurde zugleich Architekturstudent. Doch im Verlauf des Studiums bemerkte er, dass sein Interesse der Malerei galt und nicht Gebäude-Entwürfen. Einer seiner Lehrer war damals Vilhelms Purvitis (LP: hier), Lettlands bekanntester Landschaftsmaler. Purvitis ermunterte ihn, an der Kunstakademie zu studieren. Er schaffte die Aufnahmeprüfung. Er vervollständigte seine Malkenntnisse bei prominenten Lehrern wie Ludolfs Liberts und Gederts Eliass. 1943 heiratete er die Architektin und Dichterin Alma Gailite, doch bereits nach wenigen Monaten mussten sie sich trennen.


Zwar wurde er von den Deutschen nicht zwangsweise in die SS-Legion rekrutiert, weil er an den Folgen eines gebrochenen Arms litt, doch er musste in Deutschland und dann in den Niederlanden als Straßenbauer Zwangsarbeit verrichten, wie sein Biograph Andris Bernats berichtet (jauns.lv). Nach dem Krieg kam er in die Gefangenschaft der westlichen Siegermächte. Er zeichnete gegen Zigaretten Porträts seiner Wärter, die Zigaretten tauschte er gegen Lebensmittel. Die Rückkehr nach Lettland wurde für ihn ein Desaster: Sein Vater war gestorben; die übrigen Angehörigen, auch seine Frau, waren vor der rückkehrenden Roten Armee geflohen. Seine Bilder waren verschwunden, das Atelier zerstört. Bauskenieks wurde depressiv; wieder mit der Kunst zu beginnen, schien sinnlos. Bolschewisten und Kapitalisten hatten den Kalten Krieg begonnen. Ein Atomkrieg hätte endgültig alles vernichtet, auch seine Kunst.


Dennoch musste er unter den neuen Herrschaftsverhältnissen überleben und produzierte statt Kunst erst einmal Propaganda und Werbung. Für formierte Partei-Demonstrationen malte er Lenin- und Stalinplakate; für Fischkonserven gestaltete er die Etiketten. Ende der vierziger Jahre arbeitete er als Designer im Rigaer Literaturmuseum und ab 1949 wurde er Zeichenlehrer im Palast der Pioniere. Zu seinen Schülern zählte eine der später prominentesten Malerinnen des Landes, Maija Tabaka. Im Pionierpalast lernte er seine zweite Frau Antonina kennen, die dort als Buchhalterin beschäftigt war. Mit ihr zog er ins Arbeiterviertel Sarkandaugava. Sie brachte einen Sohn in die Ehe, zwei weitere kamen hinzu, in der Drei-Zimmer-Wohnung ging es eng zu. 


Dennoch ermunterte Antonina ihren Mann, wieder mit der Malerei zu beginnen. Er griff zur Staffelei, die er umstellen musste, wenn Besuch kam, weil er nur an der Wohnungstür einen Platz für sie fand. Er stellte einen Antrag bei der Künstlervereinigung, um in einem eigenen Atelier arbeiten zu können. Das dauerte elf Jahre, schließlich konnte er mit seiner Familie 1973 in die Jaunsaule Straße umziehen. Dort bezogen sie eine neue Wohnung im Parterre, das Atelier befand sich im fünften Stock. Nun konnte er endlich ungestört die Zeit vor Leinwänden verbringen, während sich seine Frau nach altem geschlechtsspezifischen Muster um den Haushalt kümmerte. Antonina war seine wichtigste Ratgeberin. Ihr Urteil über seine Bilder war ihm wichtig und gemeinsam überlegten sie Titel, die die Zensoren der Sowjetmacht nicht herausfordern sollten.


Denn seine Bilder irritierten die Zensoren, die nicht so recht zur Dogmatik des sozialistischen Realismus, der verordneten Kunstrichtung, passten. Hinter dem Leichten und Lustigen schien sich Spott an der sowjetischen Lebensart zu verbergen, hinter der Heiterkeit verbarg sich Groteskes. Als Funktionäre ihn baten, einige seiner Bilder aus einer Ausstellung zu entfernen, verweigerte er dieses Ansinnen. Fortan wurde sein Name in den sowjetischen Medien jahrelang nicht mehr erwähnt.


Bernats charakterisiert Bauskenieks als konfliktscheuen Menschen, der keinen Streit suchte. Er war weder Revolutionär noch Dissident. Aber seine Bilder erweckten das Misstrauen der Machthaber, die ihn aber nicht davon abhielten, die Bilder zu malen, die er zu malen beabsichtigte. Er hat nicht allzu viele Bilder gemalt; er benötigte lange, um eine Leinwand in ein Gemälde zu verwandeln. Oft sann er stundenlang nach, wie er die Arbeit an einem Bild fortsetzen könnte. Dennoch spielte der Zufall seine Rolle, eine zufällige Begebenheit, ein verwischter Pinselstrich. Seine Motive fand er auf der Straße, in der Straßenbahn, in den Vierteln Rigas. Er meinte in einem Interview, dass auch das Absurde seinen Sinn habe. Zuweilen fand er die Motive auch im Schmutz auf dem Fußboden seiner Wohnung. Dann durfte die Frau ihn nicht putzen. 


Neben Gemälden hatte er eine Leidenschaft für Wissenschaft und Technik. Er las wissenschaftliche Bücher und baute Radioapparate schon zu einer Zeit, als Lettland noch gar keinen Rundfunksender hatte. Er bastelte auch an anderen merkwürdigen Gerätschaften, so dass es bei ihm zu Hause vibrierte und schaukelte. Das hat teilweise auch seine Kunst geprägt. Auf einigen Bildern findet man Science-Fiction-Motive.


Das Lettische Nationale Kunstmuseum zeigt bis zum 18. September 2022 die Ausstellung „Visionär der Zeiten: Auseklis Bauskenieks“. Die Bilderschau konzentriert sich auf den Schöpfer ungewöhnlicher Gestalten, Extraterrestrischer und Giganten. In ihnen erweise sich „seine Faszination für den Fortschritt in Wissenschaft und Technik, für Science Fiction und Visionen einer zukünftigen Welt,“ meint Kuratorin Agnese Zviedre. Bauskenieks` Kunst habe dem sowjetischen Slogan „Das Wichtigste ist der Mensch“ entsprochen und er habe diese unersättliche Species aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt. Er malte die menschlichen Schwächen, mit denen sich viele identifizieren können. Zviedre stellt dazu fest: „Anhand der Werke von Bauskenieks können wir erkennen, dass trotz der sich verändernden Zeiten und Regierungen die Standards dessen, was das Individuum und die Familie sein soll, nicht verändert hat und die Art, wie politische Diskurse geführt werden, falsch und abgehoben sind.“ Die Ausstellung gliedert sich in folgende Themen: Der Mensch als Individuum, Mensch und Familie, Mensch und Gesellschaft, Wissenschaft und Zukunft. Die Ausstellung zeigt neben den Bildern auch drei kybernetische Objekte des Amateurfunkers.


UB 

 

 




 
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