Lettisches Centrum Münster e.V.

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Lettische Versorger fürchten die Gaspreise für die kommende Heizsaison
27.07.2022


In der Innenstadt von Rezekne müssen Plattenbaubewohner bereits auf Warmwasser verzichten

Plattenbauviertel in Rezekne, Foto: Oïegs Anosov, Paða darbs CC BY-SA 3.0, Saite

Gas wird es im Winter in Lettland geben, nur wieviel und zu welchem Preis, scheint mancherorts unklar. Ilze Indriksone (Nationale Allianz), die neue lettische Wirtschaftsministerin, zeigte sich im Interview mit LTV am 27. Juli 2022 zuversichtlich: Im Winter werde das Erdgas reichen. Das staatliche Energieunternehmen Latvenergo, das zukünftig die Gasversorgung übernehmen soll, fülle den Gasspeicher von Incukalns; die Regierung habe beschlossen, 1,8 Terrawattstunden Gas zu bestellen und diese seien vertraglich bereits zugesichert (lsm.lv). Fraglich sei nur, wie hoch die Gaspreise ab Januar mit neuen Verträgen ausfallen; das werde die Regierung überprüfen müssen. Der lettische Gesetzgeber hat beschlossen, dass ab Neujahr 2023 lettische Versorger ihr Gas nicht mehr aus Russland beziehen dürfen. Im Frühjahr hatte Wladimir Putin verkündet, dass Gas nur noch gegen Rubel geliefert wird. Lettische Politiker entgegneten, dass kein lettisches Unternehmen in russischer Währung zahlen werde. Dagegen wendete sich wiederum die Rigaer Gazprom-Filiale Latvijas Gaze: Weil die EU-Sanktionsbestimmungen unklar seien, wolle das Unternehmen juristisch prüfen lassen, ob ihm Rubelzahlungen untersagt werden können. Seitdem behauptet Latvijas Gaze, kein Gas aus Russland zu beziehen. Aber  der lettische Gasnetzbetreiber Conex Baltic Grid meldet weiterhin Gasmengen, die über die baltische Pipeline aus Russland ankommen; das Unternehmen dürfe keine Auskunft geben, wer bei Gazprom bestellt hat.


Der Oppositionspolitiker Viktors Valainis (Union der Grünen und Bauern) beurteilt die Energiesituation weniger optimistisch. In der Saeima-Sitzung vom 14. Juli 2022 zweifelte er daran, ob die Regierung im nächsten Winter eine bezahlbare Energieversorgung gewährleisten kann: “Die Gasmenge, die derzeit zur Verfügung steht, reicht bei Weitem nicht aus, um mit den Herausforderungen zurechtzukommen, die uns im Winter erwarten. Es überzeugt bei Weitem nicht, dass das Wirtschaftsministerium und die Regierung insgesamt nicht die geringste Vorstellung davon haben, in welcher Situation sich die lettischen Gemeinden befinden, die lettischen Fernwärmeversorger, wieviele von ihnen Brennstoff gekauft haben und wie hoch die Energiepreise sind [...].” Die Ministerin ermuntere die Gemeinden dazu, bereits jetzt Brennstoffe zu kaufen, egal zu welchem Preis. “Doch vom heutigen Standpunkt aus ist die Lage nicht mehr so einfach, denn meiner Meinung nach wird bald die Möglichkeit, überhaupt etwas zu kaufen, zur größten Herausforderung werden [...] ob Pellets oder Gas... einerlei, für jede Art der Wärmeerzeugung wird es Probleme bereiten, etwas zu kaufen.” Den Gemeinden fehle einfach das Geld, das sei die Realität. (saeima.lv)


Ein Großteil der lettischen Bevölkerung, meistens die weniger Wohlhabenden, lebt in Mikrorajons, in den Plattenbauvierteln, die in sowjetischer Zeit entstanden sind. Diese Wohnkomplexe werden von örtlichen kommunalen Versorgern mit Heizwärme und Warmwasser beliefert. Das spart einerseits die Betriebskosten für die eigene Heizungsanlage, andererseits sind die Bewohner, die meistens Eigentümer ihrer Wohnung sind, vom Fernwärmeversorger abhängig. Selbst “Frieren für die Freiheit”, wie es ein ehemaliger deutscher Bundespräsident forderte, ist für solche Wohnungseigentümer Luxus: Die Heizkörper lassen sich nicht regulieren und sie müssen die Heiztarife zahlen, die der örtliche Versorger bestimmt. Letzte Meldungen aus den lettischen Medien bestätigen Valainis` Verdacht, dass sich die Situation im Winter zuspitzen könnte.


Die Gemeinden kündigen ihre Verträge mit Latvijas Gaze, der Gazprom-Tochter, doch auf der Suche nach Ersatz schauen sie oftmals in leere Röhren. LSM-Journalist Janis Kincis berichtete über die Probleme des Versorgers Sabiedriba Marupe (lsm.lv). Der Kreis Marupe gehört zum Rigaer Speckgürtel. Das Maruper Unternehmen erwog bereits, die Versorgung einzustellen, doch in Verhandlungen mit Kreisvertretern habe man sich auf eine Fortsetzung geeinigt, demnächst erhalten die Kunden neue Verträge mit deutlich höheren Tarifen. Maris Buss, Vorstandsmitglied des Versorgers, beschreibt die Notlage seines Unternehmens: “Alles begann damit, dass der Vertrag mit Latvijas Gaze endete, das nicht mehr den Preis bot, wie er war und dann boten sie einen Monatsvertrag an. Damit ist zu keiner Zeit gewährleistet, ob Gas auch im Winter zur Verfügung steht. Das könnte uns in die Situation bringen, dass wir versprechen, es werde geheizt, doch am Ende erhalten wir keinen Brennstoff und können das Versprechen nicht erfüllen. So sind wir in die Lage geraten, dass wir die Schuldigen sind.” Der Versorger lässt sich vertraglich von seinen Kunden bestätigen, dass er keine Wärme liefern muss, wenn er kein Gas hat, zudem sollen sie Vorauszahlungen leisten. Ähnliche Probleme meldet das Schwesterunternehmen Marupes Komunalie Pakalpojumi, das 32 Wohnkomplexe beheizt (lsm.lv). Es plant, den Tarif ab 1. September um das Zweieinhalbfache auf 320 Euro pro Megawattstunde zu erhöhen. Das ist bislang ein lettischer Negativrekord, den die Regulierungsbehörde noch genehmigen soll. Dace Sveide, Vertreterin des Maruper Unternehmens, beklagt, dass sich auf die erste Ausschreibung für Gaslieferungen gar keine Firma gemeldet habe, auf die zweite nur eine einzige aus Estland. Mit diesem wurde ein Vertrag auf vier Monate zu fixem Preis vereinbart.


Valdis Vitolins, Vertreter des Lettischen Verbands der Wärmeversorger, fürchtet, dass viele Kunden im Herbst schockiert sein werden, wenn sie ihre Rechnungen erhalten. Der Beschluss der Saeima, ab Januar auf russisches Gas zu verzichten, habe bei den Versorgern Ratlosigkeit verursacht, die nun rätseln, wie sie ihre Leistungen noch zu vertretbaren Preisen anbieten sollen. Der Verzicht auf die Lieferungen von Latvijas Gaze habe zu erheblichen Preissteigerungen geführt. “Jetzt besteht reell nur ein einziger Ort, von dem Gas bezogen werden kann, vom [LNG-]Terminal in Klaipeda, in Litauen. Für die größeren Wärmeversorger ist es gewiss eine Herausforderung, Gas zu kaufen, denn einen Vertrag zu schließen ist die eine Sache, eine andere, ob ein solcher Vertrag Gaslieferungen enthält. Deshalb kann die Situation wirklich ernst werden. Andererseits, falls das [estnische LNG-] Terminal von Pabilski in der vorgesehenen Zeit fertiggestellt wird und dort das Gas zu strömen beginnt, dann erleichtert das die Situation,” meint Vitolins.


In der lettgallischen Kleinstadt Rezekne, wo die Bevölkerung ärmer ist als im Speckgürtel von Riga, bereitet die Energieversorgung bereits Schwierigkeiten (lsm.lv). Für die Plattenbaubewohner der Innenstadt wurde die Warmwasserversorgung eingestellt. Ein Heizkostentarif von 128 Euro pro Megawattstunde war für die Bewohner zuviel. Der Fernwärmeversorger Rezeknes Siltumtikliem muss einen Kredit von 1,5 Millionen Euro aufnehmen und kann nicht vorhersagen, ob das reichen wird, um die Wärmeversorgung in den nächsten Monaten sicherzustellen. Die Verantwortlichen hoffen darauf, dass die Preise wieder günstiger werden.


In Daugavpils, Lettgallens Metropole, scheint die Lage ebenfalls angespannt. Städtische Vertreter verlangen von der Regierung, für den Energiesektor den Ausnahmezustand zu verhängen (nra.lv). Die Stadt hat eine Heizzentrale in Betrieb genommen, die Holzpellets als Energiequelle verwendet. Doch auch die Pelletpreise steigen unaufhaltsam. In der letzten Heizperiode betrugen die Kosten für eine Megawattstunde Pelletwärme 14 Euro, derzeit schon 45 Euro und das Ende ist nicht absehbar. Daugavpils siltumtikliem finde derzeit keine Pelletlieferanten, denn die Händler hoffen auf Käufer aus dem Ausland, die mehr zahlen. Deshalb fordert Daugavpils, die Ausfuhr von lettischen Pellets durch Exportquoten zu beschränken.

 

 

 



Information vom 29.7.22:

Aigars Kalvitis, der Leiter von Latvijas Gaze, hat der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass sein Unternehmen seit Juni wieder Gas aus Russland bezieht und in Incukalne einlagert. Latvijas Gaze habe keine Probleme, seine Kunden im Winter zu versorgen. Allerdings kaufe der lettische Versorger das Gas nicht von Gazprom, weil die lettische Regierung nicht erlaubt, in Rubel zu bezahlen, sondern von einem anderen Unternehmen, das die Euro-Zahlung ermögliche. Um welchen russischen Lieferanten es sich handelt, teilte Kalvitis nicht mit. Latvijas Gaze betrachtet diese Information als Geschäftsgeheimnis. (lsm.lv) 

 

 

 


Information vom 31.7.22:

 

Gazprom verkündete am 30. Juli 2022, dass es die Gaslieferungen an Lettland einstellen werde, weil gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen worden sei (lsm.lv). Zugleich meldete Conex Baltic Grid, dass noch Gas fließe, nur weniger. Für Ministerin Indriksone ist das kein Grund zur Besorgnis, man rechne nicht mehr mit russischem Gas. Die inkohärente Informationspolitik verschiedener Seiten führt zu Widersprüchen: Bezog Latvijas Gaze doch das Gas von Gazprom? Wird der Gasspeicher von Incukalns mit Gas aus Russland oder mit Flüssiggas aus Klaipeda befüllt?

 

 

 


Udo Bongartz

 



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