Lettisches Centrum Münster e.V.

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Lettland erhöht den Mindestlohn
03.01.2023


Stadt Daugavpils erwägt, die Schaffner in Bussen und Bahnen abzuschaffen

Straßenbahn in Daugavpils, Foto: Surinok; Александр Зубрицкий; Eigenes Werk CC BY-SA 4.0, Link

Ab 1. Januar 2023 erhalten lettische Lohnabhängige bei Vollzeittätigkeit ein Bruttogehalt von mindestens 620 Euro, das sind 120 Euro mehr als zuvor. Der bisherige Mindestlohn von 500 Euro brutto war nach dem bulgarischen der zweitniedrigste jener 21 EU-Länder, die über eine solche Regelung verfügen. Im letzten Jahr betrug der lettische Brutto-Mindeststundenlohn 2,96 Euro; in den Nachbarländern Estland und Litauen war dieser Betrag mit 3,86 bzw. 4,47 Euro deutlich höher (arbeitsrechte.de). Erwartungsgemäß sind Vertreter von Unternehmerverbänden mit der verordneten Lohnerhöhung unzufrieden. Die Stadt Daugavpils erwägt, die noch tätigen Schaffner in den öffentlichen Verkehrsmitteln abzuschaffen.


Auch für staatliche oder kommunale Unternehmen bedeutet die Mindestlohnerhöhung zusätzliche Ausgaben. Der lettische Verband der Kommunen schätzt die zusätzlichen Kosten auf 35 Millionen Euro (lsm.lv). Unternehmen wie Post, Krankenhäuser oder Hausverwaltungen sind ebenfalls betroffen. Sie müssen die Gehälter jener Angestellten erhöhen, die bislang etwas mehr als das Mindestgehalt verdienten. Zudem, so formuliert es LSM-Journalistin Vita Anstrate, müssten auch die Gehälter besser bezahlter Mitarbeiter erhöht werden, um "die Unterschiede zu wahren". Die soziale Hierarchie soll offenbar gewahrt bleiben.  


Der Verkehrsbetrieb der Stadt Daugavpils beschäftigt noch etwa hundert Schaffner in seinen Bussen und Bahnen. Die Fahrkartenverkäufer und -kontrolleure, die auch für Sicherheit in den öffentlichen Verkehrsmitteln sorgen, werden der Stadtregierung nun zu teuer. Im letzten Jahr gab sie eine Million Euro für ihre Gehälter aus. Die Mitarbeiter, die bis zum Oktober den Mindestlohn erhielten und seitdem etwas mehr verdienten, müssen nun nach deutlich erhöhtem Mindestlohn bezahlt werden. Im letzten Jahr gab die Stadt eine Million Euro aus, um die Schaffner zu bezahlen. 2023 soll der Betrag auf 1,5 Millionen ansteigen. Nun erwägen die Stadtpolitiker, ein elektronisches Bezahlsystem einzuführen, wie es in anderen Städten längst üblich ist. Übrigens wäre das im volkswirtschaftlichen Sinne eine Steigerung der Produktivität: Die Dienstleistung Personentransport könnte durch diese Technisierung kostengünstiger geleistet werden.


Anstrate wies auf Zahlen des Zentralen Statistikamts Lettlands hin. Demnach erhielten 32.500 lettische Lohnabhängige im letzten Oktober nur den Mindestlohn. Dreimal so hoch war die Zahl der geringfügig Beschäftigten, die im Monat weniger als 500 Euro erzielten. Dazu zitiert die Journalistin die gerade ernannte Sozialministerin Evika Silina (Jauna Vienotiba): "Das sind einfach geringfügige Tätigkeiten, bei denen die Einkommen der Betroffenen tatsächlich geringer sind. Wie ich sagte, falls es sich stundenweise Arbeit handelt, dann kommen sie nicht auf eine volle Auslastung. Die Art, wie ein Mensch seine Einkünfte zusammenstellt, liegt auch in seiner Verantwortung. Ob er mehr hinzu arbeitet, damit er die Stunden ansammelt, um ein größeres Gesamteinkommen zu erzielen. Das Hauptziel ist, den Wohlstand in Lettland zu mehren." Die Ministerin schreibt also zu geringe Einkommen "auch" der Eigenverantwortung zu. Diese Erklärung dürften manche Lohnabhängige anzweifeln, die sich vergeblich um einen Vollzeitjob bemüht haben.


Erwartungsgemäß kritisieren Vertreter der Unternehmerverbände die verordnete Lohnerhöhung. So meint Andris Bite, Präsident der Konföderation lettischer Arbeitgeber: "Das ist die Frage Nummer eins für Unternehmer: Wie kann man die Arbeit unter den Umständen einer enormen Inflation, Materialkosten, Anstieg der Rohstoffpreise mit der Aussicht, Produkte zu verkaufen und den Lohn der Beschäftigten zu erhöhen, in Einklang bringen? Das ist eine Frage des Prinzips. Die Angelegenheit darf nicht vor Wahlen populistisch entschieden werden." Im nächsten Jahr soll der monatliche Bruttomindestlohn auf 700 Euro steigen. Insgesamt stiegen die lettischen Löhne und Gehälter in den letzten Jahren im EU-Vergleich überdurchschnittlich. Dies führt aber nicht zwangsläufig zu mehr allgemeinen Wohlstand, wenn der Lohnzuwachs höher ist als die Produktivitätssteigerung, wie es Ökonomen in Osteuropa allgemein beobachten.  


Udo Bongartz 




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