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Lettland: Exportrekord - dennoch im Minus
26.11.2020


Mit Kabotage-Fahrten die deutschen SUV-Importe ausgleichen

Ein Autotransporter, Foto: Norbert Schnitzler; Eigenes Werk,

C BY-SA 3.0, Link

Die lettische Wirtschaft konnte im September 2020 mit 1,28 Milliarden Euro einen Exportrekord verzeichnen. Die gefragtesten Güter aus Lettland sind Holz und Holzprodukte, Elektrotechnik, mechanische Einrichtungen und Getränke. Die Außenhandelsbilanz blieb aber weiterhin negativ: In derselben Zeit wurden Waren im Wert von 1,43 Milliarden Euro importiert. Zwar hatte die mittlere Baltenrepublik gegenüber 121 Handelspartnern eine positive Exportbilanz, doch das Defizit mit weiteren 47 Staaten war größer. Zu den Handelspartnern, bei denen die Bilanz aus lettischer Sicht stets negativ ausfällt, gehört Deutschland als drittwichtigster Exporteur hinter Litauen und Polen. Die meiste Ware lieferten die Letten an seine baltischen Nachbarn Litauen und Estland, dahinter folgten Russland und Deutschland.

Immerhin konnten die lettischen Firmen ihr Exportdefizit gegenüber Deutschland von mehr als 70 Millionen Euro im September 2019 auf etwa 40 Millionen im letzten September verringern.

 

Ein Jahrzehnt nach der Finanzkrise sind die Defizite deutlich kleiner geworden; dazu trugen allerdings auch Dienstleistungen bei, die Lettinnen und Letten für ihre Herkunftsfirmen in anderen EU-Ländern verrichten. Osteuropäer sind auf diese Arbeit im Ausland angewiesen, um die Handelsbilanzdefizite gegenüber Exportüberschussländern wie Deutschland oder die Niederlande auszugleichen und insgesamt zu einer annähernd ausgeglichenen Leistungsbilanz zu gelangen, die neben dem Handel auch die Dienstleistungen beziffert.

 

Lettische Außenhandelsbilanz von September 1919 bis September 2020 in Millionen Euro

 

Quelle: cbs.gov.lv


Dies führt wiederum zum Ärger zwischen international konkurrierenden Kolleginnen und Kollegen in einigen Branchen. Das habe ich vor einigen Wochen in einem Telepolis-Artikel beschrieben: Die sogenannten Kabotage-Fahrten der Lkw-Faher im Ausland sind für manche osteuropäischen Spediteure zum Geschäftsmodell geworden (telepolis.de). Die deutlich niedrigeren Löhne und Sozialstandards für ihre Fahrer verschaffen Vorteile auf den westeuropäischen Straßen, wo ansässige Transportunternehmen kaum noch konkurrieren können.  

 

Die EU will für das ganze Logistik-Gewerbe bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen. Lettische Politiker stimmten aber im EU-Parlament dagegen, weil sie solche Regelungen als Protektionismus der Länder betrachten, die ein hohes Lohnniveau aufweisen. Diese Konkurrenz zwischen Lohnabhängigen verdeutlichen die Schattenseiten des EU-Binnenmarkts, der auf ökonomische und nicht auf soziale Kriterien ausgerichtet ist.  

 

Leistungsbilanzen in Prozent vom BIP ausgewählter EU-Länder 2019

  

Quelle: Eurostat

Die sogenannte Bolkestein-Richtlinie, die Anbietern von Dienstleistungen erlaubt, ihre Beschäftigten im EU-Ausland nach den Löhnen und Sozialtarifen des Herkunftslandes anzubieten, ermöglicht solche Zustände. Solche Bestimmungen organisieren den Wettbewerb zwischen EU-Ländern zulasten der Solidarität der Lohnabhängigen. Gewerkschafter und Globalisierungskritiker hatten gegen diesen Beschluss des EU-Parlaments im Jahr 2006 vergeblich protestiert. Auf dieser rechtlichen Grundlage kann ein Race to the Bottom bis hin unzumutbaren Arbeitsbedingungen entstehen, das betrifft nicht nur Lkw-Fahrer, die Fleischbranche lässt grüßen. Eine ehrliche EU-Politik, die sich um die Akzeptanz und Solidarität ihrer Bürgerinnen und Bürger bemühte, müsste sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, weshalb einige Länder, Deutschland voran, mit Exportüberschüssen chronisch den internationalen Handel destabilisieren, andererseits müsste sie verhindern, dass sich Lohnabhängige verschiedener Herkunftsländer in den Ruin konkurrieren.

UB


 




 
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