Lettland: Trotz hoher Covid-19-Inzidenzzahlen erwägt Regierung Lockerungen
03.02.2022
Situation auf den Intensivstationen "verhältnismäßig normal"
Eingang zum Stradina-Klinikgelände, Foto: UB
Am 2. Februar 2022 verkündete das lettische Zentrum für Krankheitsprophylaxe und -kontrolle (SPKC) erstmals eine fünfstellige Zahl von Neuinfektionen (lsm.lv). 10.610 Menschen wurden am Montag positiv getestet; 23 starben an diesem Tag aufgrund einer Covid-19-Infektion; darunter zwei im Alter zwischen 40 und 49 Jahren und drei zwischen 50 und 59. Die 14tägige Inzidenzzahl pro 100.000 Einwohner ist inzwischen bei 5.190 angelangt. Doch die Situation in den Krankenhäusern ist nach Angabe des Gesundheitsministers Daniels Pavluts "stabil". Die Omikron-Infektionszahlen sind mit jenen der vorherigen Virus-Varianten offensichtlich kaum vergleichbar. Daher diskutiert die lettische Regierung über Lockerungen des Pandemie-Ausnahmezustands, der noch bis zum 28. Februar 2022 in Kraft ist.
Pavluts wertete im Interview mit LSM die Situation in den Kliniken als "verhältnismäßig normal" (lsm.lv). Die Auslastung der Intensivabteilungen betrage derzeit 52 Prozent und es gebe keine Überlastungen; die Gesamtzahl der Covid-19-Patienten sei nicht zu interpretieren wie bei früheren Pandemie-Wellen. Für einen beträchtlichen Anteil der positiv getesteten Patienten ist Covid-19 nicht der Grund, weshalb sie stationär behandelt werden müssen. Angespannt sei die Situation allerdings bei der ersten Anlaufstation, den Hausärzten. Ihre Belastung sei doppelt so hoch wie bei einer Grippewelle. Auch die Rettungsdienste vermelden gegenüber dem bereits pandemiebelasteten Dezember eine weitere Zunahme der Notrufe; ein Drittel der Anrufe betrifft Kinder.
Im Ministerkabinett gehört Pavluts allerdings weiterhin zu den Mahnern. Nach der Kabinettsitzung vom 31. Januar 2022 meinte er: "Bei einer solch großen Zahl von Erkrankten dürfen wir keine Umstände schaffen, unter denen sich das Virus deutlich leichter verbreiten kann oder mit anderen Worten: Das Feuer mit dem Benzinkanister zu löschen wäre absolut unverantwortlich. Eine unsrerer Aufgaben ist es derzeit, die enorme Welle zu glätten, um die Grenzen unsreres Systems nicht noch im größereren Maß zu überschreiten." (lsm.lv)
Doch Oppositionspolitiker und auch manche Kabinettskollegen fordern die Aufhebung oder zumindest wesentliche Lockerungen der Corona-Bestimmungen. Noch gilt das "rote" und "grüne" Regime, das Menschen ohne Covid-19-Zertifikat weitgehend vom öffentlichen Leben ausschließt. Am 7. Februar 2022 will das Kabinett das weitere Vorgehen besprechen. Ministerpräsident Krisjanis Karins formulierte nach der Sitzung vorsichtigen Optimismus: "Auf diesen Tatsachen gestützt hofft die Regierung im Februar eine Ausstiegsstrategie aus den Covid-19-Sicherheitsmaßnahmen auszuarbeiten und zu beschließen, alle Plus- und Minuspunkte dessen abwägend, was wir weiterhin zu tun haben." (lsm.lv) Druck zur Lockerung kommt auch aus den baltischen Nachbarländern, die ebenfalls die Aufhebung der Pandemiebeschränkungen planen. Litauen erwägt bereits, auf Covid-Zertifikate zu verzichten (lsm.lv). Karins will sich am 4. Februar 2022 mit seinen Amtskollegen aus Estland und Litauen treffen, um ein gemeinsames Vorgehen zu besprechen.
Aigars Rostovskis, Vorsitzender der Lettischen Industrie- und Handelskammer (LTRK), fordert gleichfalls baldige Lockerungen. Die Zeit des roten und grünen Regimes, die den Handel aufteile, müsse endlich der Vergangenheit angehören. Falls die Nachbarländer früher agierten, bedeutete das einen weiteren Rückschlag für die lettische Wirtschaft. Dann müsse man damit rechnen, dass Arbeitskräfte das Land verlassen; die Pandemie sei zwar nicht die Ursache für fehlende Arbeiter und Angestellte, doch jetzt werde der Mangel "extrem" akut. Doch das wichtigste aktuelle Problem der Unternehmen seien die steigenden Energiepreise. (lsm.lv)
Bislang haben sich seit dem Ausbruch der Pandemie 412.402 Menschen in Lettland nachweislich mit Covid-19 infiziert; 4.911 von ihnen starben an der Krankheit. 68,04 Prozent der Einwohner sind vollständig geimpft, 23,77 Prozent erhielten eine Verstärkungsdosis. Ähnlich wie in den deutschsprachigen Ländern agitieren Skeptiker hierzulande gegen das Impfen.
Am 1. Februar 2022 verkündete die Regierung, mehrere hunderttausend Dosen der Impfmittel Astra Zeneca und Janssen an Tunesien, Bangla Desh, Moldawien und die Ukraine zu spenden (lsm.lv). Bislang hat Lettland Impfmittel an Albanien, Benin, Ägypten, Georgien, Kenia, Vietnam und schon einmal an Moldawien und Tunesien geliefert. Diese Spenden sind Teil des internationalen Covax-Programms, das vorsieht, ärmeren Ländern Impfstoffe kostenlos zur Verfügung zu stellen. Die lettische Regierung begründet diese Lieferungen mit eigenen Sicherheitsinteressen und dem Wunsch, mit verschiedenen Weltregionen zu kooperieren.
Doch für Kritiker sind solche Lieferungen aus den wohlhabenderen Teilen des Planeten nur ein Feigenblatt, die den allgemeinen Nationalismus und dessen Folgen nicht verhehlen können. Dabei spielt auch Deutschland eine unrühmliche Rolle, das sich weigerte, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe für ärmere Länder aufzuheben. Die Nichtregierungsorganisation Medico International interviewte den südafrikanischen Menschenrechtsaktivisten Mark Heywood, der beschrieb, wie die wohlhabenden Nationen des Westens sein Land behandelten, nachdem dort die Forscher das Omikron-Virus entdeckt hatten: "Bedauerlicherweise haben wohlhabende und mächtige Länder genau so reagiert, wie sie es in der gesamten Pandemie tun: Sie handeln unvernünftig, willkürlich und unwissenschaftlich. Sie orientieren sich ausschließlich an dem, was sie für ihr Eigeninteresse halten. In all dem liegen sie jedoch vollkommen falsch. Die Folgen der Reiseverbote für Südafrika sind massiv. [...] Das trifft unzählige Menschen ganz unmittelbar, es kostet Jobs und erzeugt neue Nöte. Die Maßnahmen haben also verheerende Folgen – nur eines haben sie ganz bestimmt nicht bewirkt: die Ausbreitung von Omikron zu verhindern. Als die Mutation in Südafrika entdeckt wurde, war sie in Europa und anderswo längst virulent." (medico.de)
UB
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