Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Ombudsmann Juris Jansons kritisiert die geringen Sozialleistungen in Lettland
16.09.2022


“Verhöhnung der Verfassungsgerichtsurteile”

Eurostat-Daten zur Armutsgefährdungsquote des Jahres 2018

Das Verhältnis der Letten zu ihren Politikern ist seit langem von Misstrauen geprägt. Im letzten November ermittelte das Umfrageinstitut SKDS, dass nur 16 Prozent der Befragten Vertrauen zu Saeima-Abgeordneten und nur 17 Prozent zur Regierung haben. Mit diesem mageren Ergebnis erreichte das Kabinett des Ministerpräsidenten Krisjanis Karins immerhin bessere Werte als das vorhergehende von Maris Kucinskis (lsm.lv). Die soziale Lage eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung dürfte einen gewichtigen Grund dafür darstellen, dass die Demoskopen solche Ergebnisse liefern. Lettland gehört zu den sozial ungleichsten Ländern der EU. Minister und Abgeordnete zeigen wenig Bemühen, diesen für viele Menschen frustrierenden Zustand zu ändern. Juris Jansons, Ombudsmann für Menschenrechte, kritisiert, dass die jetzige Regierung trotz enormer Inflation die Einkommenserhöhung für die Bedürftigsten verzögert. Er verlangt deutlich höhere Bezüge (tiesibsargs.lv).

Jansons wies darauf hin, dass Regierung und Saeima die Rentenanpassung auf August vorgezogen haben. Grund ist die galoppierende Inflation, die im Juli 21,5 Prozent erreichte, eine der höchsten Raten in der EU. Der Ombudsmann kritisiert, dass die Lage der sozial Bedürftigsten außer acht bleibt. Er verlangt schnelles Handeln von der Regierung Karins`, die sich mindestens noch bis zur Wahl am 1. Oktober im Amt befindet. Die staatlichen Sozialleistungen verharren nämlich auf dem Niveau von 2018. Das kommunale garantierte Mindesteinkommen, das monatlich 109 Euro für den Haushaltsvorstand und 76 Euro für Personen im Haushalt beträgt, wird überwiegend Behinderten ausgezahlt. Jansons fordert, es bereits ab nächsten Monat zu erhöhen. Die Mindestrente und die Unterstützungszahlungen aus der Sozialversicherungskasse sollten nicht erst ab Mai, sondern bereits ab Januar der Inflation angepasst werden.

Der Gesetzgeber erhöhte 2020 das garantierte Mindesteinkommen von 64 Euro auf 109 Euro. Zuvor hatte Jansons vor dem Verfassungsgericht geklagt, weil die lettischen Sozialleistungen keine menschenwürdige Existenz gewährleisteten, obwohl Lettland laut Verfassung ein Sozialstaat ist. Auch wenn die Kommunen zusätzliche Leistungen wie Wohngeld gewähren, so bleibt doch fraglich, ob sich von 109 Euro Mindesteinkommen in Lettland menschenwürdig leben lässt und ob man bei der derzeitigen Inflation mit solchen Beträgen überhaupt noch über die Runden kommen kann. Jansons hat kein Verständnis für die Haltung der verantwortlichen Politiker: “Dass eine solche Verzögerung sich abspielt, ist im Wesentlichen eine offene Missachtung, sogar Verhöhnung der Verfassungsgerichtsurteile.”

Sozialminister Gatis Eglites (Die Konservativen) reagierte auf die Kritik, deutete an, dass schon die Absicht bestehe, die Anpassungen früher vorzunehmen, aber dafür bislang kein Geld im Staatsbudget vorgesehen sei. Er hoffe, dass die kommende Regierung darüber entscheiden werde (nra.lv).

Lettland war 2018 laut Eurostat hinter Rumänien* das EU-Land mit der zweithöchsten Armutsquote, die offiziell beschwichtigend Armutsgefährdungsquote lautet (ec.europa.eu). Die relative Armut beginnt, wenn Einwohner eines Landes weniger als 60 Prozent vom nationalen Median-Einkommen beziehen. Nach Auszahlungen der Sozialleistungen verharrten damals in Lettland 23,3 Prozent in relativer Armut, waren also deutlich ärmer als durchschnittlich verdienende Mitbürger, was die soziale Spaltung befördert. Die Armutsgefährdungsquote der gesamten EU betrug 16,8 Prozent, in Deutschland 16 Prozent, in Österreich 14,3 Prozent. Dass postsozialistische Länder nicht zwangsläufig eine vergleichsweise hohe soziale Ungleichheit aufweisen, verdeutlichen Ungarn mit 12,8 Prozent, die Slowakei mit 12,2 Prozent und Tschechien mit 9,6 Prozent. Tschechien hatte 2018 die geringste Armutsgefährdungsquote der gesamten EU.

``An dieser Stelle war irrtümlicherweise Bulgarien angeführt. 

Udo Bongartz



 




 
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