Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Lettland: Gleiche Steuersätze vergrößern Ungleichheit - Eurostat verglich Steueraufkommen der 27 EU-Länder
26.05.2012


Saeima in Rigas AltstadtIn jedem Jahr veröffentlichen die Statistiker der Europäischen Kommission und Eurostat zahlreiche Tabellen, die die staatlichen Einnahmen der 27 EU-Staaten auflisten. Ein Fazit für Lettland lautet: Die mittlere Baltenrepublik ist nach wie vor ein Niedrigsteuerland. Das erfreut Spitzenverdiener, die wie Normalverdiener lediglich 25 Prozent ihres Einkommens dem lettischen Finanzamt überlassen müssen. Politiker lettischer Regierungsparteien tabuisieren die Einführung einer progressiv gestaffelten Einkommenssteuer. 2010 betrug der Anteil der Steuereinnahmen am Bruttoinlandprodukt gerade mal 27,3 Prozent, das ist nach Litauen (27,1) und Rumänien (27,2) das drittniedrigste Steueraufkommen im gesamten Wirtschaftsraum (Der EU-Durchschnitt beträgt 38,4 Prozent, Deutschland 38,1, Österreich 42, Spitzenreiter Dänemark 47,6). Hinzu kommt, dass der lettische Fiskus den Faktor Kapital schont: Nur 7,4 Prozent der Kapitalerträge wurden 2010 versteuert. Nur litauische Finanzämter waren mit 6,8 Prozent noch genügsamer. (EU-Durchschnitt 23,3 Prozent, Estland 9,1, Deutschland 20,7; Österreich 24,1; Frankreich 37,4). Selbst Ir-Journalist Pauls Raudseps, der die lettische Wirtschaftspolitik meistens wohlwollend kommentiert, bemängelt die lettische Art, Bürger zu besteuern.

In der lettischen Saeima in Rigas Altstadt werden fragwürdige Steuergesetze beschlossen, Foto: LP

 

Das Mantra der zu hohen Steuern

Im letzten Jahr vertrieben die lettischen Bürger mit Protesten und einer Neuwahl ihre Oligarchen aus der Politik. Doch die nun regierenden Parteien, die mit Anti-Oligarchenpropaganda Erfolge erzielten, setzen eine Steuerpolitik fort, die den Reichen im Lande weiterhin gefallen dürfte. Ihr Vermögen wird vom lettischen Fiskus mit Samthandschuhen angefasst - wenn es nicht ohnehin längst auf Offshore-Inseln verfrachtet wurde, auf denen man das Wort „Finanzamt“ erst einmal buchstabieren muss. Die Folge ist, dass die Regierung nicht imstande ist, einen Sozialstaat aufzubauen, der seinen Bürgern im Notfall beiseite stehen könnte. Auch im Hinblick auf die Einkommensunterschiede, die Lettland stärker in Arm und Reich aufspalten als die meisten übrigen EU-Länder, sieht das Kabinett des Regierungschefs Valdis Dombrovskis offenbar keinen Handlungsbedarf. Stattdessen tönt - wie im Deutschland der 90er Jahre - das Mantra der zu hohen Steuern. Für den 1. Juli verspricht Finanzminister Andris Vilks die Senkung der Mehrwertwertsteuer um ein Prozent. Offenbar sehen nicht nur linke Kritikaster eine solche Finanzpolitik skeptisch.

 

Steuereinahmen ausgewählter EU-Länder im Jahr 2010 (in Prozent vom BIP, Eurostat-Angaben)

EU-Durchschnitt

38,4

Litauen

27,1

Rumänien

27,2

Lettland

27,3

Irland 28,2
Griechenland 31,0
Deutschland 38,1

Österreich

42,0

Italien

42,3

Dänemark

47,6

Steuerdumping für den internationalen Wettbewerb

Raudseps, der in den letzten Jahren die drastische Sparpolitik verteidigte, sieht die Sache ähnlich: Was die Besteuerung von Dividenden und Zinserträgen betrifft, gehört der lettische Staat zu den bescheidensten Steuereinnehmern der EU. Auch die Abgaben für Soziales sind niedriger als in den meisten übrigen Ländern. Das alles werde damit begründet, dass Lettland so seine Wettbewerbsfähigkeit stärke. Doch Raudseps führt als Gegenargument an, dass der wirtschaftlich erfolgreichere Nachbar Estland seit 1995 mehr Steuern eintreibt. Der Wirtschaftsjournalist weiß auch, wo der lettische Fiskus zuschlägt. Die Finanzbeamten halten sich nämlich an den Niedriglöhnern schadlos: „Aber es gibt einen Bereich, in welchem sich Lettland unter Europas Hochsteuerländern einreiht: Die Steuerlast auf Arbeitskräfte oder, präziser ausgedrückt, auf Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen. Bezüglich dieser Kennzahl steht Lettland an achter Stelle in der EU und überholt sowohl den EU-Durchschnitt als auch die übrigen baltischen Staaten deutlich. Gerade unter dieser Voraussetzung lässt sich eine stichhaltige Erklärung für die Verbreitung der Schattenwirtschaft in Lettland finden. Die unverhältnismäßig hohe Steuerlast gerade für Arbeitnehmer mit geringem Einkommen schafft eine große Versuchung, den Arbeitslohn vor dem Staat geheimzuhalten. Dabei ist die Kombination aus hohen Steuern für Arbeitnehmer und sehr geringen für Kapitaleinkünfte ein wesentlicher Faktor, weshalb Lettland im Jahr 2010 als das Land mit der zweithöchsten Einkommensungleichheit in der EU dastand.“

***

Das unsoziale Steuer-Dumping, das Regierungen einzelner Länder innerhalb der EU betreiben, ist ein gewichtiges Argument für eine einheitliche EU-Steuerpolitik. Nur so können Sozialstaaten gesichert bzw. aufgebaut werden.

 

Externe Linkhinweise:

ir.lv: Vieglais slogs

ec.europ.eu: Developments in the Member States

eurostat.ec.europa.eu: Steuerentwicklungen in der Europäischen Union




 
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