Lettland: Bahnchef Nils Freivalds trat nach Warnungen der EU-Kommission zurück
19.05.2012
Nils Freivalds, Vorstandsvorsitzender der Pasažieru vilciens (PV), der staatlichen Eisenbahn-AG, die für den lettischen Personenverkehr zuständig ist, hat dem Verkehrsminister Aivis Ronis am 18.5.12 seinen Rücktritt erklärt. Er zieht damit die Konsequenz aus den seltsamen Machenschaften, die die geplante Anschaffung neuer Elektro- und Dieselzüge begleiten. Das PV-Management hatte Anfang April nach längerer Verzögerung Kauf- und Wartungsverträge mit dem spanischen Hersteller Construcciones y Auxiliar de Ferrocarriles (CAF) geschlossen. Bereits die Umstände, unter denen CAF im letzten Jahr die Ausschreibung gewonnen hatte, erweckten Argwohn. Die von Freivalds bestimmte Auswahljury schloss zwei Mitbewerber aus und akzeptierte nur das Angebot dieser spanischen Firma, das nicht besonders günstig schien. Mehr als 600 Millionen Euro muss PV für Kauf und Wartung 34 neuer Elektro- und 7 Dieselzüge zahlen, die ab 2014 über lettische Gleise rollen sollen. Später ist die Produktion weiterer 16 Dieseltriebwagen vorgesehen. Doch nun schickte die EU-Kommission der lettischen Regierung einen Brief. Die Mitfinanzierung aus dem EU-Kohäsionsfonds sei gefährdet, weil die geschlossenen Verträge gegen EU-Bestimmungen verstießen und im Projektantrag falsche Preisangaben gemacht worden seien.
Die lettischen Passagierzüge stammen noch aus sowjetischer Produktion, Foto: LP
Freivalds nannte Sorgen um EU-Finanzierung "theoretisch"
Freivalds hatte noch wenige Tage vorher den lettischen Verkehrsminister Aivis Ronis beschwichtigt. Die Mitfinanzierung durch den EU-Kohäsionsfonds betreffe nur den Kauf der Züge, nicht deren Betrieb, berichtete pietiek.com noch am 14.5.12. Sie sollen 206 Millionen Euro kosten, 143 Millionen dieser Summe würden von der EU erstattet. Ein zweiter Vertrag über die Wartung der Triebwagen, der eine 30jährige Laufzeit hat, sei davon gar nicht betroffen. Die Sorge, dass die EU die Zahlung verweigere, sei nur eine "theoretische". Freivalds warnte seinerseits vor Regressforderungen der Spanier und erklärte die Einhaltung der Vertragsbestimmungen zur Prestigefrage. Tatsächlich drängt Minister Ronis darauf, den veralteten Zugpark zu modernisieren. Das vereinbarte Geschäft käme auch der lettischen Wirtschaft zugute. Die Verträge sehen vor, dass die Rigaer Waggonbaufabrik einen Teil der Produktion übernimmt. So würden neue Arbeitsplätze entstehen. Die lettischen Zug- und Waggonbauer sind bislang damit beschäftigt, Züge aus sowjetischer Zeit zu reparieren und zu erneuern. Sie könnten nun mit spanischer Hilfe neuere Technik kennenlernen, um international wettbewerbsfähig zu werden. Doch Ir-Journalistin Anita Brauna sammelte in ihrem Artikel vom 1.2.12 die Meinungen der Kritiker: Freivalds hatte für das Ausschreibungsverfahren die Auswahl-Jury neu besetzen lassen. Diese akzeptierte - aus zweifelhaften Gründen - nur das Angebot der spanischen CAF. Kritikern erschien der Kauf zu teuer und die technische Qualität der Züge fragwürdig. Der geplante Vertragabschluss zwischen PV und CAF wurde mehrmals verschoben, Mitarbeiter von Ministerien und Behörden äußerten ihre Skepsis, doch Freivalds wiegelte Kritik stets ab. Die Regierung bat das PV-Management, detaillierte Angaben zu machen. Doch Freivalds ließ keine Änderungen im Vertragstext zu.
Rigas Waggonbaufabrik (R?gas Vagonb?ves r?pn?ca) im Stadtteil Purvciems könnte eine Modernisierung und neue Aufträge vertragen, Foto: LP
Vielleicht muss sogar die Ausschreibung wiederholt werden
Schließlich erhielt der lettische Finanzminister Andris Vilks am 17.5.12 eine "ernsthafte Warnung" der EU-Kommissare. Die Verträge verletzten EU-Bestimmungen und die finanziellen Angaben seien nicht korrekt. Die EU droht, die Zahlung zu verweigern, dann müsste die lettische Regierung den fehlenden Betrag selbst finanzieren. Die Verantwortlichen in Brüssel fordern Lettland auf, Alternativen zu suchen. Das könnte sogar bedeuten, dass die Ausschreibung wiederholt werden muss. Das Finanzministerium hatte bereits zuvor Bedenken geäußert, dass das Geschäft für den lettischen Staat "unvorteilhaft" sei. Das Verkehrsministerium hielt solche Zweifel hingegen für "übertrieben". Gatis Dre?is kommentierte unter dem Titel "Über Wahrheit und Lügen - auch Nils Freivalds hat gelogen!" am Tag der Entlassung des Bahnchefs auf pietiek.com: "Derzeit ist ein großer Wirbel um die Zugkäufe entstanden, und jeder Einwohner Lettlands hat einen verständlichen Wunsch - Klarheit zu erhalten über das Vorgefallene. Niemand von uns, kein lettischer Einwohner, möchte, falls die Europäische Kommission Sanktionen ergreift, 50 Lats (71 Euro) zum Ausgleich der Verluste nur deshalb aufbringen, weil einige Personen nicht imstande sind, selbstverständliche Dinge zu regeln - einen Vertrag zu schließen, der den Ausschreibungsbedingungen entspricht!"
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Externe Linkhinweise:
delfi.lv: Vilcienu iepirkuma nedienas: Latvija sa?em nopietnu br?din?jumu no EK
delfi.lv: FM: D?rgo vilcienu iepirkum? uz??mums nav iev?rojis vald?bas nor?d?jumus
pietiek.com: Par paties?bu un meliem – samelojas ar? Nils Freivalds!
pietiek.com: Vald?ba per ned??as lems par 600 miljonu eiro v?rt? vilcienu iepirkuma p?rtraukšanu
ir.lv: Premjers: Par d?rgajiem pasažieru vilcieniem Latvijai var n?kties bargi maks?t
ir.lv: Parakst?ts jauno pasažieru vilcienu pieg?des l?gums
ir.lv: Freivalds pilnvarots sl?gt l?gumu par jauno vilcienu iepirkumu
financenet.lv: Freivalds iesniedzis atl?gumu
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