Lettland: Dümpeln mit dem Euro
19.07.2013
Am 9.7.13 beschlossen die Finanzminister der 27 EU-Staaten, dass Lettland ab Beginn 2014 den Euro erhält. EU-Vertreter begrüßen die Entscheidung. Beim wechselseitigen Lobgesang zwischen EU-Kommission und lettischer Regierung fragt es sich, wem die Ehre denn nun gebührt: Der Eurozone, die sich als vertrauenswürdig darstellt, weil trotz ihrer massiven Probleme Länder sich tatsächlich noch an ihr beteiligen wollen oder Lettland, das die neoliberalen Ökonomen als Modell preisen, das zeige, wie man sich aus einer Finanz- und Wirtschaftskrise herausspare. Artikel, die die lettische Wirtschaftspolitik rühmen, sind allenthalben in der deutschen Presse zu finden. Doch die Verhältnisse sind nicht so eindeutig. Eine Minderheit lettischer und deutscher Ökonomen sieht diese Erweiterung der Eurozone kritisch. Am Jahresanfang wird sich in Lettland zunächst kaum etwas ändern, die nationale Währung Lats ist seit 2004 eng an den Euro gebunden. Der lettische Gesetzgeber untersagt es, die Währungsumstellung für unbegründete Preiserhöhungen zu missbrauchen. Für Export- und Importfirmen, die mit der Eurozone handeln, entfallen Umtauschgebühren und Ärger mit der Buchhaltung. Doch der endgültige Übergang zum Euro bedeutet auch den endgültigen Verzicht auf die Abwertung einer selbstständigen nationalen Währung. Die Südeuropäer erfahren gerade bitter, was das bedeutet.
Fabrikgelände in Riga, Foto: LP
Spanien oder Zypern?
Die Mehrheit der lettischen Bevölkerung lehnt den Euro ab, die Führungsschicht will ihn. Euro-Kritiker sind aber auch unter lettischen Ökonomen zu finden. J?nis Ošlejs warnt in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur LETA davor, dass Lettland die Irrtümer Spaniens und Zyperns wiederhole. Am Anfang sei es den Staaten gut ergangen, doch Fehler in der ökonomischen Entwicklung hätten dann große Probleme verursacht. Spanien habe sich auf den Immobilienmarkt konzentriert und Zypern auf Kapitalanleger aus dem Ausland. Auch Lettland konzentriere sich auf diese beiden Geschäftsfelder, das könne zu ähnlichen Szenarien führen. „Wir wiederholen die Modelle anderer erfolgloser Länder der Eurozone.“ - und das eigene, müsste man hinzufügen, schließlich war schon der letzte Absturz der lettischen Wirtschaft mit einer Immobilien- und Kreditkrise verbunden. Ošlejs empfiehlt, sich an Deutschland zu orientieren, das seinen industriellen Bereich gefördert habe. Außerdem beklagt er, dass Lettland viel Geld verlieren könne, weil es dann Pflichtzahlungen in die Euro-Stabilisierungsfonds leisten müsse. Ministerpräsident Valdis Dombrovskis hatte solche Zahlungen als ethische Verpflichtung dargestellt. Schließlich hätten die EU und einzelne europäische Länder in den Jahren der Parex-Krise auch dem eigenen Land Kredite gewährt. Doch diese wurden nur unter strikten Bedingungen überwiesen, waren mit drastischen Kürzungen im Staatsbudget, Lohnsenkungen und Arbeitslosigkeit verbunden.
Derzeitige lettische Steuersätze
Unternehmenssteuern |
15% vom versteuerbaren Einkommen Für Nichtbürger 2% - 15%. |
Einkommenssteuer |
24% für Lohnempfänger als Flattax (auch für selbstständige wirtschaftliche Tätigkeiten); 10 % von Kapitaleinkünften ohne Zuwachs, 15 % von Kapitalzuwächsen |
Sozialabgaben |
Obligatorischer Einzahlungssatz: 35,09%, wenn der Arbeitnehmer alle sozialen Versicherungsarten in Anspruch nimmt, wovon: 24,09% - der Arbeitgeber; 11% - der Arbeitnehmer zahlen muss |
Mehrwertsteuer |
21%, ermäßigt 12% |
Datenquelle: vid.gov.lv In Lettland gilt wie in vielen osteuropäischen Ländern bei der Einkommenssteuer die "Flattax". Das heißt: Arbeitnehmer mit geringem Einkommen müssen prozentual einen gleich großen Steuersatz zahlen wie Besserverdiener. Bei den Unternehmenssteuern herrschen irische Verhältnisse, mit relativ niedrigen Sätzen sollen Investoren gelockt werden.
Im gefährlichen Club der Steuer-Discounter
Quo vadis, Lettland? Mit niedrigen Steuern Investoren und Anleger locken? Das scheint der wirtschaftspolitische Kurs zu sein. Dieser wird vom grünen EU-Abgeordneten Sven Giegold und seinem französischen Kollegen Jean-Paul Besset scharf kritisiert: „Mit großer Sorge sehen wir vor allem die Unternehmensbesteuerung und den steuerlichen Umgang mit Dividenden. In dieser Hinsicht müssten wir bereits durch die nicht-kooperative Steuergesetzgebung in Irland, Luxemburg, Malta und den Niederlanden alarmiert sein. Die lettischen Regeln werden das Land schnell in den gefährlichen Club derjenigen Staaten führen, die eine gemeinsame Steuerpolitik in der EU seit Jahrzehnten zunichte machen. Der Unternehmenssteuersatz liegt bei nur 15%, während der EU Durchschnitt 23,5% beträgt. In Deutschland liegt der Satz sogar bei ca. 30%, weil man die Gewerbesteuer noch hinzu rechnen muss. Darüber hinaus werden in Lettland ab 2014 keine Quellensteuer auf Gewinnausschüttungen an ausländische Investoren mehr erhoben. Das bedeutet, dass europäische Konzerne eine Holding-Gesellschaft in Lettland gründen können, über die sie Gewinne unversteuert aus der EU in Steueroasen wie Singapur oder die Kaiman Inseln schleusen können. Dieser Vorteil im Steuerwettbewerb wird einen massiven Zustrom an europäischem Kapital bescheren und aus dem Land eine Steueroase machen,“ schrieben die beiden Politiker in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau. Sie bestätigen also Ošlejs Befürchtung, dass Lettland eine zypriotische Zukunft bevorsteht. Doch wie könnte Lettland eine solidere Basis erreichen?
Steuern im Jahr 2011 im EU-Vergleich
Ausgewählte EU-Länder im Steuervergleich. Schweden und Frankreich haben einen steuerlichen Anteil von mehr als 40 Prozent des Nationaleinkommens, Irland, Lettland und Litauen weniger als 30 Prozent, deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Die Kapitalsteuern sind in den baltischen Ländern besonders niedrig, über Irland liegen keine Angaben vor, Datenquelle: Eurostat, europa.eu
Krisenmanagement ohne Abwertung
Mehrmals beschrieben die Ökonomen Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker auf ihrer Webseite flassbeck-economics.de die Hürden, die der wirtschaftlichen Entwicklung Lettlands im Weg stehen. Haupthindernis ist dabei der Wechselkurs des Lats, der nach Jahren hoher Inflationsraten zu teuer wurde und der nun zu einem überhöhten Preis durch den Euro ersetzt werden soll. Bis 2008 stiegen Löhne und Preise in Lettland kräftig, dennoch blieben die Einkommen deutlich unter westlichen Verhältnissen. Lettische Bauunternehmer mussten ihre Arbeiter besser bezahlen, weil die Löhne auf Baustellen in westlichen Ländern lukrativer waren. Lettland handelte sich damals mit hohen Wachstumsraten auch eine hohe Inflation ein. Der Lats war seit 2004 an den Euro gebunden, das verteuerte lettische Ware auf den internationalen Märkten und vergrößerte die Handelsdefizite. Zur Zeit der Parexbank-Krise Ende 2008 kollabierte die lettische Wirtschaft. IWF-Vertreter empfahlen der lettischen Regierung die Abwertung. Diese weigerte sich, weil viele private Kunden der Geschäftsbanken Euro-Kredite aufgenommen hatten. Eine Abwertung des Lats hätte ihre Schulden vergrößert. Man fragt sich, warum nicht auch Privatkunden ein Schuldenschnitt zugebilligt wurde, wie er heutzutage für Staaten mit Selbstverständlichkeit diskutiert wird.
Preisentwicklungen im Vergleich
Diese Grafik zeigt die unterschiedlichen Preisentwicklungen in Europa, bezogen auf das jeweilige nationale Preisniveau von 1999. Höhere Löhne verursachen eine höhere Inflation. Friederike Spieker und Heiner Flassbeck bemängeln nicht nur die zu hohen Preise in Südeuropa, sondern auch die zu niedrigen in Deutschland, wo die Reallöhne stagnierten. Deutschland hat das vereinbarte Inflationsziel der EZB unterboten und sich dadurch Exportvorteile erschlichen. In Lettland und Estland übertreffen die Preissteigerungen jene der Südländer bei weitem. Grafik: flassbeck-economics.de
Schweden wollten keine Abwertung des Lats
Nach Angaben der Journalistin Birgitta Forsberg übte die schwedische Regierung 2009 erheblichen Druck auf die lettischen Verhandlungspartner aus, damit diese eine Abwertung des Lats unterließen. Gerade die schwedische Swedbank hatte sich mit verantwortungsloser Kreditvergabe in Lettland hervorgetan, ein Schuldenschnitt hätte sie schwer getroffen. Stattdessen verständigten sich die IWF-Vertreter mit der Regierung von Valdis Dombrovskis auf die sogenannte „innere Abwertung“, das heißt: Staatsausgaben wurden gekürzt, Stellen gestrichen, Löhne gesenkt. Diese Kürzungspolitik, die die Bevölkerung empfindlich traf, senkte die Lohnstückkosten wieder. Diese sind volkswirtschaftlich definiert. Sie beziffern die Lohnkosten, die notwendig sind, um eine Wareneinheit zu produzieren oder eine bestimmte Dienstleistung anzubieten. Sie gilt als Maß der Wettbewerbsfähigkeit. Hohe Löhne bedeuten nicht gleich hohe Lohnstückkosten: Eine rationalisierte Fertigung mit viel moderner Technik kann Arbeitnehmern hohe Löhne gewähren und dennoch niedrige Lohnstückkosten aufweisen. Umgekehrt kann eine rückständige Produktion zwar mit niedrigen Löhnen betrieben werden, dennoch hohe Lohnstückkosten verursachen. Die folgende Grafik zeigt, dass zwar die Austeritätspolitik die lettischen Lohnstückkosten wieder verbilligte, doch Lettlands Rückstand gegenüber anderen EU-Staaten groß bleibt.
Lohnstückkostenentwicklung von 1999 bis 2013 im Vergleich
Diese Grafik zeigt, wie sich die Lohnstückkosten in Estland und Lettland iim Vergleich zu Deutschland und den Südeuropäern erhöht haben. Leider berechnen die Eurostat-Statistiker die Werte nur im Bezug auf die jeweilige nationale Ausgangsbasis. Das erlaubt keinen direkten Vergleich der Konkurrenzfähigkeit zu einem gewissen Zeitpunkt. Sichtbar wird aber, dass sich die Situation der südeuropäischen und der baltischen Länder gegenüber Deutschland verschlechtert hat. Die Wettbewerbsfähigkeit Lettlands hat sich zwar seit etwa 2008 wegen drastischer Lohnkürzungen wieder etwas verbessert, bleibt aber deutlich schlechter als 1999. Trotz ansteigender Exporte hat das Land immer noch eine negative Handelsbilanz. Bevor Lettland Mitglied der Euro-Zone wird, könnte eine Abwertung des Lats für bessere Ausgangsbedingungen sorgen, Grafik: flassbeck-economics.de
Zukunft als Billiglohnland
Nun wird Lettland also endgültig auf den Lats und damit auf die Möglichkeit einer Abwertung verzichten. Mit hohen Preisen und niedrigen Löhnen beteiligt sich das Land an einer fragilen Währung, die für die einen zu billig und für die anderen zu teuer ist. Die unterschiedliche Konkurrenzfähigkeit der einzelnen Länder stellt die Währungsunion vor einer Zerreißprobe. Damit lettische Produkte überhaupt gekauft werden, müssen Letten unter diesen Umständen noch lange mit niedrigen Löhnen und Armut leben. Auflagen aus Brüssel zum Inflationsziel und zum Schuldenstand werden unter den jetzigen Bedingungen eine Politik erschweren, die die Kaufkraft der Letten stärken und gerechter verteilen könnte. Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker sind entsprechend skeptisch: „Wollen Estland und Lettland auf Dauer und ohne Krisen innerhalb der Eurozone wirtschaftlich überleben und prosperieren, müssten sie in den kommenden Jahren einen noch größeren Rückgang der Löhne verkraften, als sie bisher schon zustande gebracht haben. Auch Slowenien, wo die Lohnstückkosten seit 2009 auf hohem Niveau stagnieren, muss eine Anpassungsleistung vollbringen, gegen die die bisherigen Anpassungsprogramme in Spanien, Portugal und selbst Griechenland wie leichte Übungen aussehen. Das wird nicht ohne gefährliche Verwerfungen im Inneren vonstatten gehen.“
Weitere LP-Artikel zum Thema:
Leere Bankautomaten und der lettische Staatshaushalt 2012: Ein Werk von ungeliebten Musterschülern
Lettland: Brummende Wirtschaft mit niedrigen Löhnen
Warum die Letten den Euro demnächst nicht einführen sollten - Kommentar
Lettland: Parlamentarier beschließen, am 1. Januar 2014 den Euro einzuführen
Externe Linkhinweise:
flassbeck-economics.de: Der Euro kommt nach Lettland, das böse Erwachen folgt später
flassbeck-economics.de: Abo-Preview: Lettland, Löhne und die Krise
db.lv: Latvij? viens no zem?kajiem nodok?u slogiem ES
delfi.lv: Ošlejs: Latvijai draud nesekm?go eirozonas valstu att?st?bas scen?rijs
zurück