Der Konflikt um die Ukraine wird auch zwischen EU-Abgeordneten ausgetragen. Rebecca Harms, Fraktionsvorsitzende der Grünen im EU-Parlament, distanziert sich scharf von ihrer lettischen Kollegin Tatjana Ždanoka und verlangt deren Ausschluss aus der gemeinsamen Fraktion der Grünen und der Europäischen Freien Allianz (EFA). Ždanoka gilt in Lettland als Fürsprecherin der russischstämmigen Minderheit und vertritt im Ukraine-Konflikt die russische Position. Harms bezeichnete in einer Stellungnahme vom 19.3.2014 Ždanokas Haltung zur Krim-Krise als „inakzeptabel“, ihre Unterstützung des Anschlusses an Russland stehe „im vollständigen Gegensatz“ zu den Grünen. Ždanoka reagiert gelassen, denn die Statuten dieser Doppel-Fraktion sehen kein Ausschlussverfahren bei Meinungsstreitigkeiten vor.
Plenarsaal des Straßburger EU-Parlaments, Foto: Claude TRUONG-NGOC auf Wikimedia Commons, Lizenz
„Doppelte Standards“ des Westens
Ždanoka äußerte sich am 13.3.2014 im Straßburger Plenarsaal. Anlass war die Verabschiedung einer Resolution, die Russlands Vorgehen verurteilt. Sie sei schockiert darüber, dass ihre Kollegen keiner unabhängigen und transparenten Untersuchung sämtlicher Gewaltakte in der Ukraine zustimmten. Zudem warf sie dem Westen „doppelte Standards“ vor und verglich die Ablösung der Krim mit derjenigen des Kosovos. „Last but not least, wie steht es mit den Freiheiten, die die Europäische Konvention garantiert? Die jüngste Entscheidung ukrainischer Machthaber, in Kabelnetzen das Übersetzen von TV-Kanälen ins Russische zu verbieten, ist ein neuer Angriff auf die Russischsprechenden dort.“ Gleichfalls entsetzt reagierten Ždanokas grüne Fraktionskollegen auf deren Verlautbarungen. Rebecca Harms begründete die Ausschlussforderung: "Vor diesem Hintergrund [des Agierens Russlands in der Ukraine] distanzieren wir uns von den inakzeptablen Äußerungen und Handlungen der Europa-Abgeordneten Tatjana Zdanoka. Sie ist kein Mitglied der Grünen, sondern der Europäischen Freien Allianz (EFA). Ihre Unterstützung des Anschlusses der Krim an Russland steht im vollständigen Gegensatz zur klaren Position der Fraktion der Grünen/EFA. Das gleiche gilt für die militärischen Manöver Russlands auf der Krim und im Osten der Ukraine. Tatjana Zdanoka steht mit ihrer Ansicht zur Ukraine-Frage in unserer Fraktion alleine dar. Als Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA-Fraktion habe ich die EFA aufgefordert, Tatjana Zdanoka der Fraktion zu verweisen. Die Entscheidung liegt nun beim EFA-Teil der Fraktion. Zur Erklärung: Die Fraktion der Grünen/EFA besteht aus zwei politischen Familien, nämlich den Grünen (bestehend aus 51 Grünen und unabhängigen Abgeordneten aus verschiedenen EU-Ländern) und der EFA. Unter dem Fraktionsvertrag haben die Grünen keinen Einfluss auf die Zusammensetzung des EFA-Teils.“
Russische Flotte in Sewastopol. Bild von Iwan Aiwasowski, 1846, Wikimedia Commons
Tatjana Ždanoka – eine Frau, die polarisiert
Ždanoka zeigte sich in einem Interview mit der lettischen Nachrichtenagentur LETA vom 21.3.2014 gelassen. Die britische EFA-Chefin Jill Evans habe sich in dieser Woche mit Rebecca Harms getroffen. Die beiden hätten sich darauf geeinigt, dass die Frage ihres Ausschlusses nicht auf der Tagesordnung stehe. „Im Verhältnis zur Ukraine sind die Positionen verschieden, doch unser wichtigstes Motto ist das Selbstbestimmungrecht. Es gibt keine einheitliche Meinung über die Ukraine - `Die Grünen` vertreten Westeuropa und sind in Fragen Osteuropas keine Experten, sie vertrauen meinen Ansichten.“ Ždanoka ist eine Politikerin, die auch in ihrer Heimat Lettland umstritten ist. Die promovierte Mathematikerin jüdisch-russischer Herkunft beteiligte sich in der Spätphase der Sowjetunion zunächst an der lettischen Volksfrontbewegung. Doch dieser warf sie Nationalismus und Separatismus vor. 1989 wechselte sie zur altkommunistischen Interfront, die den Putsch gegen Gorbatschow unterstützte und ein unabhängiges Lettland verhindern wollte. 1992 war sie Mitbegründerin des Lettischen Menschenrechtskomitees, das die Interessen der russischstämmigen Minderheit vertritt. 1997 wurde sie in den Rigaer Stadtrat gewählt. Ein lettisches Gericht untersagte ihr zwei Jahre später die Ausübung politischer Mandate, weil sie noch nach 1991 Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen war. Sie klagte dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser hob das Verbot im Jahr 2004 auf. Doch die lettische Regierung ging in die Revision und erhielt zwei Jahre später recht. Ždanoka gehört in Lettland zum Vorstand der Splitterpartei Latvijas Krievu savien?ba/ Russische Union Lettlands, die sich bislang Par cilv?ka ties?b?m vienot? Latvij?/ Für Menschenrechte im vereinten Lettland nannte. Deren Positionen gelten als ähnlich unversöhnlich wie jene ihres nationalkonservativen Widerparts auf lettischer Seite. Im Februar 2012 sorgte Ždanoka für Aufsehen, als sie den bekennenden Nationalbolschewisten Wladimir Linderman zur Anhörung nach Straßburg lud, um Lettland wegen seiner Sprachpolitik Verstöße gegen die Menschenrechte vorzuwerfen.
Weitere LP-Artikel zum Thema:
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz weist die lettische Abgeordnete Tatjana Ždanoka zurecht
Weitere LP-Artikel zum Thema:
Lettland: Russisch-ukrainischer Konflikt bewirkt weiterhin viel innenpolitische Aufregung
Lettland: Parlamentarier beschließen höheren Wehretat
Lettland: Die Krim-Krise wird zum innenpolitischen Thema
Lettland: Rentner kündigen Proteste an und warnen vor einem "lettischen Maidan"
Externe Linkhinweise:
ir.lv: EP “za?ie” pieprasa Ždanoku izsl?gt no frakcijas
zurück