Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Gedenktag des Hitler-Stalin-Pakts in Riga
24.08.2017
Die EU als Gegenentwurf zur düsteren Vergangenheit
„Dies ist mittlerweile mein achter Besuch in Ihrem schönen Land,“ stellte Steinmeier zu Beginn seiner Tischrede in der Rigaer Kleinen Gilde fest (bundespraesident.de). Bislang hatte der deutsche Politiker Lettland als Außenminister besucht, nun konnte er Staatspräsident Raimonds Vejonis erstmals als Amtskollegen begrüßen. Die baltischen Länder spielen neben Polen eine Schlüsselrolle im Konflikt zwischen den Nato-Staaten und Russland. Seit der Ukraine-Krise fordern Russlands Anrainer mehr militärische Präsenz der Verbündeten, mehr Abschreckung. Zudem erinnerte Steinmeier an die „wechselvolle, gemeinsame Geschichte“ zwischen Deutschen und Balten, für deren Tiefpunkt er den Hitler-Stalin-Pakt hält, der am 23.8.1939 zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion geschlossen wurde. Andererseits zeigte der 1956 im westdeutschen Detmold Geborene Anerkennung für den „baltischen Weg in die Freiheit“. Die „Singende Revolution“ der Balten habe viele Menschen in Ostdeutschland ermutigt, ebenfalls aufzustehen und ihre Stimme zu erheben.
Frank-Walter Steinmeier und Raimonds Vejonis, Foto: Toms Kalni?š, Latvijas Valsts prezidenta kanceleja
Freiheitswille der Letten
Steinmeier absolvierte in seinem 24stündigen Aufenthalt ein dichtes Programm: Treffen mit dem Staatspräsidenten Raimonds Vejonis und dem Ministerpräsidenten Maris Kucinskis, Rundgänge durch die Ausstellung des Okkupationsmuseums (die sich wegen Umbauarbeiten derzeit am Raina bulvaris 7 befindet) und durch das Nationale Kunstmuseum, Diskussion mit Jugendlichen zum Thema Soziale Medien, Pressekonferenz und offizielles Abendessen (bundespraesident.de). Der Bundespräsident war aus Tallinn angereist, wo er in der dortigen Wissenschaftlichen Akademie den Hitler-Stalin-Pakt als „abscheuliches Verbrechen“ bezeichnet hatte. Ribbentrop und Molotow hätten damit Nazi-Deutschland freie Hand zur Vorarbeit eines Angriffskrieges gegeben. „Hier in dieser Region besiegelte der Pakt des 23. August nicht nur das Ende der Eigenstaatlichkeit der baltischen Länder, sondern auch das Ende der jahrhundertealten ethnischen Vielfalt in dieser Region – übrigens auch das Ende des Deutschbaltentums, das dieses Land über Generationen mitgeprägt hatte. Mit der sowjetischen Besatzung begannen Massendeportationen und Zwangsumsiedlungen in der gesamten Region.“ Die EU sei dagegen „der Gegenentwurf zu dieser zivilisatorischen Katastrophe“, „der Gegenentwurf zu Krieg und entfesseltem Nationalismus“ und der Deutsche lobt deren Mitglieder am östlichen Rand: „Ich bewundere den Freiheitswillen der Letten. Und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie Ihre Freiheitsgeschichte mit eingebracht haben in die Europäische Union.“ (bundespraesident.de)
Ministerpräsident Maris Kucinskis und Frank-Walter Steinmeier am lettischen Kabinettstisch, Foto: Valsts kanceleja, CC BY-NC-ND 2.0Solidarische Bekundungen
Steinmeier meint, dass die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, das Völkerrecht der Vereinten Nationen, ihre Prinzipien der nationalen Souveränität und territorialen Integrität die blutige Logik von 1939 überwinde und folgert als Seitenhieb auf Russland: „Und deshalb: Wer das Völkerrecht bricht, wer die Institutionen des Friedens gefährdet, der muss unseren gemeinsamen Widerstand ernten. International anerkannte Grenzen dürfen nicht einseitig und gewaltsam verändert werden. Deshalb werden wir die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland nicht anerkennen.“ In diesem Zusammenhang versichert der Bundespräsident den Balten militärische Solidarität. Raimonds Vejonis bedankte sich für die Präsenz der Bundeswehr im benachbarten Litauen, wo deutsche Soldaten einen internationalen Kampfverband anführen und für die Beteiligung an der militärischen Luftraumüberwachung des baltischen Territoriums (president.lv). Steinmeier seinerseits lobte die lettische Regierung für das „solidarische Engagement [...] in der Flüchtlingskrise“. Dieses ist de facto eher bescheiden, bislang hat Lettland nur einen Bruchteil des zugesagten Kontingents aufgenommen und schon mit diesem Versorgungsprobleme. Doch trotz des nationalkonservativen Widerstands im eigenen Kabinett verweigern die Letten die Aufnahme von Flüchtlingen nicht derart kategorisch wie die Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei. Auf der Pressekonferenz nahm Steinmeier zum umstrittenen Gasröhren-Projekt Nord Stream 2 Stellung. Der politische Weggefährte Gerhard Schröders erklärte die zweite Ostseepipeline zu einem privatwirtschaftlichen Unternehmen, das europäisches Recht beachten müsse.
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