Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Münchener Sicherheitskonferenz 2017: Für den lettischen Verteidigungsminister Raimonds Bergmanis sind zwei Prozent keine Obergrenze
22.02.2017


Wenn mehr Sicherheit mehr Militär bedeutet

Protest gegen die Sicherheitskonferenz 2014„Das mittlere Verteidigungsbudget der Nato-Staaten liegt bei zwei Prozent vom BIP, was zur informellen Orientierung für Mitgliedskandidaten dient. Für die Verteidigung gleich viel Prozente vom BIP auszugeben hieße die Verantwortung und die Ausgaben zwischen den Staaten gerecht aufzuteilen, denn für die wohlhabenderen Staaten bedeutet das in absoluten Zahlen mehr auszugeben, für die nicht so begüterten – weniger. Zwei Prozent vom BIP ist weder ein Selbstzweck noch der einzige und alleinige politische Nachweis, den Lettland bereit ist, für seine Beteiligung an der Nato zu zahlen,“ so stimmte 2002 der damalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium und heutige Außenminister Edgars Rinkevi?s auf höhere Ausgaben für das Militär ein (providus.lv). Im Jahr 2000 hatte das lettische Militärbudget noch 0,9 Prozent des BIP betragen, doch die Nato forderte mehr. Nach einem Jahr Nato-Mitgliedschaft betrug der Anteil 2005 bereits 1,6 Prozent (wko.at). Was Rinkevi?s verschwieg: Nur wenige Nato-Länder erreichen oder übertreffen die Zwei-Prozent-Marke. Die meisten liegen darunter. In der Bankenkrise von 2009 drohte dem lettischen Fiskus wegen seiner Bankenrettungsaktion die Insolvenz. Infolgedessen blieb die Nato-Forderung unerfüllt. Auch für Militärisches wurden die Ausgaben gekürzt, sanken wieder unter ein Prozent. Erst die Ukraine-Krise brachte den Umschwung. Der damalige Finanzminister Andris Vilks schürte im März 2014 die Furcht vor einem russischen Angriff. Vilks, der sich in seinem Land an der Durchsetzung einer scharfen Austeritätspolitik beteiligt hatte, forderte nun mehr Geld für die Rüstung:Ich wünschte es für andere Bereiche auszugeben, doch leider ist es für die Bewaffnung nötig.“ (lettische-presseschau.de) Auf dem Nato-Gipfel in Wales vereinbarten die Mitgliedstaaten damals, innerhalb von zehn Jahren mindestens zwei Prozent vom BIP für Militärisches auszugeben, getrieben vom mächtigsten Verbündeten USA, der in der Bush-Ära beinahe vier Prozent seines BIP der sogenannten „Verteidigung“ gewidmet hatte und nach dem Amtsantritt Barack Obamas auf fast fünf Prozent steigerte (statista.com). Hier ist Sprache machtpolitische Beute. Auf der diesjährigen „Sicherheitskonferenz“ in München setzten die Redner Aufrüstung mit Sicherheit und Verantwortung gleich. Den meisten, die dieses Vokabular hinterfragten, blieb nur der Protest vor den Türen der geschlossenen Versammlung und eine ausführlichere Erwähnung fanden sie nur jenseits der Mainstream-Medien (nachdenkseiten.de). Der lettische Verteidigungsminister Raimonds Bergmanis gehörte zu den Konferenzteilnehmern. Er stellte in Aussicht, bei zwei Prozent nicht halt zu machen. Der EU-Kommissionsvorsitzende Jean-Claude Juncker übte hingegen auf der Münchener Konferenz Kritik am um sich greifenden Militärjargon.

Protest gegen die Sicherheitskonferenz 2014, Nato-skeptische Demonstranten kritisieren jedes Jahr die Münchener Veranstaltung, werden aber von den meisten Medien nur selten erwähnt, Foto: blu-news.org - Siko 2014 Demo Sicherheitskonferenz Uploaded by indeedous, CC BY-SA 2.0, Link

 

Der US-Außenminister äußerte sich recht gefällig über Lettland

Die lettische Regierung plant, 2018 die Zwei-Prozent-Marke zu erreichen. In den letzten Jahren hat sie für das Militär bereits deutlich mehr ausgegeben. Für das laufende Jahr wendet sie 98 Millionen Euro mehr auf als 2016. Das ist der Haushaltsposten mit dem größten Anstieg. 1,7 Prozent vom BIP sollen derzeit erreicht werden, in absoluter Zahl: 449 Millionen Euro. Für Bergmanis sind aber auch die geplanten zwei Prozent des nächsten Jahres nicht das Maximum. Diese Marke sei kein Selbstzweck, wurde von Konferenzteilnehmern versichert. Das ist verschieden interpretierbar. Lettlands Nachbarländer befleißigen sich schon jetzt, diese Marke zu übertreffen. Der Nachrichtenagentur Leta verkündete der lettische Minister, dass man bei zwei Prozent nicht innehalten müsse. Gefragt, ob das Militärbudget 2019 noch weiter ansteigen solle, bekundete er den Wunsch, dass dies geschehe. Die Esten wendeten bereits jetzt 2,2 Prozent auf und hätten zudem einen speziellen Verteidigungsfonds gegründet. Ebenso diskutiere man in Litauen, ob man für die Verteidigung bis 2020 nicht 2,5 Prozent ausgeben müsse. „Wir haben derzeit viele Aufgaben, die man wahrnehmen muss und die große Verantwortung und Arbeit erfordern.“ (lsm.lv) Bergmanis verriet den Medien zudem, dass er in der letzten Woche eine kurze Begegnung mit dem us-amerikanischen Verteidigungsminister* James Mattis gehabt habe. Dieser habe sich sehr gefällig über Lettland geäußert und für die Unterstützung gedankt in „Angelegenheiten, in denen Lettland einbezogen ist.“ Seinerseits bedankte sich Bergmanis für das militärische Engagement der USA in seinem Land. Mattis habe keine Andeutungen gemacht, dass die USA ihre Streitkräfte aus Lettland abziehen könnten – was in den baltischen Ländern als gute Nachricht gilt.

Die Verteidigungsausgaben prozentual zum BIP ausgewählter Nato-Staaten und Österreichs zwischen den Jahren 2007 und 2015, gemessen in zweijährigem Abstand. Die Ausgaben der Briten haben einen vergleichsweise hohen Anteil, auch Frankreich liegt nahe am Zwei-Prozent-Ziel. Beide Länder sind Atommächte. Dennoch investieren sie absolut und in relativen Zahlen weitaus weniger als die USA. Die USA investierten in der Bush-Ära 2007 3,8 Prozent ins Militär, 2009 unter Friedensnobelpreisträger Barack Obama 4,6 Prozent. Auch 2011 wendete Obamas Regierung noch 4,6 Prozent auf, 2013 verminderte sich der Anteil auf 3,8 Prozent und 2015 auf 3,3 Prozent. Nun sucht die Trump-Regierung offenbar Lückenbüßer für begonnene Militäreinsätze, die den US-Amerikanern zu kostspielig werden, in der politischen Rhetorik heißt das "Verantwortung übernehmen". Für die baltischen Länder bedeutete die Krise von 2008/09 eine scharfe Zäsur für die Staatsausgaben, die auch im militärischen Bereich gekürzt wurden. Erst seit 2015 werden die Militärausgaben aufgrund der Ukraine-Krise deutlich erhöht. Datenquellen: Eurostat und statista.com.

 

Höhere Rüstungsausgaben sind kein Maßstab für Sicherheit

Das prozentuale Übertrumpfen von den kleinen Nato-Mitgliedstaaten setzt auch die größeren unter Druck. Während Lettland für die Aufrüstung zusätzliche Millionen Euro bereitstellt, bedeutet eine Erhöhung auf zwei Prozent für Deutschland viele zusätzliche Milliarden. In der Leta-Meldung wurde die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) so verstanden, dass sie das Zwei-Prozent-Ziel akzeptiert habe. Bergmanis zeigte Verständnis. Diese Marke sei für größere Staaten „komplizierter“ als für Lettland. Komplizierter wohl unter anderem deshalb, weil in Deutschland über die Nato-Forderung noch ein Wahlkampfstreit entstehen könnte. Sigmar Gabriel (SPD) hat den Nato-Beschluss schon infrage gestellt. Eine „schnelle Erhöhung der Verteidigungsausgaben“ sei nicht als „Maßstab für mehr Sicherheit“ zu nehmen. Westliche Militäraktionen bedeuten für Deutschlands frisch gekürten Außenminister nicht unbedingt mehr Sicherheit: Flüchtlinge seien „das Ergebnis von verfehlten militärischen Interventionen in der Welt“ (zeit.de) - der unausgesprochene Adressat dieser Kritik sind die USA und jene Verbündeten, die der mächtigsten Militärmacht bedingungslos Folge leisten. Auch lettische Politiker hätten Gründe, die Angelegenheit komplizierter zu nehmen. Ein Empfehlungsschreiben der EU-Kommission bemängelte beispielsweise im letzten Jahr die Knauserigkeit des lettischen Fiskus` bei der gesundheitlichen Versorgung seiner Bürger: „Aufgrund der geringen für das Gesundheitswesen zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel, der strukturellen Schwächen das Gesundheitssystems, der hohen von den Patienten verlangten Eigenleistungen und der suboptimalen Kosteneffizienz kann ein großer Teil der Bevölkerung seinen Bedarf an medizinischer Versorgung nicht vollständig decken. Zwar wurde dem Zugang zu Versorgungsleistungen in schweren medizinischen Fällen Priorität eingeräumt, doch erschweren die knappen finanziellen Mittel das allgemeine Leistungsangebot.“ (ec.europa.eu) EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kritisierte auf der Münchener Konferenz den allgemeinen Sprachgebrauch: Er habe es nicht gerne, wenn die Amerikaner den Sicherheitsbegriff auf das Militärische verengten. Man müsse zu den Verteidigungsausgaben die Kosten für Humanitäres und Entwicklungshilfe addieren (orf.at). Bergmanis wollte Junckers Aussage nicht kommentieren.

*Der Verteidigungsminister wurde an dieser Stelle irrtümlich Außenminister genannt. Der Autor bittet um Nachsicht.


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