Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Die Bundeskanzlerin sprach in Vilnius mit Dalia Grybauskaite, Maris Kucinskis und Jüri Ratas
15.09.2018


Angela Merkel rechtfertigt Nord Stream 2 nun klimapolitisch

Merkel, Grybauskaite, KucinskisWährend die Tagesschau sich am 14. September nur dafür interessierte, wie Angela Merkel in Vilnius die neuesten Querelen in ihrem Kabinett kommentiert (tagesschau.de) , berichteten lettische Medien ausführlicher über ihr Treffen mit der litauischen Staatspräsidentin und den Regierungschefs aus Lettland und Estland. Ein Anlass des Besuchs war das 100jährige Staatsjubiläum Litauens. Die Deutschen übergaben nun den Litauern eine Abschrift ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1918, die lange Zeit unentdeckt im Archiv des Auswärtigen Amtes lagerte - und deren Übergabe in deutschen Historikerkreisen für Unmut gesorgt hatte (welt.de). Mit den baltischen Politikern sprach Merkel über diverse Themen: Das zukünftige EU-Budget, Nord Stream 2, Militär- und Geopolitik.

Pressekonferenz in Vilnius, von links: Jüri Ratas, Angela Merkel, Dalia Grybauskaite und Maris Kucinskis, Foto: Valsta kanceleja, Lettische Staatskanzlei

 

Keine Streichungen im Kohäsionsfonds

Die Balten befürchten, dass im zukünftigen EU-Budget Kürzungen zulasten ihrer Länder erfolgen werden. Der lettische Ministerpräsident Maris Kucinskis kritisiert geplante Streichungen im EU-Kohäsionsfonds. Das Geld ist speziell für Mitgliedsländer vorgesehen, deren Pro-Kopf-Einkommen weniger als 90 Prozent vom durchschnittlichen EU-BIP beträgt. Aus diesem Fonds werden Umwelt- und Verkehrsprojekte finanziert. Kucinskis will solche Gelder verwenden, um sich dem EU-Durchschnitt anzunähern: „Für uns ist der Vorschlag der Kommission nicht akzeptabel, der eine 13prozentige Verringerung der lettischen Kohäsionsfinanzierung vorsieht. Auf nationaler Ebene arbeiten wir daran, uns schneller einem mittleren EU-Niveau anzunähern,“ begründet Kucinskis seine Ablehnung und prognostiziert, dass darüber vor den Wahlen zum EU-Parlament und der Bildung einer neuen Kommission keine Einigung erzielt werden könne (mk.gov.lv).

Nord Stream 2 – geo- und klimapolitisch

„Es freut mich sehr, dass wir die Bundeskanzlerin jetzt in Litauen begrüßen dürfen. Wir verspüren fast immer Ihre Freundschaft und Ihr Engagement,“ meinte die litauische Staatspräsidentin Grybauskaite. Das „fast“ bezieht sich offenbar auf Nord Stream 2, die zweite deutsch-russische Gasleitung durch die Ostsee. Grybauskaite hält sie wie andere baltische Politiker für ein geopolitisches Projekt, das den Einfluss Russlands vergrößere. Die Kanzlerin entgegnete, dass Deutschland nicht nur Gas aus Russland, sondern auch aus den Niederlanden und Norwegen bezieht. Zudem möchte Merkel sich dafür einsetzen, dass die Ukraine weiterhin Gastransitland bleibt. Während ihre NRW-Parteifreunde den RWE-Plan unterstützen, die Reste des Hambacher Forstes für noch mehr Braunkohletagebau zu roden, fiel Merkel in Vilnius ein weiteres Argument ein, Nord Stream 2 vor den baltischen Kritikern zu verteidigen: Um die Hindernisse zu überwinden, damit Deutschland seine internationalen Klima-Vereinbarungen erfülle, werde der Bedarf nach Erdgas steigen, Nord Stream 2 sei deshalb aus ihrer Sicht sehr bedeutend - so zitieren sie lettische Medien (leta.lv).

Kritik an Russland eint

Grybauskaite, die Russland schon mal als „Terror-Staat“ bezeichnet hatte (deutschlandfunkkultur.de), profilierte sich in der Ukraine-Krise als politischer Falke. In ihrer Grußansprache verdeutlichte sie, dass gegen Russland nur Abschreckung helfe: „Vor einigen Jahren, vor zwei Jahren, wurden auch besondere Beziehungen aufgenommen, nämlich im Bereich der Verteidigung. Ich bin stolz darauf, dass die Vornepräsenz der NATO in Litauen stationiert wurde und Deutschland als Rahmennation auftritt und dass Frau Bundeskanzlerin diese Entscheidung persönlich getroffen hat. Das ist eine große Unterstützung, eine Abschreckung und eine Demonstration dessen, dass die NATO-Partner die Bedeutung der Abschreckung verstehen und mit uns Seite an Seite stehen,“ so lobte sie den deutschen Gast (bundeskanzlerin.de).

Die deutsche Regierung ließ als Reaktion auf die Ukraine-Krise 550 Bundeswehrsoldaten nach Litauen abkommandieren. Die Deutschen führen dort eine internationale Nato-Battle-Group an. Die Journalisten Ugis Libietis und Anete Bertule wiesen zudem darauf hin, dass Deutschland für Litauen ein bedeutender Waffenlieferant sei (lsm.lv). Grybauskaite nutzt den Verantwortungsjargon, um Deutschland in eine größere militärische Rolle zu drängen. Zu diesem Jargon gehört es, die Worte Aufrüstung und Kriegseinsatz mit „Verantwortung“ und „Sicherheit“ zu umschreiben: „Europa sollte mehr Verantwortung für seine Sicherheit und für die Führungsrolle auf der Welt übernehmen. Deutschland und Frau Bundeskanzlerin sind sich dieser Führungsrolle bewusst. Von ihnen ist unsere Zukunft abhängig. Wir sind bereit, uns bei der Lösung unserer unterschiedlichen Probleme im europäischen Bereich anzuschließen.“

Merkel enttäuschte ihre „liebe Dalia“ nicht: Die Bundesregierung befürwortet die Sanktionen gegen Russland, bis das Abkommen von Minsk, das Vertreter der Ukraine, Russlands, Deutschlands und Frankreichs 2015 aushandelten, erfüllt werde. Der Vertrag sieht u.a. einen Waffenstillstand vor, der aber nicht eingehalten wird. Auch Maris Kucinskis trug sein Scherflein zur – unausgesprochenen - Russland-Kritik bei: Er sprach aktuelle Fragen der europäischen „Informationssicherheit“ an. Deshalb begr?ßt er, dass lettische Medien weiterhin mit deutschen kooperieren. „Auf EU-Ebene wünschen wir gemeinsames Handeln im Kampf gegen Desinformation. Wir sind bereit, mögliche Desinformationsgefahren während der bevorstehenden Saeima-Wahl im Oktober abzuwenden.“ (mk.gov.lv)




 
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