Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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“Innere Dialoge” - Rückschau auf Leben und Werk von Aleksandra Belcova
17.02.2023


Südfrankreich und Rigaer Getto - Ein Leben mit herben Umbrüchen

<p><i>Südfrankreich, ein Bild Belcovas aus dem Erinnerungszyklus Anfang der 70er Jahre, Foto: LNMM</i></p>

 

Die tragischen politischen Ereignisse des Jahres 2022 verleihen sowohl dem, was die Künstlerin schrieb, als auch den Fakten aus ihrer Biographie eine besondere Stimmung und Aktualität,” schreibt Nataïja Jevsejeva. Die Kuratorin ist zugleich Leiterin des Romans-Suta-und-Aleksandra-Belcova-Museums, wo die Ausstellung gezeigt wird. Tatsächlich hat Belcovas Herkunft, ihr Leben und ihre Kunst etwas Vermittelndes zwischen Fremdem und Gewohntem, Nähe und Fernem. Dessen Vermischung führt nicht zur Gleichförmigkeit, sondern zu neuartigen Kunstformen. Belcova, in internationaler Schreibung Belzowa, war erstaunlich vielfältig, in Inhalten und Formen. Das politische Elend des 20. Jahrhunderts prägte ihre Biographie.


Die Malerin kam 1892 in Surasch, einem Grenzort zwischen Russland und der Ukraine, zur Welt. Sie stammte aus einer Bauernfamilie, ihr Vater schaffte den Aufstieg in den russischen Verdienstadel und sie hatte die Möglichkeit, ein Mädchengymnasium zu absolvieren. Danach studierte sie an der Kunstfachschule in Pensa, zuletzt ergänzte sie ihre Kenntnisse im Atelier des Malers Natan Altman in Sankt Petersburg. Als Kunststudentin lernte sie junge lettische Männer kennen, die kriegsbedingt aus ihrer Heimat geflohen oder evakuiert worden waren; unter ihnen befand sich Romans Suta, der Maler, den sie später heiratete.  


Jevsejeva deutet die Absurdität des nationalen Sortierens an: Weißrussisch plus ukrainisch ergibt russisch: “Aleksandra Belcova war nach ihrer Herkunft halb Ukrainerin, halb Weißrussin, doch auf Formularen gab sie als Nationalität “Russin” an - damals dachte niemand daran, dass solche Details irgendeine Bedeutung haben. Sie wurde im Gouvernement Tschernigow geboren und verbrachte dort ihre Kindheit und Jugend; doch als Ergebnis der Gebietsreformen der UdSSR und bis heute sind diese ukrainischen Gebiete Teil der Oblast Brjanska innerhalb der Grenzen Russlands.” 


Nach Gründung der lettischen Republik kam sie mit Romans Suta nach Riga. Belcova engagierte sich in der Rigaer Künstlergruppe. Mit fünf Gleichgesinnten gestaltete sie das Café Sukubs, das Sutas Mutter gehörte. Der Name war die Kurzform der Wörter Suprematismus und Kubismus; also ein Zusammenschluss der russischen und französischen Moderne. Belcova machte zunächst mit kubistischen Bildern auf sich aufmerksam. Nach der Heirat reiste das Künstlerpaar nach Deutschland. Die revolutionäre Künstlervereinigung “Novembergruppe” in Berlin präsentierte 1923 ein Gemälde Belcovas. Doch die Spätphase des deutschen Expressionismus war nicht nach dem Geschmack der beiden. Belcova malte die Stadt Berlin lieber kubistisch. Auf einem Berliner Bahnhof trafen sie den Futuristen Filippo Tommaso Marinetti, der Vertreter einer formal ziemlich revolutionären und inhaltlich trotz aller Zerstörungslust eher reaktionären Kunstrichtung - Marinetti war ein Fan von Mussolini.  


Wie viele lettische Künstler bereisten Belcova und Suta westliche Hauptstädte und erprobten sich in den modernen Stilrichtungen, neben Kubismus gehörten Art Deco und Neorealismus dazu. Sie nahmen an internationalen Ausstellungen teil; die junge lettische Republik förderte die Verbreitung ihrer Kunst in Europa.


Lettische Künstler zog es vor allem nach Paris, der damals maßgeblichen Kunstmetropole; hier lernten sie Gleichgesinnte wie den spanischen Kubisten Juan Gris kennen oder den modernistischen Architekten Le Corbusier. Zusammen mit baltischen Künstlern träumten sie davon, der eigenen Herkunftsregion ein internationales Forum zu bieten. In Paris wurde 1923 Tochter Tatjana in einem Kloster auf dem Montmartre geboren.


Belcova und Suta beherrschten den Pinselstrich auch auf der glatten Oberfläche des Porzellans. In ihrer Werkstätte für Porzellanmalerei, Baltars, zeigten sie, dass moderne Kunst auch auf Geschirr zu zieren vermag. Belcova malte auf Tellern kubistische Bilder; kombinierte nationale mit internationalen Motiven, nutzte lettische Volkskunst ebenso wie afrikanische Maskenbilder und Szenen aus dem Alltag. Mit diesem Design erzielte Baltars 1925 Auszeichnungen auf der Pariser Internationalen Ausstellung für moderne dekorative Kunst und Kunstgewerbe.  


Neben Paris wurde Südfrankreich, wo sie ihre Tuberkulose behandeln ließ, eine wichtige Inspirationsquelle. Ende der zwanziger Jahre beschäftigte sie sich an der Cote d`Azur mit europäischen und asiatischen Stilrichtungen.


So sehr das Künstlerpaar fachlich zu harmonieren schien, so holprig erwies sich ihre Ehe. 1937 fuhr Aleksandra Belcova mit ihrer Tochter nach Paris, um sich den Louvre und die Weltausstellung anzuschauen. Ihr Mann hatte den lettischen Pavillon gestaltet. Doch als sie eintraf, hatte er schon das Honorar kassiert und sich mit zwei Damen auf den Weg nach Italien gemacht. „Es lohnt sich zu leiden, wenn man es für eine große Persönlichkeit tut,“ soll sie ihrer Tochter einmal gesagt haben. Sie bekannte, dass sie in Riga endlos Entdeckungen machte, wenn sie mit Suta durch die Stadt flanierte, weil er alles anders sah.


Bald kam der Krieg und das Leid wurde für die meisten unermesslich. Belcova skizzierte das Elend im jüdischen Getto Rigas unter deutscher Besatzung. Es sind Dokumente der Misshandlungen. Als die Sowjets zurückkamen, musste Suta in Alma Ata und Tiflis leben. In Georgien wurde er hingerichtet, weil er Brotmarken gefälscht habe. Später erreichte seine Tochter die posthume Rehabilitation ihres Vaters. Belcova sollte nun dem Stil des sozialistischen Realismus folgen. Der Experimentierfreudigen gelangen kaum noch Bilder.  


Die Ausstellung ist nicht nur den Gemälden, sondern auch den Schriften Belcovas gewidmet. „In den Briefen und Tagebüchern der Künstlerin zeigen sich die Erfahrungen der Emigrantin, die Wechselfälle ihres Privatlebens, die Kompliziertheit eines Frauenschicksals, die traumatische Beziehung zum Lebensgefährten, auch die herben Umbrüche, die das 20.Jahrhundert stürmisch mit sich brachte, hallten wider. Wieviel Bitternis, Enttäuschung war in Belcovas Tagebucheintrag zu ahnen, den sie einige Wochen nach der ersten sowjetischen Okkupation im Jahr 1940 schrieb: `Das sind nicht mehr dieselben Russen...` Sie schrieb diesen Satz vermutlich, weil sie sich an das Leben in Sankt Petersburg erinnerte und an ihre Heimat zu Beginn des Jahrhunderts.“


Die Ausstellung im Romans-Suta-und-Aleksandra-Belcova-Museum in Riga (Elizabetes Straße 57a, Wohnung 26, Eingang über den Hof, 5. Etage) ist vom 28. Februar 2023 bis zum 27. Januar 2024 zu sehen. Neben weniger bekannten Werken Belcovas werden Fotos, Schriften und Dokumente präsentiert. Zudem ist ein Film über den 80. Geburtstag Belcovas zu sehen, der 1972 entstanden ist.


Im Mittelpunkt steht ein Aquarellzyklus, den Belcova Anfang der 70er Jahre in Zusammenarbeit mit dem Dichter Maris Caklais gestaltete. Auf diesen Bildern erinnert sie sich an wichtige Ereignisse und Orte in ihrem Leben.


Udo Bongartz 




 
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