Aivars Lembergs zu fünf Jahren Haft verurteilt
22.02.2021
“Das Nawalny-Szenario in Lettland”
Aivars Lembergs, Foto: Toms Norde, Valsts Kanceleja CC BY-SA 2.0, Link
Aivars Lembergs, der umstrittenste Politiker und Geschäftsmann Lettlands, wurde vom Rigaer Bezirksgericht am 22. Februar 2021 in erster Instanz zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Richter sehen viele der mannigfaltigen und komplexen Vorwürfe der Korruption, Erpressung und Geldwäsche als erwiesen an. Für deren präzise Darstellung benötigte man eine eigene Forschungsarbeit in Buchform. Mit diesen Methoden verschaffte sich Lembergs nach gerichtlicher Auffassung lukrative Firmenanteile. Was ihm genau gehörte, blieb lange unklar, da er vor der Öffentlichkeit seinen Besitz verschleierte und Journalisten verklagte, die ihn als Eigentümer bestimmter Firmen bezeichnet hatten. So erging es in den Nullerjahren FAZ-Journalisten (apollo.lv). Der umtriebige Bürgermeister von Ventspils, der seit Jahrzehnten mit absoluten Mehrheiten seine Stadt regiert, hat sich nach Auffassung des Gerichts mit illegalen Methoden bereichert und andere Unternehmer geschädigt. Lembergs wurde in Handschellen abgeführt, weil die Richter Verdunkelungsgefahr befürchten. Auch sein Sohn und ein Geschäftspartner wurden zu Haftstrafen verurteilt, durften das Gerichtsgebäude aber erst einmal auf freiem Fuß verlassen. Lembergs hält den Prozess für eine Intrige der lettischen Regierung und vergleicht sich mit dem russischen Oppositionellen Alexei Nawalny.
Lembergs schaffte noch unter sowjetischer Herrschaft und als Mitglied der KPDSU den Aufstieg zum Bürgermeister von Ventspils. Als Abgeordneter der Volksfront-Fraktion im Obersten Lettischen Sowjet stimmte er am 4. Mai 1990 für die lettische Unabhängigkeit. Ein Jahr später gründete er die Stadtpartei “Für Lettland und Ventspils”, die ihm seitdem regelmäßig absolute Mehrheiten verschaffte. Die Ventspilser unterstützen ihr Stadtoberhaupt, der von seinen Gegnern als “Oligarch” bezeichnet wird. Unter seiner Herrschaft wurde die kleine Ölhafenstadt deutlich adretter. Ein gewisser Wohlstand breitete sich aus. Hier schien der neoliberale “Sickereffekt” mal zu funktionieren: Der Bürgermeister machte als Unternehmer gute Geschäfte, wurde reich und auch seine Bürger profitierten. Doch Kritiker fragten sich, mit welchen Mitteln und auf wessen Kosten sich das Stadtoberhaupt bereicherte, das Einfluss auf den lukrativen Ölhandel hatte, sowohl in politischen als auch geschäftlichen Funktionen innerhalb eines nicht durchschaubaren lokalen und internationalen Firmengeflechts. (lsm.lv)
Dass Lembergs` Geschäfte nicht mit rechten Dingen zugingen, unkten seine Kritiker schon lange. Am 20. Juli 2006, an dem Tag, als die ihm nahestehende Union der Grünen und Bauern ihn zum Spitzenkandidaten für die bevorstehende Saeima-Wahl kürte, klagte ihn der Generalstaatsanwalt aus den genannten Gründen an. Ein Jahr später kam er für einige Monate in Untersuchungshaft, dann in Hausarrest, doch dann schon wieder frei. Seit 2009 findet der Prozess vor dem Rigaer Bezirksgericht statt. Er verschwand aus den Schlagzeilen und es schien lange Zeit so, als ob er ohne Urteil endete. Die Schwäche der lettischen Justiz zeigte sich zudem in dem Umstand, dass es Lembergs seit 2007 gerichtlich untersagt ist, das Bürgermeisteramt auszuüben. Doch in der schmucken Stadt an der Venta schien das niemanden zu kümmern.
In den letzten Jahren schwindet offenbar der Einfluss und die Macht eines jener Business-Politiker, die das undurchsichtige Geschehen der Wendejahre mit Cleverness für sich zu nutzen wussten. Ventspils` wichtigste Einnahmequelle, der Ölhandel mit Russland, verringerte sich seit der Ukrainekrise beträchtlich. Für Ventspils dürften damit die fetten Jahre vorbei sein. Am 9. Dezember 2019 ordnete das US-Amt zur Kontrolle von Auslandsvermögen (OFAC), Sanktionen gegen Lembergs, seine Familie und gegen den Freihafen von Ventspils an, in dessen Vorstand der Bürgermeister vertreten war. Die Konten für internationale Geldüberweisungen wurden gesperrt und gefährdeten die Geschäftstätigkeit, bis die lettische Regierung den Freihafen unter neuer Verwaltung stellte.
Bereits die OFAC-Sanktionen gemäß des Magnitsky-Acts erläuterte Lembergs als Komplott seiner politischen Gegner. Auch das Urteil der Rigaer Richter interpretiert er als politische Auftragsarbeit. Die Mitte-Rechts-Regierung in Riga wolle seine Wiederwahl zum Bürgermeister im nächsten Sommer verhindern: “Deshalb beeilt man sich so. Das Nawalny-Szenario in Lettland. Ich gratuliere zu Lettlands Rechtsstaatlichkeit und Demokratie,” stellte er ironisch fest. (lsm.lv)
Das voraussichtliche Ende Lembergs` als Bürgermeister und Strippenzieher hat auch eine politische Dimension. Er betrachtete Russland als wichtigen Handelspartner Lettlands, mit dem es sich lettische Entscheidungsträger nicht ganz verderben sollten. Während der Ukraine-Krise rief er die transatlantisch orientierten Politiker seines Landes zur Mäßigung auf, die eine scharfe westliche Reaktion auf die Krim-Annexion verlangten. Der west-östliche Konflikt sei ein geopolitischer, aus dem sich lettische Politiker heraushalten sollten. Doch die Regierungsparteien forderten die Sanktionspolitik gegen Russland ein, auch wenn sie eigenen Branchen Verluste bescherte. In einer Presseerklärung verkündete Lembergs vor einigen Jahren, dass seine Stadt von der Nord Stream AG das Angebot erhalten habe, Ventspils an die neue Ostsee-Pipeline anzuschließen. Die Lettische Presseschau berichtete darüber. Da das die lettische Regierung untersagt habe, forderte er aus dem Staatsbudget Schadensersatz für seine Stadt, der aber nicht gewährt wurde.
Es ist gewiss, dass Lembergs, der zudem 20.000 Euro Geldstrafe und Entschädigungen zahlen muss und dem Besitz konfisziert wird, in die Berufung gehen wird. Falls es seinen Anwälten nicht gelingt, ihn vorzeitig wieder aus dem Gefängnis zu holen, dürften Lembergs Tage als Bürgermeister nun doch gezählt sein, es sei denn, die Ventspilser lassen sich aus einem Rigaer Knast regieren, vielleicht ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.
UB
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