Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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TV-Dokumentation über baltische Musik
29.05.2021


“Wenn der Abend den Morgen trifft”

Der lettische Komponist Peteris Vasks, Foto: Hokit CC BY-SA 3.0, Saite

"Ein facettenreiches und unterhaltsames Bild der drei kleinen Ostseeländer mit ihrem riesigen musikalischen Potenzial” verspricht diese Film-Dokumentation von Günter Atteln und Carmen Belaschek über die Musik und die Musiker Litauens, Lettlands und Estlands. Die Autoren interviewten Komponistinnen, Dirigenten, Sänger und Instrumentalistinnen an den Orten, an denen sie sich inspirieren lassen, in der baltischen Landschaft. Von anderen Europäern wird das Baltikum oftmals als einheitlicher Block wahrgenommen. Tatsächlich vereint die Bewohner der drei Länder die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die schmerzhafte Erfahrung mit repressiver sowjetischer Besatzung, der sie sich gemeinsam durch eine Menschenkette zwischen ihren Hauptstädten und der “singenden Revolution” entledigten. Doch die Interviewten weisen auch auf die Unterschiede zwischen ihren Nationen hin, so dass von einer einheitlichen baltischen Musik nicht die Rede sein kann. Historisch, konfessionell und sprachlich sind die Balten recht verschieden. Trotzdem werden Zuschauer den Eindruck gewinnen, dass das Gemeinsame deutlich überwiegt: Der enge Bezug des musikalischen Schaffens zur eigenen Tradition und das spirituelle Verhältnis zur Natur.

 

 

 

 


Litauen

In der Philharmonie von Vilnius treffen Atteln und Belschek die Komponistin Raminta Serksnyte. Sie meint, dass Musik auch im 21. Jahrhundert schön sein sollte. Ihrer Ansicht nach bewirkt die besondere Sprachmelodie des Litauischen, dass man Litauen als Land der Musik bezeichnen kann. Die Übergänge zwischen Volks- und Kunstmusik sind in allen baltischen Regionen fließend. Die Tradition der Chormusik entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert, sie war ein Ausdruck kultureller Eigenständigkeit. Die stilisierte Folkloretracht, die bei Lied- und Tanzfesten immer noch getragen wird, war ebenfalls ein Ausdruck der Nationalbewegungen. In Vilnius, Riga und Tallinn wurden in der Sowjetzeit stadionartige Konzerttribünen errichtet, die mehrere tausend Sängerinnen und Sänger fassen können. Die nationalen Liederfeste sind wiederkehrende, mehrtägige Großveranstaltungen. Seksnyte und die Dirigentin Giedre Slekyte weisen auf die enge Beziehung zur Natur hin, die meditativ geprägt ist. In vorchristlicher Zeit glaubten die Balten an Naturgötter, davon hat sich vieles erhalten und dies erklärt die spirituelle Verbundenheit mit ihr, was wiederum die Musik prägt.

 

 


Lettland

Lettlands wohl bekanntester Komponist, Peteris Vasks, bestätigt die spirituelle Naturverbundenheit. Der Spaziergang durch den heimatlichen Wald ist für ihn ein Gottesdienst. In der Natur könne er die Harmonie der Welt erkennen. Vasks berichtet, dass er seine Kindheit in Kirchen verbracht habe. Er wuchs in einer Pfarrersfamilie auf, er bewunderte die leidenschaftlichen Predigten seines Vaters, die auch seine Art zu komponieren beeinflusste. Für die Sowjets habe es nichts Schlimmeres als eine Pfarrersfamilie gegeben. Dennoch sei ihm damals nie in den Sinn gekommen, seine Heimat zu verlassen. Die Doku zeigt, wie sein Chorwerk “Fruits of Silence” im Rigaer Dom aufgeführt wird. Die Stille stehe am Anfang jedes Schaffens, sie gewähre ihm Konzentration auf den inneren Geist. Vasks hat Respekt vor ihr und es fällt ihm nicht leicht, sie mit eigenem Klang zu durchbrechen. Auch Mitglieder der Kremerata Baltica werden befragt, die aus allen drei Ländern stammen. Das Orchester Gidon Kremers` hat es sich zum Ziel gesetzt, die Musik zeitgenössischer Komponisten aufzuführen, zum Beispiel “Lignum” von Jekabs Jancevskis, der von sich sagt, die Zeit seiner Musiker und der Zuhörer nicht verschwenden zu wollen und deshalb auf eigenartige Experimente verzichte. Die Naturverbundenheit kennzeichnet auch ihn, denn “Lignum” ist das lateinische Wort für Baum oder Holz. Jancevskis hofft, die Emotionen derjenigen zu wecken, die Lettland aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben, verlassen mussten. Er appelliert an sie, in die Heimat zurückzukehren. Kokle ist ein spezifisch lettisches Zupfinstrument, das Laima Jansone ausgezeichnet beherrscht. Das TV-Team besucht sie bei einem Workshop in Dikli. Jansone schätzt an diesem traditionellen Holzinstrument, dass es introvertierte Klänge erzeugt, die dem lettischen Charakter entsprechen.

 

 


Estland 

Maarja Nuut, die an einer Bucht in der Nähe von Tallinn lebt, wird als “Loop-Künstlerin” bezeichnet. Sie studierte Musik, um deren Sprache zu begreifen. Danach beschäftigte sie sich mit estnischen Traditionen. Für ihre Musik verwendet sie ausschließlich die Texte ihrer Landessprache. Auch sie bezeichnet die Tonkunst als eine Art Meditation. Die alten Lieder möchte sie nicht einfach nachsingen, sondern ist auf der Suche nach neuen Formen. Sie ist eine Bewunderin ihres Landsmanns, des Komponisten Arvo Pärts, dessen Zentrum gezeigt wird. Dirigent Tönu Kaljuste beschreibt Pärts spezielle Kompositionstechnik, die Alt und Neu, westliche und östliche Traditionen vermische, auf einem gewissen, in der estnischen Kultur überlieferten Minimalismus beruhe und die ihre Wurzeln im Gregorianischen Gesang habe. Komponist Erkki Sven Tüür wird an seinem Wohnsitz auf der Insel Hiiuma besucht. In der ländlichen Abgeschiedenheit verbindet er auf dem PC traditionelle Musik mit progressivem Rock. Er bezeichnet seine Landsleute als “High-Tech-Waldvolk”, das einerseits digitalisiert ist, andererseits Pilze und Beeren sammelt. Die Esten seien eine ungewöhnliche Gemeinschaft isolierter Seelen, die von der Landschaft entscheidend geprägt wurden. Seiner Ansicht nach ist es das Gefühl für den Wechsel der Jahreszeiten, die Hitze des Sommers und die Kälte des Winters, das die Einwohner der baltischen Länder verbindet.


Der Film von Atteln und Belaschek ist noch bis zum 14. Juni 2021 in der Arte-Mediathek zu sehen:

 

Wenn der Abend den Morgen trifft - Eine Reise zur Musik der Balten - Die ganze Doku | ARTE

UB 




 
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