Nachricht des Tages (2.2.07): Saeima berät Grenzvertrag mit Rußland
02.02.2007
Über zehn Stunden nahmen sich die Abgeordneten der Saeima, des lettischen Parlaments, am 1. Februar Zeit, um über ein Gesetz zu beraten, das die Regierung unter Ministerpräsident Aigars Kalvitis (Tautas partija, Volkspartei) dazu ermächtigen soll, den bereits 1997 paraphierten Grenzvertrag mit Rußland endgültig zu unterschreiben.
Vor allem die rechtskonservative Oppositionpartei Jaunais laiks (Neues Zeitalter), aber auch der mitregierende Zusammenschluß aus Tevzemei un Brivibai und LNNK (Für Vaterland und Freiheit/Bewegung für die nationale Unabhängigkeit Lettlands) monierten, damit verzichte man auf Teile des lettischen Territoriums, nämlich den Landkreis Abrene im Nordosten der Baltenrepublik. Den hatte hat sich die Russische Föderation entgegen der Zusage im Friedensvertrag von 1920, die Grenzen Lettlands auf ewig zu respektieren, 1944 kurzerhand einverleibt und eine Rückgabe bislang kategorisch abgelehnt (s. dazu den nachfolgenden Beitrag). Die angestrebte Grenzvereinbarung stelle somit die staatliche Kontinuität Lettlands in Frage, argumentierten die Kritiker im Vorfeld.
Am 1. Februar, dem Tag der Grundsatzdebatte in der Saeima, ließ es sich dann auch Lettlands Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga nicht nehmen, vor dem Plenum des Hohen Hauses zu sprechen. Die bemerkenswertesten Aussagen aus ihrer Ansprache und anderen Redebeiträgen:
"Unsere staatliche Kontinuität kann niemand anzweifeln. Sie hängt nicht vom Willen Rußlands ab, sie anzuerkennen oder nicht. (...) Ich bin für die Unterzeichnung des Grenzvertrages" (V. Vike-Freiberga).
"Es ist meine Überzeugung, daß wir alle uns in einer Frage einig sind - es ist für unser Land erforderlich, die Grenze zum Nachbarland festzuschreiben, damit wir beiderseitig vorteilhafte, freundschaftlicher und gerechte Beziehungen eingehen können. (...) Ich bin überzeugt, daß der vor der Regierung eingeschlagene Weg korrekt ist und die Chance bietet, die begonnene Arbeit fortzuführen und sie nicht in einer Sackgasse enden zu lassen" (Premierminister Aigars Kalvitis).
"Ich bestehe darauf, daß eine Volksabstimmung in dieser Frage der rechtlich einwandfreiere Weg ist. (...) Der Vertrag über die Grenze zwischen Lettland und Rußland ist viel mehr als eine Vereinbarung zwischen Regierungen über irgendeine Linie. Dieser Vertrag sollte einen Strich unter die blutige Geschichte des 20. Jhds. ziehen (...) Dieser Vertrag konzentriert in sich die Forderung nach Gerechtigkeit" (Ex-Außenministerin und erste EU-Kommissarin Lettlands Sandra Kalniete, Jaunais laiks).
"Die Diskussion darüber, ob wir Abrene brauchen oder nicht, gründet nicht in der objektiven, sondern virtuellen Realität oder in unserer Psyche, die an den widerfahrenen historischen Unrecht leidet. Liebe Letten, lassen wir es nicht zu, daß dieses Unrecht unseren gesunden Menschenverstand trübt und uns die Fähigkeit zu rationalen Überlegungen nimmt. Wir müssen begreifen, daß die Chancen, Abrene zurückzubekommen, nicht größer sind als die Möglichkeit, Tobago oder Gambia wiederzuerlangen" (Außenminister Artis Pabriks, Tautas partija, in Anspielung auf die überseeischen Kolonien des Herzogtums Kurland im 17. Jhd.).
"Der Abschluß des Grenzvertrags wird uns nicht Glück und Wohlstand garantieren, aber er ist eine wichtige Vorbedingung dafür, daß sich unsere Wirtschaft zu entwickeln beginnt" (Verkehrsminister Ainars Slesers, Latvijas Pirma partija, Lettlands Erste Partei).
"Nirgends in der Verfassung steht geschrieben, daß Lettland zu der Musik Rußlands zu tanzen habe. Vielleicht sollten wir eine kleine Pause einlegen, bis eine neue Platte aufgelegt wird" (Maris Grinblats, Fraktionschef Tevzemei un Brivibai/LNNK).
"Damit, daß wir zurückweichen und Rußland willfahren, verzichten wir auf unsere geistigen Grenzen" (Visvaldis Lacis aus der mitregierenden Gruppierung Zalo un zemnieku savieniba, Bündnis der Grünen und Bauern, Abweichler in der eigenen Partei).
"Es geht nicht nur um den Abschluß des Grenzvertrages zwischen Lettland und Rußland, sondern auch um den Abschluß eines Vertrages über die Ostgrenze von EU und NATO. Das ist unser Beitrag für die europäische Sicherheitspolitik" (Parlamentspräsident Indulis Emsis, Zalo un zemnieku savieniba).
"Wollen wir wirklich das Recht auf staatliche Kontinuität unseres Landes nur deshalb in Frage stellen, um die erfolglosen wirtschaftlichen Aktivitäten einiger lettischer Oligarchen in Rußland zu flankieren? Sollen wir tatsächlich auf unsere eigene Geschichte verzichten?" (Uldis Grava, Jaunais laiks).
Wohl zurecht hatte sich so mancher Beobachter bei früheren Gelegenheit gefragt, welchen Sinn es eigentlich machen würden, den inzwischen weitgehend russifizierten Landstrich zurück nach Lettland zu holen. Dafür käme im Falle eines Vertragsabschlusses auf Riga nun ein anderes Problem zu: Entschädigungsleistungen für Besitz in dem ehemaligen Kreis Abrene, heute Pytalowo...
Jetzt haben die Saeima-Abgeordneten gerade noch einen Tag Zeit für Veränderungsvorschläge, bevor der Gesetzentwurf im beschleunigten Verfahren am 8. Februar in zweiter Lesung endgültig verabschiedet wird. Geht man von den bisherigen Abstimmungsergebnissen aus, dürfte der Vorlage eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 100 Volksvertreter sicher sein.
Im übrigen: Stimmen aus der lettischen Wirtschaft haben sich durchweg positiv zum Abschluß des Grenzvertrages geäußert. So etwa Didzis Smits, der der Vereinigung der Fischwirtschaft Lettlands präsidiert: "Wir wären froh, hätte es diesen Vertrag schon seit zehn Jahren gegeben". Er muß es wissen: derzeit blockiert der sogenannte "Sprottenkrieg" die Ausfuhr lettischer Räucherspezialitäten nach Rußland (Diena und Dienas bizness, 2. Februar).
-OJR-
Am 1. Februar, dem Tag der Grundsatzdebatte in der Saeima, ließ es sich dann auch Lettlands Staatspräsidentin Vaira Vike-Freiberga nicht nehmen, vor dem Plenum des Hohen Hauses zu sprechen. Die bemerkenswertesten Aussagen aus ihrer Ansprache und anderen Redebeiträgen:
"Unsere staatliche Kontinuität kann niemand anzweifeln. Sie hängt nicht vom Willen Rußlands ab, sie anzuerkennen oder nicht. (...) Ich bin für die Unterzeichnung des Grenzvertrages" (V. Vike-Freiberga).
"Es ist meine Überzeugung, daß wir alle uns in einer Frage einig sind - es ist für unser Land erforderlich, die Grenze zum Nachbarland festzuschreiben, damit wir beiderseitig vorteilhafte, freundschaftlicher und gerechte Beziehungen eingehen können. (...) Ich bin überzeugt, daß der vor der Regierung eingeschlagene Weg korrekt ist und die Chance bietet, die begonnene Arbeit fortzuführen und sie nicht in einer Sackgasse enden zu lassen" (Premierminister Aigars Kalvitis).
"Ich bestehe darauf, daß eine Volksabstimmung in dieser Frage der rechtlich einwandfreiere Weg ist. (...) Der Vertrag über die Grenze zwischen Lettland und Rußland ist viel mehr als eine Vereinbarung zwischen Regierungen über irgendeine Linie. Dieser Vertrag sollte einen Strich unter die blutige Geschichte des 20. Jhds. ziehen (...) Dieser Vertrag konzentriert in sich die Forderung nach Gerechtigkeit" (Ex-Außenministerin und erste EU-Kommissarin Lettlands Sandra Kalniete, Jaunais laiks).
"Die Diskussion darüber, ob wir Abrene brauchen oder nicht, gründet nicht in der objektiven, sondern virtuellen Realität oder in unserer Psyche, die an den widerfahrenen historischen Unrecht leidet. Liebe Letten, lassen wir es nicht zu, daß dieses Unrecht unseren gesunden Menschenverstand trübt und uns die Fähigkeit zu rationalen Überlegungen nimmt. Wir müssen begreifen, daß die Chancen, Abrene zurückzubekommen, nicht größer sind als die Möglichkeit, Tobago oder Gambia wiederzuerlangen" (Außenminister Artis Pabriks, Tautas partija, in Anspielung auf die überseeischen Kolonien des Herzogtums Kurland im 17. Jhd.).
"Der Abschluß des Grenzvertrags wird uns nicht Glück und Wohlstand garantieren, aber er ist eine wichtige Vorbedingung dafür, daß sich unsere Wirtschaft zu entwickeln beginnt" (Verkehrsminister Ainars Slesers, Latvijas Pirma partija, Lettlands Erste Partei).
"Nirgends in der Verfassung steht geschrieben, daß Lettland zu der Musik Rußlands zu tanzen habe. Vielleicht sollten wir eine kleine Pause einlegen, bis eine neue Platte aufgelegt wird" (Maris Grinblats, Fraktionschef Tevzemei un Brivibai/LNNK).
"Damit, daß wir zurückweichen und Rußland willfahren, verzichten wir auf unsere geistigen Grenzen" (Visvaldis Lacis aus der mitregierenden Gruppierung Zalo un zemnieku savieniba, Bündnis der Grünen und Bauern, Abweichler in der eigenen Partei).
"Es geht nicht nur um den Abschluß des Grenzvertrages zwischen Lettland und Rußland, sondern auch um den Abschluß eines Vertrages über die Ostgrenze von EU und NATO. Das ist unser Beitrag für die europäische Sicherheitspolitik" (Parlamentspräsident Indulis Emsis, Zalo un zemnieku savieniba).
"Wollen wir wirklich das Recht auf staatliche Kontinuität unseres Landes nur deshalb in Frage stellen, um die erfolglosen wirtschaftlichen Aktivitäten einiger lettischer Oligarchen in Rußland zu flankieren? Sollen wir tatsächlich auf unsere eigene Geschichte verzichten?" (Uldis Grava, Jaunais laiks).
Wohl zurecht hatte sich so mancher Beobachter bei früheren Gelegenheit gefragt, welchen Sinn es eigentlich machen würden, den inzwischen weitgehend russifizierten Landstrich zurück nach Lettland zu holen. Dafür käme im Falle eines Vertragsabschlusses auf Riga nun ein anderes Problem zu: Entschädigungsleistungen für Besitz in dem ehemaligen Kreis Abrene, heute Pytalowo...
Jetzt haben die Saeima-Abgeordneten gerade noch einen Tag Zeit für Veränderungsvorschläge, bevor der Gesetzentwurf im beschleunigten Verfahren am 8. Februar in zweiter Lesung endgültig verabschiedet wird. Geht man von den bisherigen Abstimmungsergebnissen aus, dürfte der Vorlage eine Zwei-Drittel-Mehrheit der 100 Volksvertreter sicher sein.
Im übrigen: Stimmen aus der lettischen Wirtschaft haben sich durchweg positiv zum Abschluß des Grenzvertrages geäußert. So etwa Didzis Smits, der der Vereinigung der Fischwirtschaft Lettlands präsidiert: "Wir wären froh, hätte es diesen Vertrag schon seit zehn Jahren gegeben". Er muß es wissen: derzeit blockiert der sogenannte "Sprottenkrieg" die Ausfuhr lettischer Räucherspezialitäten nach Rußland (Diena und Dienas bizness, 2. Februar).
-OJR-
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