Unruhen nach Protestdemonstration in Riga
16.01.2009
Zwischen 10 und 20 000 Menschen demonstrierten am Abend des 13. Januar in der lettischen Haupstadt Riga friedlich gegen Regierung und Parlament. Sie forderten Staatspräsident Valdis Zatlers in einer Kundgebung auf dem Domplatz auf, die Abgeordneten zu entlassen und damit Neuwahlen zu ermöglichen. Der Unmut gegen das politische Establishment ist groß: Die Spar- und Deflationspolitik, mit der die Regierung den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise und dem weiteren Abgleiten in eine Rezession entkommen will, ist mit Steuererhöhungen und beträchtlichen Gehaltskürzungen verbunden. Zudem zieht die Regierungskoalition unter Premier Ivars Godmanis seit Monaten eine breite Spur von Vetternwirtschaft, Selbstbedienung und blanker Inkompetenz hinter sich her. Unvergessen etwa die Antwort von Finanzminister Atis Slakteris auf die Frage der amerikanischen Nachrichtenagentur Bloomberg, wie denn Lettland in die aktuelle Notsituation geraten sei. Die verblüffende Antwort: Durch „Nothing special“ („Nichts Besonderes“; eine gekürzte Fassung des Interviews ist noch unter im Internet zu finden).
Lettlands Finanzminister Atis Slakteris und der Satz, die ihn zum T-Shirt-Star machte. Copyright Abbildung: uzvelckreklu.lv
Nach der friedlichen, über weite Strecken aber uninspirierten Kundgebung am Dienstagabend auf dem Domplatz zogen mehrere hundert Jugendliche zum nahegelegenen Parlament und versuchten, das Gebäude zu stürmen. Sie warfen Flaschen und Steine, plünderten einen Spirituosengeschäft, kippten einen Polizei-Transporter um und beschädigten weitere sieben Einsatzfahrzeuge, lieferten sich in den engen Gassen der Altstadt eine Straßenschlacht mit den etwas hilflos wirkenden Ordnungshütern. Nach Angaben des Web-Portals Delfi wurden 41 Menschen verletzt, darunter Journalisten und Polizisten. Schließlich griff die Staatsmacht zum Schlagstock, setzte Tränengas ein und verhaftete 106 Randalierer.
Der ehemalige Außenminister Artis Pabriks, der seinerzeit die regierende Tautas Partija (Volkspartei) verließ und in die Opposition wechselte, hatte zuvor in seiner Rede auf dem Domplatz die Einführung einer progressiven Einkommensteuer gefordert, die nur für jene 20 Prozent der Arbeitnehmer höher ausfalle, die mehr als 30 000 Lats oder umgerechnet 42 660 Euro im Jahr verdienen. Pabriks appellierte an den Staatspräsidenten, die Saeima endlich aufzulösen: Der Präsident sei am Scheideweg, ob er sich mit dem Volk solidarisiere oder mit jenen, die derzeit die Regierung stellten.
Nach Angaben von Delfi demonstrierten annähernd 20 000 Menschen. Das wäre die größte Kundgebung seit der lettischen Unabhängigkeit im Jahr 1991. Nach der sogenannten „Regenschirmrevolution“ im Herbst 2007 war der Elan der Bevölkerung, sich für eine andere Politik zu engagieren, erlahmt. So scheiterte denn im letzten Sommer das Referendum, das die Entlassung der Saeima durch Volksentscheid ermöglichen sollte, an mangelnder Beteiligung.
Der ehemalige Außenminister Artis Pabriks, der seinerzeit die regierende Tautas Partija (Volkspartei) verließ und in die Opposition wechselte, hatte zuvor in seiner Rede auf dem Domplatz die Einführung einer progressiven Einkommensteuer gefordert, die nur für jene 20 Prozent der Arbeitnehmer höher ausfalle, die mehr als 30 000 Lats oder umgerechnet 42 660 Euro im Jahr verdienen. Pabriks appellierte an den Staatspräsidenten, die Saeima endlich aufzulösen: Der Präsident sei am Scheideweg, ob er sich mit dem Volk solidarisiere oder mit jenen, die derzeit die Regierung stellten.
Nach Angaben von Delfi demonstrierten annähernd 20 000 Menschen. Das wäre die größte Kundgebung seit der lettischen Unabhängigkeit im Jahr 1991. Nach der sogenannten „Regenschirmrevolution“ im Herbst 2007 war der Elan der Bevölkerung, sich für eine andere Politik zu engagieren, erlahmt. So scheiterte denn im letzten Sommer das Referendum, das die Entlassung der Saeima durch Volksentscheid ermöglichen sollte, an mangelnder Beteiligung.
Lustiges Nebeneinander auf dem Domplatz in Riga am 13.
Januar 2009: Russische Fahne und Plakat mit der Aufforderung
an Staatspräsident Valdis Zatlers, die Augen zu öffnen. Copyright
Photo: Romualds Vombuts/esports.lv
Vermutlich würden die Zahl der Demonstranten und ihre politischen Forderungen die Schlagzeilen bestimmen, wenn die Proteste nicht in Gewalt geendet hätten. Danach widmeten sich die lettischen und internationalen Medien fast nur noch der nächtlichen Straßenschlacht. Die Tageszeitung Diena berichtete am Dienstagabend um 20.53 Uhr auf ihrer Webseite, dass Demonstranten versuchten, ins Parlament einzudringen. Sie warfen Steine, die Polizisten und Journalisten verletzten. Der Diena-Journalist Pauls Raudseps beobachtete, wie der erste Pflasterbrocken gegen die historistische Fassade der Saeima flog. Wenig später waren nahezu alle Fenster im Parterre zerstört.
Vertreter der Oppositionsparteien distanzierten sich von der Gewalt. Aigars Štokenbergs, wie Pabriks ein ehemaliger Volkspartei-Minister, forderte härteste Strafen für jene „Hooligans, Provokateure, welche sich offensichtlich unter Alkoholeinfluss zum Gebäude der Saeima“ begeben hätten. Dagegen kommentierte Regierungschef Godmanis die Gewalt moderater: „Man muss hoffen, dass sich die Menschen beruhigen, wieder zur Besinnung kommen, nun gibt es auch Delikte – Fensterscheiben zerschlagen, einen Konflikt mit den Ordnungshütern beginnen. Das ist nicht demokratisch".
Inzwischen hat auch Präsident Zatlers reagiert. Wie es der Zufall so will: Dieser Tage war er zu Besuch beim Europaparlament. Und zwar ausgerechnet in Straßburg, einer Stadt, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, daß Jugendliche hier zu Silvester, aber auch zu anderen Gelegenheiten Autos umkippen oder in Brand stecken und sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Aus dem fernen Frankreich forderte Zatlers Regierung und Parlament nun in recht ultimativem Ton auf, bis zum 31. März die Verfassung zu ändern und eine Auflösung des Parlaments per Volksentscheid vorzusehen; ferner verlangte er eine Novellierung des Wahlgesetzes und die Verabschiedung eines Aktionsplans für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Andernfalls wolle er selbst eine Entlassung des Hohen Hauses in die Wege leiten.
Die bitteren Folgen dieser Finanzspritze muss nun die Bevölkerung tragen: Während in Westeuropa die Politiker sich von allen Sparzwängen befreien und gegenseitig mit Konjunkturpaketen überbieten, sieht sich die hiesige Regierung gezwungen, den Staatshaushalt zu sanieren, um die Maastricht-Kriterien einzuhalten: Die Gehälter der staatlichen Angestellten werden reduziert, viele müssen um ihre Stellen bangen. Die Mehrwertsteuer steigt von 18 auf 21 Prozent. Allerdings wird dafür die Einkommensteuer von 25 auf 23 Prozent reduziert und das monatliche steuerfreie Existenzminimum von 80 auf 90 Lats , beziehungsweise von 115 auf 129 Euro, angehoben. Eine Wirtschaftspolitik, die sich der Rezession entgegenstemmt, sieht anders aus.
-Udo Bongartz; Mitarbeit: OJR-
Inzwischen hat auch Präsident Zatlers reagiert. Wie es der Zufall so will: Dieser Tage war er zu Besuch beim Europaparlament. Und zwar ausgerechnet in Straßburg, einer Stadt, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, daß Jugendliche hier zu Silvester, aber auch zu anderen Gelegenheiten Autos umkippen oder in Brand stecken und sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Aus dem fernen Frankreich forderte Zatlers Regierung und Parlament nun in recht ultimativem Ton auf, bis zum 31. März die Verfassung zu ändern und eine Auflösung des Parlaments per Volksentscheid vorzusehen; ferner verlangte er eine Novellierung des Wahlgesetzes und die Verabschiedung eines Aktionsplans für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Andernfalls wolle er selbst eine Entlassung des Hohen Hauses in die Wege leiten.
Doch hinter der wiederholten Forderung, das Parlament aufzulösen, zeigt sich eine gewisse Ohnmacht und Ratlosigkeit. Darüber, wie der Politikwechsel gestaltet werden soll, herrscht wenig Klarheit. Mit einer neuen Regierung allein wird es nicht getan sein. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise macht die Politiker in Riga selbst zu Getriebenen: Es geht nicht allein um die Sanierung der Parex-Bank, des zweitgrößten Finanzdienstleisters der kleinen Baltenrepublik, der im Herbst nur durch eine Verstaatlichung zum Spottpreis von 2 Lats (nicht ganz 3 Euro) vor dem Zusammenbruch bewahrt werden konnte. Zur Stabilisierung der Wirtschaft erhält Riga einen Kredit von 7,5 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds, Europäischer Union und skandinavischen Staaten (die letzteren treibt die Sorge um, eigene Institute wie Swedbank oder SEB könnten durch den Ausfall ihrer Töchter in Lettland selbst in den Strudel gerissen werden).
Im Sonderangebot: die lettische Parex-Bank
(Mitte der unteren Reihe). Autor: unbekannt
Die bitteren Folgen dieser Finanzspritze muss nun die Bevölkerung tragen: Während in Westeuropa die Politiker sich von allen Sparzwängen befreien und gegenseitig mit Konjunkturpaketen überbieten, sieht sich die hiesige Regierung gezwungen, den Staatshaushalt zu sanieren, um die Maastricht-Kriterien einzuhalten: Die Gehälter der staatlichen Angestellten werden reduziert, viele müssen um ihre Stellen bangen. Die Mehrwertsteuer steigt von 18 auf 21 Prozent. Allerdings wird dafür die Einkommensteuer von 25 auf 23 Prozent reduziert und das monatliche steuerfreie Existenzminimum von 80 auf 90 Lats , beziehungsweise von 115 auf 129 Euro, angehoben. Eine Wirtschaftspolitik, die sich der Rezession entgegenstemmt, sieht anders aus.
-Udo Bongartz; Mitarbeit: OJR-
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