Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Kehrtwende in der lettischen Steuerpolitik
01.10.2015


Regierung plant Solidaritätssteuer für Besserverdiener

Protest gegen Armut an einem MüllcontainerDas Kabinett von Laimdota Straujuma hat am 22.9.2015 die Einführung einer Solidaritätssteuer beschlossen. Der Haushaltsentwurf für das kommende Jahr sieht vor, dass Arbeitnehmer mit einem Jahresgehalt von über 48.600 Euro mehr Steuern zahlen sollen. Das ist der Abschied von einer regressiven Besteuerung, die Besserverdiener begünstigt, weil sie bislang ab der genannten Summe von Sozialabgaben freigestellt sind. Manche werten dies als Vorstufe für eine progressive Einkommenssteuer, die auch in Regierungskreisen Sympathisanten hat. Bislang gilt die Flattax, eine prozentual einheitliche Besteuerung für arme und wohlhabende Arbeitnehmer. Die Webseite des Finanzministeriums begründet die geplante staatliche Solidaritätsmaßnahme mit Argumenten, die nicht gerade `neoliberal` klingen.

"Wir gegen Armut!" steht auf diesem Plakat von 2009. Die Regierung von Laimdota Straujuma reagiert mit einem Wechsel in der Steuerpolitik, Foto: LP

 

Einstieg in ein progressives Steuersystem

Jährlich 48.600 Euro Einkommen sind die Bemessungsgrenze für Sozialabgaben. Wer mehr verdient, muss bisher jenseits dieser Summe keinen finanziellen Beitrag für Soziales und Gesundheit leisten. Lettische Arbeitnehmer zahlen einheitlich 23 Prozent Flattax-Steuer. Dazu kommen Sozialabgaben. Daran beteiligen sich Arbeitnehmer mit 10,5 Prozent ihres Bruttogehalts und Arbeitgeber zusätzlich mit 23,59 Prozent. Das Finanzministerium beabsichtigt, der sozialen Ungleichheit im Land entgegenzuwirken: „Die bislang eingeführten steuerlichen Änderungen in Bezug auf Arbeitnehmer betrafen gleichermaßen und zur Gänze alle Beschäftigten, verringerten nicht das Problem der Einkommensungleichheit und der Regressivität im Steuersystem. Deshalb sind die Vorschläge für das Budget des kommenden Jahres zielbewusst auf Steuerprogressivität und solidarische Reduzierung der Einkommensungleichheit in der Gesellschaft gerichtet, das ist eines der wichtigsten Aufgaben dieser Regierung,“ ist auf der Webseite des Finanzministeriums zu lesen. Eine tatsächliche Steuerprogression steht im nächsten Haushaltsjahr noch nicht an. Erst einmal wird die Regression, also die Begünstigung von Besserverdienern beseitigt. „Um die Regressivität der Arbeitnehmersteuern zu verringern, sieht einer der Vorschläge vor, die Solidaritätssteuer einzuführen. Diese vermindert Ungleichheit insofern, dass der Empfänger eines Mindestlohns prozentual die gleiche Steuerlast trägt wie eine Person, deren Einkommen aus Lohnarbeit mehr als 120.000 Euro im Jahr beträgt.“ Das Finanzministerium schätzt, dass etwa 4700 Arbeitnehmer in Lettland mehr als 48.600 Euro im Jahr verdienen, zukünftig also mehr Steuern zahlen müssen. 40,9 Millionen Euro soll die Solidaritätssteuer einbringen. Diese wird dem allgemeinen Budget, nicht den Sozialbehörden zufließen.

Karlis Sadurskis

Vienot?ba-Finanzpolitiker K?rlis Šadurskis, Foto: "K?rlis Šadurskis" by Edgars2007 - Paša darbs. Licensed under CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

 

Arbeitgeber-Warnungen vor Wachstumseinbußen und Entlassungen

Arbeitgeber-Vertreter kritisieren die Regierungspläne, die Einkommenssteuer nicht weiter zu senken, statt dessen eine Solidaritätssteuer einzuführen. J?nis Endzi?š, Leiter der Lettischen Industrie- und Handelskammer erklärte am 29.9.2015 auf lsm.lv, warum sich sein Verband gegen die Regierungspläne wendet: „... angesichts dessen, dass diese bestimmt Lettlands Wachstumstempo verringern werden und bessere alternative Vorschläge notwendig wären.“ Juris Gulbis, Chef der staatseigenen Lattelecom, meinte einen Tag nach dem Kabinettsbeschluss auf derselben Webseite, dass die Solidaritätssteuer weder solidarisch noch progressiv sei. Diese Last werde der Arbeitnehmer- und nicht der Kapitalseite aufgebürdet und das beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit. Ehrliche Arbeitgeber müssten nun „optimieren“, was offenbar Entlassungen bedeutet. Gulbis droht mit dem Gang zum Verfassungsgericht, falls die Saeima dem „aggressiven“ Vorhaben der Regierung zustimme. Der Vienot?ba-Politiker K?rlis Šadurskis, Vorsitzender des Haushaltsausschusses der Saeima, reagiert auf solche Warnungen und Drohungen gelassen. In der Sendung „R?ta Panorama” verteidigte er am 29.9.2015 die Steuerpolitik seiner Regierung. Demnach müssen sich Arbeitgeber und Unternehmer zukünftig auf einen neuen Wind in der lettischen Steuerpolitik einstellen: „Denn derzeit kristallisiert sich klar heraus, dass wir doch zu progressiven Einkommenssteuern übergehen. Und dagegen wäre vor dem Verfassungsgericht schwer etwas auszurichten. Der größte Teil der EU-Staaten besteuert die Einkommen seiner Einwohner progressiv. Und auch in Lettland wird es offensichtlich zu dieser Progressivität kommen, aber das kann man nicht abrupt einführen.“ Bislang schneidet Lettland im EU-Vergleich schlecht ab. Einkommensungleichheit und Armutsquote sind hierzulande überdurchschnittlich hoch. Mit der Erhöhung des Mindestlohns in diesem Jahr und dem eingeleiteten Übergang zur progressiven Besteuerung reagiert die Regierung auf diesen Missstand.

 

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Externe Linkhinweise:

lsm.lv: Budžets 2016: Vald?ba atbalsta, ministri apmierin?ti, bet NVO – kritiskas

lsm.lv: Šadurskis: Solidarit?tes nodoklis var?tu b?t pagaidu risin?jums uz vienu gadu

lsm.lv: «Lattelecom» vad?t?js: Solidarit?tes nodoklis nav ne solid?rs, ne progres?vs

fm.gov.lv: Solidarit?tes nodokli maks?s tikai personas ar algu virs 48 600 eiro gad?




 
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