Lettland: Krankenschwestern protestieren gegen geringe Bezahlung und Überlastung
29.09.2016
Gewerkschafter: Freund Hein liebt Lettland
Der Protest war überwiegend weiblich. Am 29.9.2016 bekundeten Krankenschwestern und ihre Kollegen aus Arztpraxen und Krankenhäusern ihren Unmut. Die Lettische Gewerkschaft der Bediensteten in den Gesundheits- und Sozialberufen (LVSADA) hatte zur Demonstration vor dem Parlament aufgerufen. Laut Nachrichtenagentur LETA versammelten sich etwa 300 bis 350 Menschen und sahen zur aufgebauten Bühne. LVSADA-Vorsitzender Valdis Keris erinnerte daran, dass die lettische Regierung gerade mal drei Prozent des BIP für die staatliche Gesundheitsversorgung aufwende. Das ist nicht einmal die Hälfte dessen, was andere EU-Länder im Durchschnitt vorsehen. Er rief der Menge zu, dass man die Kraft des Geistes und der Kunst nutzen müsse, wenn die Politiker weiterhin die Forderungen überhörten. Danach überließ er die Tribüne einer schwarzen Gestalt - Freund Hein mit der Sense.
Der Preis des Lebens? Foto: LP
Freund Hein liebt die Regierung
Freund Hein bekannte, dass er in Lettland einen wunderbaren Schnitt mache. Dann zog er sich um, seine Tracht wurde grün. Als "grüner Tod" versprach er, alles zu tun, dass die Partei Union der Grünen und Bauern (ZZS), die den Ministerpräsidenten stellt, an der Regierung bleibe. Dieser Sketch verdeutlichte die Unzufriedenheit der Angestellten mit der Politik der Regierenden und der sie unterstützenden Abgeordneten. Auch im geplanten Budget für 2017 sind keine wesentlichen Mehrausgaben für das Gesundheitsressort vorgesehen. Die Gewerkschafter verlangen kurzfristig eine Erhöhung auf vier Prozent des BIP bis zum Jahr 2020. Keris forderte die Versammelten auf, sich in der Unterschriftenliste einzutragen, die dem Parlament übergeben werden soll. Die Unterzeichner drohen, jene Abgeordnete nicht zu wählen, die für das geplante Budget stimmen. Aus der Menge ragten Luftballons mit der aufgedruckten Frage: "Der Preis des Lebens?" Auf einem Transparent war der Satz zu lesen: "Unser Schweigen schadet Ihrer Gesundheit!" Auf einer Karikatur war ein Chirurg mit frisch amputierten Armen abgebildet: "Scharfes Blut - das Gesundheitsbudget."
Der zum Grünen mutierte Sensenmann will Einlass an der Tür des Parlaments, Foto: LP
Zu geduldig gewesen
Die stellvertretende LVSADA-Vorsitzende L?ga B?ri?a beschrieb im Lettischen Radio die Lage. Aus Lettland emigrieren Ärzte und medizinische Fachkräfte, der Rest wird schlecht bezahlt und ist überlastet. Sie selbst arbeite mindestens zwölf Stunden pro Tag. Häufig hätten die Verbliebenen zwei Arbeitsstellen, seien ausgebrannt, was sich letztlich auch auf die Patienten auswirke. Als optimales Monatsgehalt stellt sie sich 1500 Euro für Krankenschwestern vor. Doch derzeit verdiene eine Pflegerin netto gerade mal 410 Euro. "Wir sind viele Jahre zu geduldig gewesen." Eurostat-Daten bestätigen die dürftige medizinische Versorgung. Gemessen am EU-Durchschnitt sind die lettischen Daten schlecht: Im Jahr 2014 mieden 10,5 Prozent der befragten Letten eine notwendige ärztliche Untersuchung, weil sie ihnen zu teuer war. Das war der schlechteste Wert vor Griechenland (9,7 Prozent) und Rumänien (8,5 Prozent) - der EU-Durchschnitt lag bei 2,4 Prozent. Die Lebenserwartung der lettischen Bevölkerung verlängerte sich zwar innerhalb eines Jahrzehnts über vier Jahre und erreichte 2014 den Durchschnitt von 74,5 Jahren. Doch außer den Bulgaren, die durchschnittlich ebenfalls so alt werden, haben alle anderen EU-Bürger die Chance auf eine längere Lebenserwartung. Ziemlich oben rangiert Lettland auch bei der Anzahl vermeidbarer Sterbefälle - 48,5 Prozent, hinter Rumänien der zweithöchste Wert. Die EU-Kommission appelliert an die lettische Regierung, mehr für die Gesundheit der Bürger zu unternehmen.
Überwiegend Frauen protestierten, Foto: LP
Verhandlungsbereitschaft
In der LTV-Sendung “R?ta panor?ma” beklagte sich die Fraktionsvorsitzende der mitregierenden Vienot?ba, Solvita ?bolti?a, über den LVSADA-Chef Keris. Er habe eine Einladung der Saeima-Vorsitzenden In?ra M?rniece abgelehnt. Diese hatte ihm ein Treffen mit Fraktionsvorsitzenden und Abgeordneten der parlamentarischen Gesundheitskommission vorgeschlagen. ?bolti?a äußerte zwar Verständnis für die Proteste, doch sie frage sich, wie man ohne Gesprächsbereitschaft zu einer Lösung kommen wolle. Keris entgegnete gegenüber LETA, dass der Vorschlag zu spät gekommen sei. Er hoffe aber, dass ein solcher Termin in nächster Zeit vereinbart werden könne.
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