Rigas Stadtregierung plant eine Kurklinik für Katzen
31.03.2017
Der Streit um Rigas sonderbarsten Darkroom ist Hauptthema des Kommunalwahlkampfs
Das „Katzenhaus“ ist eine bekannte Sehenswürdigkeit Rigas. Touristen kennen es als das auffällige Jugendstil-Gemäuer mit den Katzentürmen, das sich gegenüber den beiden neugotischen Gildehäusern befindet. Architekt Friedrich Scheffel hatte 1909 die Idee, Rigas Innenstadt mit diesem ebenso schmucken wie eigenartigen Haus zu bereichern. Auf ihm strecken zwei eiserne Katzen ihre Schwänze gen Himmel und halten sich geschickt auf den spitzen Turmdächern. Über sie ranken sich Gerüchte. Die Mäuseriche, die einen beträchtlichen Buckel machen, schuf ursprünglich der Schmied A. Bormanis. Der Bauherr, ein reicher lettischer Händler, soll damals Streit mit der Großen Gilde gehabt haben. Das war die Organisation der Kaufleute, in denen ein deutschbaltischer Geist waltete. Die standesbewussten Herrschaften wollten keinen Letten aufnehmen. Weil der Geschmähte seine Verachtung gegen die Gilde ausdrücken wollte, habe er die Katzen von einem Kollegen Bormanis`, P. Laumanis, so aufstellen lassen, dass sie ihre Hintern zur Gilde gestreckt hätten. Andere Gerüchte behaupten, der Inhaber des Katzenhauses habe Streit mit dem Stadtrat gehabt und die Hinterteile in dessen Richtung postiert. Es soll sogar zu juristischen Auseinandersetzungen gekommen sein. Doch in den Wirren des 20. Jahrhunderts gingen die Akten des Rechtsstreits und die lieblichen Katzenskulpturen verloren. In?ra Gulbe und Vilnis Zibenis haben sie dann 1982 neu entworfen. Nun strecken die Katzen ihre Schwänze in geziemende Richtungen. Das Thema Katzenhaus beherrscht den Rigaer Kommunalwahlkampf. Am 3.6.2017 werden die Rigenser ihre Vertreter im Stadtparlament neu wählen. Bürgermeister Nils Ušakovs, erklärter Liebhaber dieser kralligen Schmusetiere, plant, im Katzenhaus mit einer us-amerikanischen Erbschaft eine luxuriöse Kurklinik für erschöpfte Katzen einzurichten. Die Opposition schäumt.
Eine Katze des Katzenhauses in Riga, Foto: LP
Das Erbe der Miss Mary Rokpenny
Miss Mary Rokpenny hatte ihr ganzes Leben den Katzen gewidmet. Schon als kleines Kind nahm sie jede gebrechliche Katze mit nach Hause und umsorgte sie. Von ihrem Taschengeld kaufte sie Katzenfutter oder spendierte Tierarztbesuche. Später studierte sie Veterinärmedizin, gründete im US-Bundesstaat Virginia die erste Katzenklinik der Welt, mit 100 Rundbetten in 50 Zimmern. Diese erwies sich als erfolgreiches Geschäftsmodell. Im Laufe ihres langen Lebens gründete sie 54 Katzenkliniken in den USA, im Jahr 1992 die erste und bislang einzige in Russland, natürlich im recht begüterten Moskau. Noch als 90jährige lebte sie persönlich sparsam in ihrem schlichten Holzhaus in der Heimat Virginia. Die Wohnung beheizte die Betagte noch kurz vor ihrem Tod mit selbst gesammeltem Brennholz und weigerte sich zudem bis zuletzt, das Häuschen für die Notdurft im Garten durch eine bequemere sanitäre Anlage ersetzen zu lassen. Gott habe ihr die Mission erteilt, auf Katzen aufzupassen und nicht, im Wohlstandssumpf der Moderne zu versinken. Ihre Vorliebe war es, sich für blinde und beinamputierte Katzen aufzuopfern, ihnen bis zum letzten Atemzug mit Palliativmedizin beiseite zu stehen. Mary Rokpenny ist am 13.12.2016 gestorben. Danach wurde bekannt, dass sie lettische Vorfahren hatte. In ihrem Testament ordnete sie an, der Stadt Riga 20 Millionen Euro zu überweisen. Damit soll die Stadt eine exklusive Kurklinik für Katzen einrichten. Bürgermeister Ušakovs nahm das Geldgeschenk in einer feierlichen Zeremonie mit Rokpennys Angehörigen im Festsaal der Kleinen Gilde mit aufrichtigem Dank entgegen. Er freue sich, endlich etwas für seine Lieblingstierart tun zu dürfen. Er werde Rokpennys Auftrag mit großem Ernst und pflichtbewusst erfüllen – wenn seine Koalitionsregierung die Wahl gewonnen habe, fügte er selbstbewusst hinzu.
Das Katzenhaus, kurz nach der Wahl sollen die Bauarbeiten beginnen, Foto: Horvat - Paša darbs, Neaizsarg?ts darbs, Saite
Ein Katzenhotel in Rigas bester Lage
Pläne, wie die Etagen des Katzenhauses zukünftig gestaltet werden, liegen bereits vor. In den beiden oberen Stockwerken werden sich die Hotelzimmer für die Katzengäste mit oder ohne menschliche Begleitung befinden. Sämtliche Übernachtungsplätze sind mit Kletterbäumen aus Mahagoniholz und mit einem separierten Katzen-WC ausgestattet, dessen Streu nach jedem Toilettengang automatisch erneuert wird. Runde seidene Kuschelbetten mit flauschigen Schmusedecken und großen Mäusekissen zum Reinbeißen dominieren die Innenausstattung. Ein verschämt in der Ecke postiertes Schnapsglas aus Bleikristall reicht für die Katzenwäsche. Sehr hübsch nehmen sich der Kühlschrank - der mit einem Pfotenschubs zu öffnen ist - und das zugehörige Ess- und Trinkgeschirr aus. Dieses Mobiliar-Ensemble wurde von Stardesigner Luigi Colani in seinem typisch organischen Stil kreiert. Der eiförmige Kühlschrank besitzt zwei Katzenohren, in denen sich hochwertiges Saufgeschirr und Futternäpfe befinden. Unter diesen Übernachtungsräumen wird die Klinik eingerichtet. Die Manager des Rokpenny-Konzerns haben der Stadt Riga zugesagt, die medizinische Abteilung unentgeltlich mit modernsten technischen Gerätschaften der Veterinärmedizin auszustatten. Die erste (lettisch: zweite) Etage ist der Katzenwellness vorbehalten. Hier werden speziell ausgebildete Pfleger die Tiere massieren, ihnen Fango-Packungen verabreichen, ein Whirlpool aus Milch soll helfen, die bekannte Wasserscheu der ansonsten recht gepflegten Wesen zu überwinden. Die „Fang-die-Maus-Bahn“ ist für übergewichtige Katzen und Kater konstruiert, die beim (aussichtslosen) Versuch, eine Mausattrappe zu fangen, gehörig ins Schwitzen geraten werden. Da für Kater Hanteltraining ungeeignet ist, müssen sich vierbeinige Machos auf einer Gummidecke auf den Rücken legen. Dann wird von oben eine Platte auf sie herabgesenkt, die sie mit aller Kraft, die in ihren Beinen und Pfoten steckt, von sich fernhalten müssen. Der Hersteller versichert, dass sein Sicherheitssystem funktioniert und die Tiere nicht zerquetscht werden. Im Parterre (lettisch: 1. Etage) wird das Katzen-Restaurant Einzug halten. Köche aus Frankreich und China sind bereits engagiert. Der Speiseplan wird sich nicht auf Maussteak, Taubenfrikassee oder deftigen Rattenbraten beschränken. Katzen nehmen zur Verdauung bekanntlich auch Vegetarisches zu sich. Die Küchenmeister werden den kleinen Schleckermäulchen spezielle knackig-schmackhafte Grassorten aus Südamerika und Asien mit einem unwiderstehlichen Sahnedressing als ganz besonders raffinierte Beilage servieren.
Kein Valentinstag in Sicht, um Rigaer Katzenbeziehungen steht es in der heutigen Zeit nicht zum besten, Foto: LP
Der Darkroom im Basement
Der Keller wird zu einem pikanten Vergnügungszentrum für die Heranwachsenden unter den Stubentigern ausgestattet. Neben der Cocktailbar, die Katzen mit für sie gar nicht so gesunden Milchshakes verführen wird, befindet sich die Tanzfläche samt Bühne für Katzenmusiker. Musikexperten bezweifeln übrigens den schlechten Ruf, den die Katzenmusik in Menschenohren üblicherweise genießt. Andris Dziedatajs, Dozent an der Lettischen Musikakademie, hält dies für ein Vorurteil. Er hält Katzenmusik für ähnlich progressiv wie Zwölf-Ton-Musik und Katzenlaute erinnern ihn an die Sprache der Oper, an das Italienische: „Miao, Ciao“. Nebenan befindet sich das Unaussprechliche, die Dunkelkammer, der Darkroom. Hier sollen sich gefundene Katzenpärchen – oder sogar ganze Katzengruppen – bei Schummerlicht zurückziehen, um sich auf samtweichen Matten Intimitäten hinzugeben. Obwohl es sich um Tiere handelt, zeigten sich die Kirchenverbände gleich empört. Die Oppositionsparteien betrachten den Darkroom als Wahlkampfvorlage. Mit solch einem Katzensexclub mache sich Riga zum Gespött in der ganzen Welt, erregte sich ein Stadtrat der Oppositionspartei Vienotiba. Die Zoologen des städtischen Tierparks kommen zu einer anderen Einschätzung. Sie beobachten, dass sich das Geschlechterverhältnis zwischen Katzen und Katern in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt hat. Die Zeiten des Patriarchats, des flotten und brutalen Rein-Raus mit widerborstigem Katerpenis, seien vorbei. Katzen wollen zärtlich umworben werden, zeigen sich nun auch selbstbewusster und feministischer in ihrem Rollenverhalten: Man beobachte zunehmend heftige Revierkämpfe zwischen den Geschlechtern. Die Folge dieser sozialen Umwälzung könnten für Riga verheerend sein: Die Geburtenrate der Katzen, die wild zwischen den Plattenbauvierteln leben, sinkt. Die Experten prognostizieren für Riga eine heftige Mäuse- und Rattenplage in den kommenden zehn Jahren. Im Darkroom soll das erotische Zusammenspiel zwischen den Geschlechtern neu erlernt werden. Für die eingeschüchterten und verstörten Kater wird außerdem eine tiertiefenpsychologische Beratungsstelle eingerichtet. Ein veterinärmedizinischer Chirurg ist darauf spezialisiert, mit nanotechnischen Methoden den Katerpenis zu glätten. Das umstrittene Basement ist nicht der einzige Grund, weshalb das Katzenhaus die Schlagzeilen der Lokalpresse füllen. Streit entfacht auch die Finanzierung. Die 20 Millionen Euro sind nur für die neue Ausstattung des Katzenhauses vorgesehen, die laufenden Betriebs- und Personalkosten wird die Stadt Riga übernehmen. Ušakovs rechtfertigt diese weitere Belastung des kommunalen Haushalts. Schließlich entstünden neue Arbeitsplätze für Veterinärmediziner, Tierpfleger, Tierpsychologen, Katzenköche und deren Helfer. Zudem locke das sicherlich bald international beachtete Katzenkurzentrum Tierfreunde aus aller Welt, besonders die begüterten aus den USA und Russland. Das würde frisches Geld in die Stadt bringen. Doch die Opposition beklagt, dass Ušakovs nicht nur wohlhabende Katzenherrchen – und -dämchen anlocken wolle. Aus sozialen Gründen will das Stadtoberhaupt Geld der Armenverwaltung umwidmen. Es soll den streunenden Katzen in den Rigaer Vororten zugute kommen. Diese hätten ein schweres Leben, müssten die kalten Winter überstehen, seien vielen Anfeindungen ausgesetzt, seien häufig schwer verletzt. Ušakovs will auch solchen Tieren einen Aufenthalt im noblen Katzenhaus gewähren. Auf den Ausgang der Wahl darf man gespannt sein.
Dieser Beitrag wurde am 1.4.2017 veröffentlicht
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