Lettland: Initiative fordert aktive Sterbehilfe
11.03.2017
Sterbehilfe statt Palliativmedizin - die preiswerte Alternative für lettische Geringverdiener?
P?teris Buks hat am 11.3.2017 auf manabalss.lv eine Initiative zur Einführung der aktiven Sterbehilfe in Lettland gestartet. Auf dieser Webseite können Initiativen und einzelne Personen Gesetzesänderungen anregen. Werden diese von 10.000 Interntnutzern unterstützt, so prüfen Experten, ob die Vorschläge politisch umgesetzt werden können. Der Zeitschrift kasjauns.lv berichtete Buks, dass er sich aus persönlicher Betroffenheit für die Sterbehilfe einsetze. Er bezieht sich auf einige westliche Länder, in denen sie legal ist. Doch im Text, den er auf manabalss.lv veröffentlichte, findet sich eine fragwürdige Formulierung.
Bereits Francis Bacon machte sich Gedanken um ein erleichtertes Sterben, Foto: Paul van Somer (1576/1578–1622), Gemeinfrei, Link
Sieben Tage Palliativmedizin
Seine Großmutter sei eine intelligente und stattliche Frau gewesen. Als Veterinärärztin habe sie die Tiere wie die Menschen geliebt. Aber an ihrem Lebensende sei sie erblindet und hinfällig geworden. Wegen ihrer Probleme mit der Blutzirkulation habe sie eine Gangrän, ein Absterben des Gewebes, erlitten. Sie habe in dieser Zeit extreme Schmerzen gehabt, als ob man ihr ins Gehirn gebohrt habe. Dann seien ihr beide Beine amputiert worden. Für Buks war das ein falscher Entschluss, den die Großmutter nicht gewollt habe. "Alten Menschen ist es nicht gestattet, ganz friedlich zu sterben, statt dessen bereitet man ihnen am Lebensende eine Reihe von Qualen," folgert Buks und bezweifelt, dass Leben um jeden Preis religiös zu begründen ist: "Und das ist kein göttlicher Wille oder eine Karma-Vorschrift, wenn der Leidende sogar selbst nichts trinken kann und ohne die `Hilfe` anderer verdurstet oder verhungert, was dennoch schneller ginge und weniger quälend." Das Essen wurde im letzten Jahr Viesturs Bundža zur Qual. Sein Zungenkrebs hatte bereits den ganzen Hals befallen. Er wandte sich an die Öffentlichkeit und bat seine Mitbürger um Spenden. Er brauchte das Geld, weil er sein Lebensende in einer Schweizer Klinik verbringen wollte, wo die Ärzte beim Sterben assistieren dürfen. Mehr als 10.000 Euro kamen zusammen. "Ich will mich nicht bis zur Bewusstlosigkeit im Bett herumwälzen, zum Schrecken meiner Angehörigen, zu meinem eigenen Schrecken," sagte er der Journalistin Aija Kinca (lsm.lv). Dennoch blieb Viesturs in Lettland, wo er im letzten November gestorben ist. Gesundheitsminister Guntis Bel?vi?s lehnte es im Hinblick auf Viesturs` Schicksal ab, die Sterbehilfe zu legalisieren. Das sei eine politische Entscheidung, auf die Lettland noch nicht vorbereitet sei. In ihrem Artikel berichtet Kinca über die Skepsis mancher Ärzte. Onkologin L?ga Keiša-?irse will keine ärztliche Sterbehilfe zulassen: "Ich als Ärztin unterstütze das nicht, denn ich sehe, dass man helfen kann." Lettische Krankenhäuser bieten Palliativmedizin an, also Medizin, die die Schmerzen der Sterbenden lindert bzw. ganz beseitigt. Doch die Betten sind oft belegt. Die Juristin Solvita Olsena, die an der medizinischen Fakultät der Lettischen Universität lehrt, hält die Situation für jene Menschen katastrophal, die an einer nicht zu behandelnden Krankheit leiden. Die palliative Pflege könnten sie nicht in Anspruch nehmen, wenn ihnen das Geld fehlt, die Arztrechnungen selber zu bezahlen. "Die Pflege, welche uns mit staatlichen Mitteln geboten wird, kann ich nicht palliative Versorgung nennen. Wenn wir uns in eine lange Wartereihe stellen müssen und der Staat für sieben Tage zahlt." (kasjauns.lv)
Die Rigaer Sarkankalnsklinik (Rothenbergklinik) für Psychiatriepatienten im Jahr 1938. Nach dem Einmarsch von Wehrmachtsoldaten wurde die Klinik zu Beginn des Jahres 1942 aufgelöst, die Insassen wurden erschossen. Danach dienten die Gebäude als Kriegslazarett, Foto: Saite
Wenn Leben zur Belastung wird
P?teris Buks nennt seine Initiative, die er nach der Sammlung von 10.000 Stimmen dem Parlament vorlegen möchte "Über einen guten Tod". Im Text ist dafür auch das griechische "eitan?zija", also Euthanasie zu finden. Im deutschen Sprachraum denken Leser dabei an den Massenmord an Psychiatriepatienten, welche die Nazis mit diesem Wort beschönigten. Doch Goebbels und Konsorten waren keine kreativen Wortschöpfer, nur die Vergewaltiger der Sprache, die hinter wohlklingenden Begriffen ihre Verbrechen verbargen. Als erster Denker der Neuzeit beschäftigte sich bereits Francis Bacon mit der Euthanasie - noch ohne rassehygienische Absichten. So ist das lettische Wort "eitan?zija" unschuldiger als das deutsche Wort "Euthanasie". Allerdings wurde Euthanasie in NS-Manier auch auf lettischem Boden betrieben. Als deutsche Soldaten 1941 Lettland besetzten, fielen nicht nur die meisten lettischen Juden den Massenerschießungen der SS zum Opfer. Die Deutschen kamen zudem auf die Idee, Psychiatriepatienten abzuführen und in den Wäldern am Stadtrand ebenfalls durch Gewehrsalven zu töten. Für Nazis war das "unwerte Leben" schädlich für den Volkskörper, es verbrauchte Ressourcen, schwächte das Volk in seinem Eroberungsdrang. Die lettischen Psychiatrie-Anstalten wurden in Kriegslazarette für deutsche Soldaten und lettische Legionäre (lpra.vip.lv) verwandelt. Das kostete mehr als 2300 Patienten das Leben, wie die Historikerin Rud?te V?ksne recherchiert hat. Buks orientiert sich zweifellos nicht an Hitler, Himmler und Goebbels. Seine Initiative startet er gewiss in bester Absicht. Er will das Leiden der unheilbar Todkranken verkürzen. Er fordert dabei ärztliche Unterstützung. Diese aktive Sterbehilfe soll freiwillig und ärztlich begründet sein. Der Kranke selbst muss sie fordern oder im Falle seiner Bewusstlosigkeit die Angehörigen. Buks beruft sich auf die Benelux-Länder, die Schweiz und einige US-Staaten, in denen Euthanasie legal ist. Das Fragwürdige seiner Initiative verbirgt sich in einem kleinen Satzteil. Die Sterbehilfe soll "den Menschen die Möglichkeit geben, ehrwürdig ihr Leben zu beenden, um für sich und andere nicht zur Belastung zu werden." Darin steckt ethischer Sprengsatz, der Werte abermals umwerten könnte. Mit dieser Formulierung könnte man jedem Todkranken, der auf die Hilfe seiner Angehörigen oder professioneller Pfleger angewiesen ist, ein schlechtes Gewissen einreden, schließlich ist er für andere eine Belastung, auch wenn er trotz Schmerzen weiterleben möchte. Er könnte die bösen Blicke seiner Pfleger als unausgesprochenen Vorwurf interpretieren: "Merkst du nicht, welche Belastung du für uns bist? Lass` dich doch endlich einschläfern!" Euthanasie könnte zur preisgünstigen Alternative für die vielen lettischen Geringverdiener werden, die sich Palliativmedizin nicht leisten können. Und so könnte sich die lettische Regierung das Geld für eine hinreichende Palliativmedizin, die allen Bürgern zugute kommt, weiterhin sparen. Fiskalpakt-Jünger wird es freuen.
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