Lettland: Militärparade zum 4. Mai in Madona mit Ansprache des Staatspräsidenten Raimonds Vejonis
04.05.2018
"Mögen wir alle in unseren Herzen und in unserer Arbeit wie ein Soldat sein"
Nach dem Tag der lettischen Staatsgründung, dem 18. November 1918, ist der 4. Mai 1990 der zweitwichtigste nationale Feiertag Lettlands. Vor 28 Jahren, als noch Michael Gorbatschow die Sowjetunion regierte, beschlossen die Parlamentarier des Obersten Rats der Lettischen Sowjetrepublik mit knapper Mehrheit die Unabhängigkeit ihres Landes, die aber erst im Spätsommer des folgenden Jahres international anerkannt werden sollte. Regierung, katholische Kirche und Militär organisierten zum diesjährigen 4. Mai ein ganztägiges Programm mit Gottesdienst, Militärparaden, Waffenschau, Nahkampfübungen, Blaskonzerten und einem abschließenden Spiel zwischen der örtlichen Fußball-Elf und einer Auswahl aus stationierten Nato-Soldaten. Seit 2012 wird die zentrale Unabhängigkeitsfeier in verschiedenen Orten der Provinz ausgerichtet, diesmal in Madona, einem Ort mit knapp 8.000 Einwohnern in der Region Vidzeme, 166 Straßenkilometer von Riga entfernt. Von der Ehrentribüne aus begrüßten Staatspräsident Raimonds Vejonis und Verteidigungsminister Raimonds Bergmanis die insgesamt etwa 700 Soldaten, Nationalgardisten, Grenzschützer, Feuerwehrleute und Rettungskräfte. Dabei mahnten sie an die Bedeutung dieses Datums und rühmten die Versammelten als gesellschaftliches Vorbild.
Soldaten im Panzerfahrzeug beteiligen sich an der Parade, Foto: Valsts prezidenta kanceleja
"Den Willen, ein neues Lettland zu gestalten"
Vejonis redet vor den formiert aufgestellten Truppen in seiner Heimatstadt. Am Tag, als die Parlamentarier über die Unabhängigkeit debattierten, habe er sich in Madona an seinem Arbeitsplatz befunden. Er erinnert sich an einen vibrierenden Tag voller Aufregung, heißen Diskussionen über die Zukunft, diffusen Hoffnungen. "Damals setzten sich alle, die Vertreter der Letten, Russen, Polen, Juden, Weißrussen, Griechen und anderer Nationen für Lettland ein. Nicht nur in Riga, sondern in allen lettischen Bezirken versammelten sich die Menschen, äußerten ihre Gedanken und den Willen, ein neues Lettland zu gestalten, um darauf für immer stolz zu sein. Im Namen der Demokratie ist jeder auch heute aufgefordert nachzudenken, sich zu beteiligen und sich im Bedarfsfall sowohl für die eigenen Interessen, die Interessen seines Bezirks, als auch für unser gemeinsames Wohlergehen einzusetzen." Dann lobt der Präsident, der im Kriegsfall oberster militärischer Befehlshaber ist, die Soldaten und deutet dabei Zweifel an der Einigkeit der heutigen Gesellschaft an: "Aus allen Teilen Lettlands kommen so viele junge, kräftige, patriotische Menschen zu den nationalen Streitkräften und zur Nationalgarde! Männer und Frauen, welche ihre Zeit und ihre Kräfte widmen, um unsere Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Auf euch schauend bezweifle ich keinen Augenblick lang: Das am 4. Mai 1990 Beschlossene ist in die Ewigkeit eingeschrieben! Kommen wir heute an weiß gedeckten Tischen zusammen und feiern wir diesen Tag! Erinnern wir uns an die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit! Und ich wünschte mir, dass die selbe Geschlossenheit uns auch heutzutage beherrschte und leitete. Mögen wir alle in unseren Herzen und in unserer Arbeit wie ein Soldat sein, mit unverbrüchlichem Eifer bereit, zu jeder Zeit zum Schutz der lettischen Freiheit bereitzustehen." (president.lv)
Auch Nato-Verbündete marschierten am Präsidenten vorbei, Foto: Valsts prezidenta kanceleja
"Für diesen Staat zu kämpfen und auch zu fallen"
Auch Verteidigungsminister Bergmanis entsinnt sich der Nervosität und der Ungewissheit, die während der legendären Parlamentsdebatte im ganzen Land herrschte. Erst am Abend hatte eine knappe Mehrheit für die Unabhängigkeitserklärung votiert, aus der Bergmanis zitiert: "`Die widerrechtlichen Vereinbarungen der UdSSR und Deutschlands vom 23. August 1939 und die aus diesen folgende Beseitigung der staatlichen Souveränität der lettischen Republik am 17. Juni 1940 werden als Ergebnis der militärischen Aggression der UdSSR betrachtet.` Das war unsere Unabhängigkeitserklärung! Das war wie ein Ausbruch aus 50 dunklen Jahren, wie der erste frische Atemzug nach dem Herauskommen aus geschlossenen Räumen, wie ein mit Emotionen und Freude erfüllter Ausruf: `Wir sind wieder zurück in der freien und demokratischen Welt!`" Am 23. August 1939 wurde der Hitler-Stalin-Pakt und damit die Aufteilung Osteuropas vereinbart, am 17. Juni 1940 war die Rote Armee in Lettland einmarschiert. Auch Bergmanis schloss seine Rede mit Pathos: "Die Feier ist Teil des Patriotismus`, die Feier ist noch einmal ein Zeugnis dessen, dass wir bereit sind, für diesen Staat zu kämpfen und auch zu fallen, wenn jene Stunde kommen sollte! Das weiß jeder Soldat, das weiß jeder lettische Patriot!" (diena.lv)
Vejonis begrüßt den katholischen Geistlichen, Foto: Valsts prezidenta kancelejaWaffenschau ohne Kritik
Das Programm begann mit einem Gottesdienst um 9 Uhr morgens und endete mit dem Abpfiff des Fußballspiels um 18 Uhr. Dazwischen konnten sich die Zuschauer Nahkampfübungen am Boden und in der Luft ansehen oder auch, wie das Armeeorchester und ein Ehrenbataillon defilierten. Die Einwohner Madonas hatten den ganzen Tag Gelegenheit, sich mit dem lettischen Militärwesen vertraut zu machen. Auf der Parade demonstrierten die Uniformierten die jüngsten Waffenkäufe, u.a. die gebrauchten Kettenspähpanzer von der britischen (LP: hier) und die gebrauchten Panzerhaubitzen von der österreichischen Armee (LP: hier). Auf der Waffenschau inspizierten Interessierte dieses und weiteres Kriegsgerät aus der Nähe, hier zeigten auch die Nato-Partner aus Spanien, Polen und Kanada ihre Waffen her (sargs.lv). Die Militärveranstaltungen dienen nicht zuletzt einem Werbezweck: Die Freiwilligen-Armee muss sich um neue Rekruten bemühen. Selbst aus Kirchenkreisen ist an solchen Veranstaltungen keine pazifistische Kritik zu vernehmen.
Weitere LP-Artikel zum Thema:
Die Ansprache des lettischen Staatspräsidenten Raimonds Vejonis zum 99. Jahrestag der Staatsgründung
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Gedenktag des Hitler-Stalin-Pakts in Riga
zurück