Miese Bezahlung, dafür arbeiten bis zum Burnout
Die lettische Gewerkschaft für Bildung und Wissenschaft LIZDA präsentierte am 13. September 2019 ihre Ergebnisse einer Internet-Umfrage (lizda.lv). Sie hatte seit April des Jahres Dozenten und Lektoren der lettischen Hochschulen und Colleges befragt, wie zufrieden sie mit Gehältern und Arbeitsbedingungen sind. Die Ergebnisse stellen der lettischen Hochschulpolitik ein äußerst miserables Zeugnis aus: 96 Prozent der 451 Beschäftigten, die die Fragen online beantworteten, hielten ihren Lohn für derart gering, dass er nicht den Bedingungen einer würdigen Arbeit entspreche. Wer an einer lettischen Uni beschäftigt ist, sollte lieber verschweigen, was er macht und wo er arbeitet und Fragen nach dem Gehalt möglichst ausweichen. Nach heutigen materiellen Kriterien, nach denen das Maß gesellschaftlicher Anerkennung überwiegend von der Höhe des erzielten Einkommens bestimmt wird, sind die lettischen Hochschulgehälter beschämend und verdeutlichen, wie gering die gesellschaftliche Wertschätzung für diese Tätigkeit ist.
LIZDA-Demonstration vor dem lettischen Parlament. Auf Plakaten haben Lehrerinnen ihre geringen Bruttolöhne aufgeschrieben - ihren Kolleginnen an den Hochschulen ergeht es nicht besser, Foto: LIZDA
LIZDA-Vorsitzende Inga Vanaga und ihre Kollegin Alina Romonovska, LIZDA-Bezirksvorsitzende in Daugavpils, präsentierten und kommentierten der Presse die Antworten. Ihr Ziel war es, die Probleme von Hochschullehrern zu ermitteln, um deren Interessen gegenüber politisch Verantwortlichen besser vertreten zu können.
Um ein Beispiel für Entlohnung zu geben, hier eines aus eigener Erfahrung: Eine Doppelstunde Unterricht für Bachelorstudierende (90 Minuten) wurde noch in jüngster Zeit mit 14 Euro brutto vergütet, das ergibt netto etwa 10 Euro. Zieht man davon noch mehr als zwei Euro Fahrtkosten für den Bus ab, die die Hochschule nicht erstattet, bleibt ein Nettoverdienst von weniger als 8 Euro, mit denen ja nicht nur die Unterrichtsstunde, sondern in der Regel auch mehrere Stunden Vorbereitungszeit vergütet werden. Im Niedriglohnland Lettland gelten Lehrer und Hochschullehrer im Vergleich zu anderen Berufsgruppen als prekär Beschäftigte. Bildung und Wissenschaft gehören hierzulande zu den schlecht bezahltesten Branchen (LP: hier).
Neben der dürftigen Bezahlung klagten die Befragten über zusätzliche unbezahlte Tätigkeiten (Vorträge, Übersetzungen, verpflichtende Teilnahme an Konferenzen und Versammlungen, E-Mail-Korrespondenz, Bewertungen und Empfehlungsschreiben, die Planung und Überarbeitung von Kursprogrammen, die Betreuung von Doktorarbeiten und ausländischen Studierenden sind häufig unbezahlt und das soll alles nebenbei erledigt werden), über die Jahresverträge, die keine längerfristige Lebensplanung erlauben und zu opportunistischem Verhalten anhalten, weil die Betroffenen um die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses bangen sowie die große Arbeitsauslastung, die oftmals bis zum Erschöpfungssyndrom führt.
Für das Budget des Bildungsministeriums ist die prekäre Beschäftigung der Angestellten eine feine Sache. Da das niedrige Einkommen 64 Prozent der befragten Dozenten und Lektoren nötigt, einen Zweitjob anzunehmen, spart es die Einstellung weiterer Bewerber, die sich angesichts der prekären Bedingungen ohnehin rar machen. Von den Zweitjobbern gehen etwa ein Drittel einer weiteren Lehrtätigkeit an einer anderen Hochschule nach, Zweidrittel arbeiten zusätzlich in anderen Bereichen. Zudem hängt die Arbeitsauslastung von der Zahl der eingetragenen Studierenden ab. Vermindert sich deren Zahl in einem Land, das chronisch Bevölkerung verliert, werden Kurse gestrichen und Lehrer entlassen. 49 Prozent fürchten, wegen zu geringer Bewerberzahl Kurse zu verlieren.
92 Prozent sind der Ansicht, dass wegen der nicht konkurrenzfähigen Bezahlung es für junge Hochschulabsolventen unattraktiv ist, selbst die Schulbank mit dem Lehrerpult zu tauschen. Das vermindere das gesellschaftliche Ansehen des ganzen Berufsstands.
Gleichzeitig sehen sich die Befragten vor neuen Herausforderungen gestellt. 88 Prozent stimmen der Einschätzung zu, dass das Bildungsniveau der Studierenden, das sie zuvor in den Schulen erwarben, sehr unterschiedlich sei und die derzeitige Hochschulpraxis diese Differenzen noch vertiefe. Für die Studierenden sei es schwierig, den Studienprozess zu erfassen und einen Zugang zum Stoff zu finden. Aufmerksamkeit und Motivation lassen nach, Autoritäten werden nicht anerkannt. Es werde in der Arbeit der Hochschullehrer nicht berücksichtigt, dass sich die kulturellen Unterschiede zwischen den Studierenden vergrößerten und die Sprachbarrieren zwischen Lernenden und Lehrenden zunehmen. 51 Prozent meinen, dass der heutigen Studentenschaft die Fähigkeit zum kritischen, kreativen und analytischen Denken fehle.
Für Inga Vanaga sind dies Resultate einer langjährig mangelhaften und gesetzlich ungesicherten Finanzierung von Bildung und Wissenschaft und den ungelösten Problemen der Arbeitsbelastung. Die Hochschulleitung müsse unentwegt darüber nachdenken, wie im Rahmen begrenzter finanzieller Mittel eine würdige Beschäftigung erreicht werden könne. Das sei unmöglich. „Und wir müssen gemeinsam dem Bildungs- und Wissenschaftsministerium und anderen für die Hochschulbildung verantwortlichen Ministerien helfen, dass die Gestalter der Politik dazu kommen und erklären müssen, wie bedeutend die Investition in die Arbeitskräfte der Hochschulen ist.“ (lizda.lv)
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