Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Lettland: Gutshof Kauzmünde vor dem Verfall
23.10.2021


”Eine Frage des nationalen Prestiges”

Gutshof Kauzmünde bei Bauska, Foto: Ivars Indans CC BY-SA 3.0, Saite

Nicht nur Riga, Kuldiga oder Cesis, auch die ländlichen Regionen Lettlands locken Gäste mit historischem Gemäuer. In den kaum besiedelten Gebieten sind die alten Gutshöfe der kulturelle Mittelpunkt; einst waren sie die Herrensitze des deutschbaltischen Adels, der durch die Agrarreform des Jahres 1920 weitgehend enteignet wurde. Die lettischen Republikaner und später die Sowjets nutzten die repräsentativen Gebäude weiter, als Schulen, Büros landwirtschaftlicher Betriebe oder auch als Schuppen und Ställe, dabei kam das historische Inventar häufig zu Schaden. Heutzutage sind viele solcher Hinterlassenschaften der deutschbaltischen Herrschaft restauriert und sie locken als Museen, Herbergen und Kulturzentren Besucher aus aller Welt. Allen voran ist gewiss das Schloss Rundale (Ruhental) zu nennen. Als der Kunsthistoriker Imants Lancmanis 1972 Direktor der damals baufälligen Barockanlage wurde, setzte er sich für deren jahrzehntelange aufwändige Sanierung ein. Heute ist Lettlands größtes Schloss, das im 18. Jahrhundert Baumeister Bartolomeo Francesco Rastrelli im Versailles-Stil plante, ein Publikumsmagnet. Kaum zehn Kilometer von Rundale entfernt befindet sich hingegen ein Anwesen, das Lancmanis weniger Freude bereitet: Der Gutshof Kauzmünde ist kaum noch zu retten. Privatinvestoren übernahmen das Gelände und übernahmen sich dabei offenbar selbst. Jetzt könnte dem zerfallenden Gemäuer eine Zwangsversteigerung bevorstehen.


Die Geschichte des Guts begann 1469, als der damalige Ordensmeister Livlands einen Vasallen mit diesem bei Bauska gelegenen Gelände belehnte. Der Herrensitz im klassizistischen Stil wurde um 1780 gebaut und zwischen 1909 und 1912 umgestaltet. Zwei Parkanlagen umgeben die Bauten. Bis ins 20. Jahrhundert war Kauzmünde im Besitz verschiedener deutschbaltischer Adelsgeschlechter, zuletzt der Familie von Pahlen, die als Folge der lettischen Agrarreform von 1920 enteignet wurde. In der Zeit der ersten Unabhängigkeit unterrichtete man in den feudalen Gemäuern arme Bauernmädchen. Auf einen Journalisten der Rigaschen Rundschau, der sich 1933 “Auf `Zuckerfahrt` durchs schöne Semgallen” begab, hinterließ das Anwesen einen recht idyllischen Eindruck:  


“Durch die liebliche Gegend mit ihren stets wechselnden Ausblicken rollen die Wagen nach Kauzmünde. Das gut renovierte und sauber gehaltene Schloß beherbergt eine Haushaltungsschule. Aus allen Fenstern strecken sich neugierige Mädchenköpfe. Man wird sehr liebenswürdig empfangen und sofort zum Teetisch geführt, der durchaus nicht nur mit Tee, sondern auch mit vielen weit handfesteren Dingen beladen ist. Wenn man will, kann man hier das dritte Mittagessen einnehmen. Der Rigaer Magen ist aber auf Semgallen noch nicht trainiert, und man beschränkt sich auf eine ungemein wohlschmeckende nach Erdbeeren und Linden duftenden kühlen Flüssigkeit und ausgezeichneten Kuchen. Direktor Kamols macht liebenswürdigst die Honneurs. Herr Andronowitsch, der Leiter der Musterwirtschaft, die eine Fläche von über 1000 Lofstellen hat, berichtet über seine landwirtschaftlichen Erfolge. Man hört mit Interesse, daß seine Wirtschaft, als Großbetrieb, die Krise nicht spürt. Er arbeitet mit Ueberschüssen. Er beschäftigt 9 Jahresknechte, und man fragt sich, ob diese Knechte nicht ein viel auskömmlicheres Leben führen als etwa der benachbarte Jungwirt, und wie die Lage dieses Jungwirts wäre, wenn es keine Zuzahlungen und keine Schuldenstundungen gäbe. Die Großwirtschaft Kauzmünde ist bei der Agrarreform dem Zentralverein der lettischen Landwirte zugeteilt worden. Man besichtigt dann die Zuckerrübenfelder, die auch hier prächtig stehen, und die kleinen Gemüse- und Blumengärtchen, die von den Schülerinnen und Seminaristinnen angelegt sind. Inzwischen haben die jungen Damen die Autos mit Blumen geschmückt, jedem einzelnen werden noch Blumen überreicht, und nach einem rührenden Abschied rollt man weiter.” (periodika.lv)


In sowjetischer Zeit fand das ehemalige Herrenhaus weiter Verwendung. Lancmanis erinnert sich im Interview mit LSM, dass sich das Gemäuer noch in den 60er Jahren in einem guten Zustand befand: “Dort war das örtliche Technikum, und dann errichtete man dafür ein neues Gebäude. Das Haus wurde verlassen und das ging sehr, sehr schnell. Als ich nach 20 Jahren ein Buch über Kauzmünde schrieb, gab es im Inneren keine Decken zwischen den Stockwerken, man musste sich am Rand entlangschleichen und sein Leben riskieren.” (lsm.lv). Heute, weitere 35 Jahre später, gleiche das Anwesen einer unbewirtschafteten Ruine. Auf dem Blog von Liga Landsberga lässt sich der traurige Zustand betrachten, den sie 2015 auf ihren Fotos festhielt:  


Latvijas muiþas un pilis un citas interesantas vietas: Kaucmindes muiþa (Kauzmünde) (manasvietas.blogspot.com)


In der Zeit nach der wiedererlangten Unabhängigkeit Lettlands gehörte das Anwesen der örtlichen Gemeinde Saulaine. Sie verkaufte es an Privatinvestoren, die jedoch nicht investierten, sondern weiterverkauften. Kauzmünde wechselte mehrmals seine Eigentümer und befindet sich seit einigen Jahren im Besitz einer Firma namens SIA “CVIR”, die für Kauzmünde ein Rehabilitationszentrum plant. Sie kündigte mehrmals Sanierungsarbeiten an, die aber bis heute nicht erfolgt sind. Einige Arbeiten wurden allerdings begonnen. Doch sie waren offenbar illegal und Sicherheitsbestimmungen wurden missachtet. Ein Arbeiter verlor durch einen Unfall auf dem Gelände sein Leben. Die staatliche Arbeitsinspektion erließ einen Baustopp und ermittelt, der SIA “CVIR” droht eine Gerichtsverhandlung, die lange dauern könnte, denn die Eigentümer der Firma streiten die Vorwürfe ab. Zudem nennen sie die Unwägbarkeiten wegen Corona-Bestimmungen und gestiegene Baustoffpreise als Grund für die Verzögerungen. Die Inspektoren der staatlichen Verwaltung des nationalen Kulturerbes (NKMP) suchen Kauzmünde regelmäßig auf. Die NKMP verhängte Geldstrafen, weil Denkmalschutzbestimmungen missachtet werden. Doch die SIA “CVIR” zahlte nicht. Der Grund könnte ihre Zahlungsunfähigkeit darstellen, denn sie steht mit 20.000 Euro im lettischen Schuldenregister. Statt Wiederauferstehung als stolzes Rehabilitationszentrum könnte Kauzmünde nun eine Versteigerung mit ungewissem Ausgang bevorstehen.


Lancmanis beobachtet, dass sich Privatinvestoren mit dem Ankauf sanierungsbedürftiger Rittergüter häufig übernehmen: “Kleine Gebäude kann man erneuern, wenn es eine tüchtige Famile gibt, die zumindest über ein bisschen Geld verfügt, gute Ideen hat und selbst arbeiten kann, aber wenn sie ein solch großes Ensemble errichten müssen und solch eines, das schon in Trümmern liegt, dann müssen sie große, teure Firmen in Anspruch nehmen, das ist eine sehr, sehr schwierige Angelegenheit. Das muss man ehrlich sagen!” Janis Lazdans, Vorsitzender des Verbandes der Lettischen Burgen und Schlösser, fügt hinzu: “Das geschieht mit vielen Gutshöfen. Die Menschen kaufen es mit irgendwelchen großen Zielen und geben sie oft aus objektiven Gründen auf, dann geht der Herrensitz zugrunde.” Lancmanis betrachtet den derzeitigen Zustand Kauzmündes als nationale Schande: “Das Anwesen Kauzmünde befindet sich an einem außergewöhnlich sichtbaren und bedeutenden Ort. Man denke an Rundale, Mesothen mit ihren schönen Schlössern, dazu die Burg Bauska und das erneuerte Schloss Kettlers. Das ist derzeit also ein Dreieck, aber es könnte als weiteren schönen Ort mit Kauzmünde ein Viereck darstellen. Dieses Objekt hat nicht nur die Mühen einiger Einzelpersonen verdient, um es zu bewahren, ich möchte sagen, dass es vorrangig eine Frage des nationalen Prestiges ist und über diese Angelegenheit müsste man auf höchster Ebene sprechen.” 

UB 





 
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