Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Lettland kauft HK-G36-Gewehre für 13 Millionen Euro
19.01.2018


Zwei Prozent und mehr für die lettische Aufrüstung

Lettischer Soldat mit G36Verteidigungsminister Raimonds Bergmanis ist fest entschlossen, mindestens zwei Prozent des BIP für das eigene Ressort auszugeben. Das kommt auch der deutschen Waffenindustrie zugute. Die lettische Armee (Nacionalie brunotie speki, NBS) hat am 11. Januar 2018 mit dem schwäbischen Rüstungsunternehmen Heckler & Koch (HK) einen Vertrag über den Kauf von G36-Sturmgewehren vereinbart. In den nächsten sieben Jahren werden neben NBS-Soldaten auch lettische Grenzschützer und Einheiten der Nationalgarde mit dieser Waffe ausgestattet (sargs.lv).  Bergmanis hatte noch einige Tage davor darauf hingewiesen, dass sich das Geschäft wegen der deutschen Debatten um die Treffsicherheit der weltweit verbreiteten Feuerwaffe verzögert habe. Nicht nur das HK-Produkt ist umstritten, die schwäbische Rüstungsschmiede wird auch wegen ihrer skrupellosen Waffendeals von Kritikern beargwöhnt. In einem ausführlichen Interview mit dem Journalisten Janis Domburs nahm Bergmanis Stellung, wie er das rasch ansteigende lettische Militärbudget auszugeben gedenkt (delfi.lv).

Laut Wikipedia-Angabe ein lettischer Soldat mit einem G36C-Gewehr, Foto: Staff Sgt. Isaac A. Graham, Gemeinfrei, Link

Gewehrqualität nur in Deutschland umstritten

Die lettische Armee hat G36-Gewehre seit 2006 im Bestand. Der Zukauf weiterer Sturmgewehre dieses Typs ist seit längerem geplant. Doch offenbar verzögerten deutsche Debatten um die Produktqualität die Lieferung. Vor einigen Jahren hatten deutsche Medien Zweifel an der Treffsicherheit dieser Waffe verbreitet. Das G36, das Standardgewehr der Bundeswehr, schieße bei Erhitzung im Dauereinsatz ungenau. Bundeswehrgeneral Markus Kneip erläuterte damals den lettischen Kameraden das Problem: Das G36 entspreche den Anforderungen, die es in den 90er Jahren erfüllen sollte. Doch diese hätten sich inzwischen geändert (LP: hier). Inzwischen sind deutsche Soldaten außerhalb der Nato-Grenzen im Einsatz, teils in Gebieten mit extremen Temperaturen. Für Letten ist das kein Grund, vom G36 abzulassen. Dennoch haben die deutschen Debatten um das angebliche „Schmelzgewehr“ die Anschaffung verzögert. Bergmanis erklärt im Interview, dass ohne die deutschen „Skandale“ der Kauf längst erfolgt sei. Während die Debatte in Deutschland zu einem Beschaffungsstopp führte, halten Litauer und Letten an ihrer Ordonanzwaffe fest. Zur verzögerten Vertragsunterzeichnung meinte Bergmanis im Interview: „Leider kann ich die innenpolitischen Skandale in der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinflussen, in deren Folge es diese vielen Schriften gab und auch in den Medien wurde viel über diese G36-Waffe geredet.“ Wieviele G36-Gewehre in den nächsten Jahren geliefert werden, bleibt unklar, weder Bergmanis noch die lettischen Medien nennen eine Zahl (leta.lv).

Heckler und Koch in Oberndorf

Das Heckler&Koch-Werk in Oberndorf am Neckar, Foto: Aspiriniks - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

 

Der deutsche Waffenproduzent und seine skrupellosen Geschäfte

Bergmanis und die lettischen Medien informieren die Öffentlichkeit auch nicht darüber, dass der Vertragspartner Heckler&Koch eine äußerst umstrittene Waffenschmiede ist. Es ist nicht die Produktqualität, die von den Kritikern beklagt wird, sondern die Art, wie die schwäbische Firma Profite macht. Der Produzent sogenannter Kleinwaffen beliefert nicht nur Nato-Staaten, sondern auch autoritäre Regime, von Behörden kaum kontrolliert enden HK-Gewehre in Krisengebiete. Nach Informationen von Walter Listl, einem Münchener Friedensaktivisten, stirbt alle 14 Minuten ein Mensch auf der Welt, weil ihn eine Kugel aus einer HK-Waffe getroffen hat (isw-muenchen.de). Jürgen Grässlin, Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft, fordert ein Konversionsprogramm des größten Gewehrbauers Europas, um das technische Know How der HK-Mitarbeiter für „sinnvolle zivile Fertigung“ zu nutzen (juergengraesslin.com). Die Waffenfabrikanten aus Oberndorf am Neckar beliefern nicht nur Nato-Staaten. HK-Manager sind sehr geschickt darin, die ohnehin laschen deutschen Kontrollen bei den Rüstungsexporten noch zu umgehen. Dort, wo HK nicht direkt liefern darf, lässt die Firma Gewehre in Lizenzproduktion herstellen. Ob in Mexiko Studenten von korrupten Polizeibanden ermordet werden (ARD über YouTube.de, zeit.de, arte über YouTube.de) oder in Saudi Arabien Polizisten Regimegegner verfolgen (ARD über YouTube.de) – HK-Technik ist häufig dabei im blutigen Spiel. Doch für Nato-Armeen bleiben die Schwaben ein gefragter Geschäftspartner. HK betreibt mit Parteispenden die entsprechende politische Landschaftspflege (ARD über YouTube.de).

Österreichische Panzerhaubitze

Die österreichische Panzerhaubitze M 109 A5 Ö, diese Waffenart hat die lettische Armee gebraucht von der Alpenrepublik erworben, Foto: Tuelp - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link


Ein tatsächlich großer Vertrag, der geheim bleibt

Domburs, ein prominenter Fernsehjournalist, befragte den lettischen Verteidigungsminister im Delfi-Interview ausführlich, wofür er das Militärbudget verwendet, das sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2015 mehr als verdoppelt hat - das ist der mit Abstand höchste Anstieg im Staatshaushalt. Derzeit kann er 576 Millionen Euro ausgeben. Fast die Hälfte davon sind für neue Rüstungsausgaben vorgesehen. Bergmanis beabsichtigt neben der Modernisierung und dem Neubau von Kasernen vor allem weitere Waffenkäufe. Bislang gehörten die Beschaffung gebrauchter Panzerfahrzeuge aus Großbritannien (LP: hier) und Österreich (LP: hier) sowie dänische Stinger-Raketen zum Aufrüstungsprogramm. Nun plant das lettische Militär eine mobile Helikopterbasis, erwägt die Anschaffung von Drohnen und U-Booten. Bergmanis unterzeichnete einen Vertrag mit der Harris Corporation, einem US-Hersteller für militärische Radaranlagen: „Das war einer von den ersten Verträgen, die ich unterschrieben habe und das ist ein beträchtlicher Vertrag. Ich werde wohl die Kaufsumme nicht nennen, ich fürchte, dass ich die Vertraulichkeitsvereinbarung übertreten würde, aber wir haben einen immensen Vertrag über Hariss-Ausrüstungssysteme. Der ist tatsächlich sehr groß und wir kommen derzeit voran. Das ist eine der wichtigsten Angelegenheiten.“ Der Minister erwägt ein Drohnenprojekt mit einem lettischen Hersteller (im Text ist von einer UIV Factory die Rede, aber wahrscheinlich ist die Maruper Firma UAV Factory gemeint, die bislang Drohnen für den zivilen Einsatz herstellt und ein Tochterunternehmen des gleichnamigen US-Herstellers ist). Zudem werden staatliche Hochschulen mit Militärischem beauftragt: Die Technische Universität soll u.a. zivile Drohnen für militärische Zwecke weiterentwickeln, die medizinische Stradina-Universität wird mit der Ausarbeitung psychologischer Tests beauftragt. Bergmanis` Vorhaben sollen auch die lettische Wirtschaft fördern: Er will die Munition für die angeschafften Panzer und Haubitzen in Zukunft im eigenen Land produzieren lassen.

Mexikanisches Protestplakat

Protestplakat gegen die Entführung und wahrscheinliche Ermordung von 43 mexikanischen Studenten aus Iguala im Jahr 2014, die von korrupten Polizisten begangen wurde. Die Ermittler beschlagnahmten u.a. G36-Gewehre bei den Tatbeteiligten, Mexikaner demonstrierten damals u.a. vor der deutschen Botschaft gegen Waffenlieferungen, Foto: PetrohsW - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, Link


Unumstrittene Aufrüstung

Domburs befragte Bergmanis detailliert nach dessen Beschaffungsplänen, bis zum Marschgepäck, bis zu Brillen und Monokeln. Weitaus sporadischer wurden die internationalen Beziehungen besprochen. Wie sehr die lettische Regierung dem Denken des Kalten Krieges verhaftet ist, zeigt Bergmanis` Vergleich seines Landes mit West-Berlin vor dem Mauerfall. Damals sei die Anzahl der Soldaten, die in West-Berlin stationiert waren, unverhältnismäßig gering gewesen im Verhältnis zu den Truppen des Warschauer Pakts, die rundherum Stellung bezogen hatten. Derzeit sei die lettische Lage vergleichbar. Man müsse imstande sein, feindliche Truppen aufzuhalten, die vielleicht irgendwann entschlossen sein könnten, die eigene Verteidigungsbereitschaft zu testen. Domburs fragte nicht nach, ob Aufrüstung und Abschreckung tatsächlich dem Frieden und der Sicherheit dienen. Auch den Nato-Beschluss von 2014, dass jedes Mitgliedsland mindestens zwei Prozent des BIP für militärische Zwecke ausgeben sollte, stellte der ansonsten kritisch nachfragende Journalist nicht zur Debatte. Die lettische Regierung ist sich bei dieser Forderung mit der US-Administration einig. Während des US-Wahlkampfs zeigten sich lettische Politiker wegen eines möglichen Siegs Donald Trumps besorgt (LP: hier). Der Präsidentschaftskandidat hatte mit der Aufkündigung des militärischen Beistandes gedroht, wenn Mitgliedstaaten nicht mehr Geld für ihr Militär aufwendeten. Das Zwei-Prozent-Ziel eint nun Trump und die lettische Regierung. Der Journalist und Pazifist Andreas Zumach erwähnte in einem Vortrag vom März 2017 beiläufig, dass Sigmar Gabriels "lettischer Kollege"* auf der Münchener Sicherheitskonferenz angemahnt habe, dem Nato-Aufrüstungsbeschluss Folge zu leisten. Gabriel ist bekanntlich ein Kritiker dieser Forderung (YouTube.de). Unhinterfragt blieben auch die lettischen Auslandseinsätze, lettische Soldaten befinden sich im Irak, in Afghanistan, in Mali und beteiligen sich am Kampf gegen Piraten im Mittelmeer.

*Irrtümlicherweise hielt der LP-Autor zunächst Raimonds Bergmanis für den Gabriel-Mahner. Aber da Zumach von Gabriels "Kollegen" spricht, ist offenbar der lettische Außenminister Edgars Rinkevics gemeint, Bitte um Nachsicht.

 

Externe Linkhinweise:

Phoenix über YouTube.de: Bundestagsdebatte zum Zwei-Prozent-Rüstungsziel der NATO am 19.01.18

An der Debatte ist bemerkenswert, dass auch die "Russlandfreunde" von der AfD dem Zwei-Prozent-Ziel beipflichten.

youtube.de: Jürgen Grässlin - Netzwerk des Todes

 

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