Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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"Leben im Augenblick": Ausstellung des lettischen Malers Jazeps Grosvalds im schwedischen Karlstadt
09.12.2022


Der schicksalhafte Weg eines lettischen Dandys

Grosvalds-Gemälde: Soldaten auf den Straßen Rigas (1919), Foto: LNMM

Jazeps Grosvalds gilt in der lettischen Kunstgeschichte als erster Vertreter der klassischen Moderne. Reisen, Studienaufenthalte, aber auch die Erlebnisse an der Front des Ersten Weltkriegs inspirierten ihn zu seinen Bildern. Das Värmlands-Museum im schwedischen Karlstadt zeigt noch bis zum 8. Januar 2023 Grosvalds` Bilderzyklen, die in der Kriegszeit entstanden. Damals war Grosvalds nicht nur an der Heimatfront im Einsatz. Er beteiligte sich auch an einer britischen Militärexpedition in den Irak und den Iran. Die Eindrücke verarbeitete er in seinem spezifischen, an westeuropäischen Vorbildern entwickelten Malstil.


Grosvalds wurde 1891 als Sohn eines wohlhabenden lettischen Rechtsanwalts in Riga geboren. Obwohl er bereits im 30. Lebensjahr an der "spanischen" Grippe starb, hat er in dieser kurzen Zeitspanne viel erlebt und viel gesehen. Eine Voraussetzung dafür war Bildung. Seine Eltern förderten ihn, so dass er ein privates Progymnasium und dann das Rigaer Stadtgymnasium besuchen konnte. Er lernte früh malen und zeichnen, orientierte sich dabei an den Landsleuten Vilhelms Purvitis und Janis Rozentals, aber auch an russischen und deutschen Malschulen, erwarb Fremdsprachenkenntnisse, eignete sich historisches und philosophisches Wissen an. 1909 reiste er zu seinem Bruder Olgerts in Berlin, der dort Philologie studierte. Jazeps Grosvalds besuchte den Kunsthistoriker und Gemäldesammler Curt Glaser, der in seinem Bestand Werke von van Gogh, Manet und Toulouse-Lautrec hatte. Danach zog er weiter nach München, um in der Schule des naturalistischen Malers Simon Hollosy seine Kenntnisse zu erweitern. 1911 musste er der zaristischen Wehrpflicht nachkommen, leistete Kriegsdienst im litauischen Vilkaviskis. Anschließend fuhr er erneut in den Westen, diesmal nach Paris, lernte an der Academie de la Palette den Kubismus kennen. Er besuchte Pariser Ausstellungen, schätzte den Fauvisten Andre Derain, reiste nach Südfrankreich, nach Spanien, aber auch nach Holland und London.


Grosvalds hatte sich wie andere lettische Malerkollegen seiner Zeit in verschiedenen Stilrichtungen erprobt. Seine Bilder waren zunächst traditionell realistisch oder auch mal impressionistisch, mal neoromantisch. In Paris fand er zu einem eigenen Ausdruck. Er malte Porträts, Landschaften und Alltagsszenen mit klar erkennbaren Figuren und Gegenständen, die eine expressiv flächige Farbgebung aufwiesen. In den Kriegsjahren, als er zum Fronteinsatz rekrutiert wurde, vollendete Grosvalds seine Kunst. Er malte die lettischen Landsleute, die vor der herannahenden deutschen Armee ins russische Landesinnere flohen, stellte die Kriegssituationen weniger wie Otto Dix in ihrer realistischen Grauenhaftigkeit dar, sondern in symbolhaften Szenen, beispielsweise Soldaten, die vor einem Hügel mit drei Kreuzen einen Karren ziehen. Trotz der Kriegswirren und der Kriegseinsätze war Grosvalds sehr produktiv und malte viele Aquarelle. 1917 kam er an die Westfront, weil der Zar einem Wunsch der französischen Regierung entsprochen hatte und mit Soldaten aushalf. Grosvalds wechselte zu den britischen Verbündeten und nahm an einer Militärexpedition in den Irak, in den Iran und in den Kaukasus teil. Er ließ sich zu eigenartigen Bilderzyklen inspirieren, die einerseits den Osten verklärten, andererseits den Alltag darstellten, mit Bettlern, Hungernden, vermummten Frauengestalten in düsteren Hallen und vor rauhen Berglandschaften.


1919 schien Grosvalds nach erfolgreichen Ausstellungen ein Leben als Diplomat bevorzustehen. Er nahm an der Versailler Konferenz teil und arbeitete in Paris als Sekretär der lettischen Vertretung. Doch am 1. Februar 1920 erlag er in der Stadt, die ihm die künstlerische Moderne vermittelt hatte, der "spanischen" Grippe.


Seine Schwester Margarete Grosvalds floh im Zweiten Weltkrieg nach Schweden. Im Gepäck hatte sie mehr als 221 Bilder ihres Bruders, die sie nach ihrem Tod dem Värmlands-Museum übertrug. Die Schweden besitzen seitdem die Bilderzyklen, die auf Grosvalds` Expeditionen in den Osten entstanden sind, aber auch Zyklen zu lettischen Flüchtlingen und Soldaten. Das Lettische Nationale Kunstmuseum arbeitet mit den Karlstädtern zusammen, so dass auch Grosvalds-Gemälde aus seinem Bestand dort zu sehen sind, z.B. "Merijas Grinbergas Porträt" oder "Riga, Theaterboulevard" oder Utensilien des Künstlers. Zur Ausstellung ihrer schwedischen Kollegen schreiben die lettischen LNMM-Projektpartner: "Die Ausstellung verfolgt den schicksalshaften Weg des jungen Menschen durch die dramatischen Jahre des Ersten Weltkriegs, der das sorglose Dandy-Leben Grosvalds` zwischen Paris, Riga und anderen europäischen Metropolen durchkreuzte. Während er sich als Kavallerieoffizier im Tukumer lettischen Schützenregiment befand, malte er in der Freizeit fein nuancierte Aquarelle und Gouache-Arbeiten, in welchen er das Leben an der Frontlinie und den Alltag der Schützen in den Lagern, in Unterständen und Gräben, abbildete." Die Kooperation mit den Schweden soll fortgesetzt werden; für 1923 ist in Riga eine große Grosvalds-Retrospektive in Planung.


Udo Bongartz 

 




 
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