Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Ausstellung von Imants Lancmanis im Lettischen Nationalen Kunstmuseum
02.11.2022


Konzeptioneller Romantizismus zwischen Rosen und Revolution

Stillleben von Lancmanis, 1969, Foto: LNMM

Die meisten, die sich mit Kunst und Kultur Lettlands beschäftigen, kennen den Namen, der eng mit der Restaurierung des Schlosses Rundale (Ruhental) verbunden ist. Lancmanis lernte dieses barocke Anwesen im Stil Versailles in den 60er Jahren kennen. Damals schien es unrettbar baufällig. Unter bolschewistischer Herrschaft waren deutschbaltische Herrensitze nicht gerade populär; aber in der Ära Chruschtschows war es auch nicht verboten, sich um das vom Verfall bedrohte historische Gemäuer zu kümmern. Der Student beschloss, sein Leben der Restaurierung zu widmen. 1976 wurde er Direktor von Rundale. Heute gehört der ehemalige Adelssitz der Familie Biron zu den wichtigsten Kulturstätten der lettischen Republik. Das wäre das Herzensanliegen eines Kunsthistorikers, denkt man sich. Aber Lancmanis, der tatsächlich viele kunsthistorische Bücher über deutschbaltische Herrenhäuser veröffentlichte, hat nicht Kunstgeschichte, sondern Kunst studiert. An der Lettischen Kunstakademie absolvierte er seine Ausbildung in der Abteilung Malerei. Das Lettische Nationale Kunstmuseum in Riga präsentiert in seinem Hauptgebäude (Rozentala Laukums 1) vom 12. November 2022 bis 26. Februar 2023 eine Personalausstellung mit seinen Gemälden. (lnmm.lv)


Lancmanis kam am 29. Juli 1941 in Riga zur Welt, also gerade zu der Zeit, als die Deutschen die Bolschewisten vertrieben hatten, um selbst ein Schreckensregime zu errichten, das wiederum 1944 von der rückkehrenden Roten Armee endgültig besiegt wurde. Als Teenager erlebte er Nikita Chruschtschows Tauwetter-Periode, die Künstlern gewisse Freiheiten ermöglichte. Die lettische Kunstszene entwickelte sich zu einem relativ unabhängigen kreativen Spielraum im Sowjetstaat, sie blieb es auch, als nach der Entmachtung Chruschtschows Leonid Breschnew den Staat neostalinistisch restaurierte. In dieser Zeit absolvierte der Sohn eines Eisenbahners sein Studium an der Lettischen Kunstakademie, das er 1966 mit der Diplomarbeit „Nachtschicht“ abschloss.


Zum Motiv, eine Szene zwischen Hafenarbeitern, hatte ihn ein Aufenthalt in Ventspils inspiriert. Als sich Lancmanis anlässlich einer Ausstellung seiner Bilder in Valmiera daran erinnerte, dachte er an die gegensätzlichen Einflüsse, an denen er sich damals orientierte: „Die Komposition mit Zentralperspektive kam von Leonardo da Vinci, Farbgebung und Darstellung der Details folgte dem Ideal Jan Vermeer van Delft, dessen Gegensätzlichkeit blauer, zitronengelber und rosa Farbtöne mit Cezannes Farbkomplementarität verstärkt wurde, die Körper wurden mit geometrisch scharfen Formbrüchen ausgeführt, die von fernen kubistischen und konstruktivistischen Einflüssen kamen.“  (studija.lv)


Mit anderen Worten: Lancmanis übte noch. Später seien die Formbrüche und die Farbkontraste im Stil Cezannes nach und nach verschwunden, um sich einer harmonischen Farb- und realistischen Formgebung zuzuwenden. Die Jahre als „Schlossherr“ von Rundale ließen ihm dann aber kaum Zeit für die Staffelei. Doch 1987 nahm er Pinsel und Palette wieder in die Hand, orientierte sich an den niederländischen Gemälden des 17. Jahrhunderts, die das herzogliche Schlafzimmer und das Rosenzimmer des Schlosses schmücken. Solche Bilder erforderten seiner Ansicht nach größere Kunstfertigkeit, als sie heutzutage üblich sei. So entstand ein Stillleben, das er „Geschenk für meine Frau nannte“.  


Später suchte er nach Motiven, die seine Kritik am gesellschaftlichen und politischen Zustand seines Landes ins Bild setzten. Das Gemälde „Die sieben Todsünden Lettlands“ bezeichnet er zwar ausdrücklich nicht als politisches Manifest, aber es sei ein trauriger Hinweis auf den Zusammenbruch edler Ideale angesichts der menschlichen Schwächen und Laster. Das wohl wichtigste aller Gebote „Du sollst nicht töten,“ hat der Mensch aus fadenscheinigen Gründen stets missachtet, auch das beschäftigte den Maler in Erinnerung an das Revolutionsgeschehen von 1905, als er während des Irakkriegs am Zyklus „Das fünfte Gebot: Revolution und Krieg“ malte. Lancmanis empfindet eine heftige Abneigung gegen beide todbringende Katastrophen, doch er erkennt auch an, dass Revolutionen notwendig sein können und menschlichen Fortschritt bewirken.


Seine Frau nannte seinen Stil konzeptionellen Romantizismus; diesen Begriff findet Lancmanis sehr passend, um seine Kunst zu bezeichnen. Selbst die Themen Krieg und Gewalt seien nach diesem Konzept gestaltet. Ein Beispiel dafür stellt das Bild „Das Jammern des Schafs“ des genannten Zyklus` dar: Die heitere Farbgestaltung und die perspektivische Anordnung der Figuren und Gegenstände wie auf einem Renaissance-Gemälde erweisen sich angesichts der dargestellten weißen Galgen, Uniformierten und ihrer aufgehängten Opfer hinter der Schäferidylle und vor einer weißblau bewölkten Alpenlandschaft sowie unterhalb von Friedenstaube und Engelserscheinung als faszinierend grotesk.


Die konzeptionelle Romantik zeigt sich allerdings unverblümt-verblümter in seinen Blumen-Stilleben und seiner Landschaftsmalerei; 2019 malte er sich vor der Eiche von Seja, eine der größten und ältesten Eichen des Landes. Die Ausstellung zeigt die verschiedenen Etappen des Malers. Besucher können erstmals die Zyklen zu den Themen Bibel und Eichen betrachten, zudem Porträts, Stillleben und Landschaftsgemälde.  


Udo Bongartz 




 
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