Lettisches Centrum Münster e.V.

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Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 1
11.06.2022


Die Anfänge als Zirkus Salamonski

Historische Abbildung des Zirkus Riga, Foto: https://www.spoki.lv/latvijas-patriots/Rigas-cirks-viens-no-visvecakajiem/111886, Saite

Touristen, die auf der Merkela Straße in der Rigaer Innenstadt unterwegs sind, fragen sich vielleicht, was der merkwürdige Flachbau bezweckt, der sich dort zwischen die hohen Häuser zwängt. Von der anderen Straßenseite bemerkt man, dass er von einer mächtigen Kuppel überwölbt ist. Interessierte können den Bau nicht einfach besichtigen und erkunden. Das Gelände ist mit Bauzäunen versperrt. Seit 2016 ist das denkmalgeschützte Gebäude wegen Baufälligkeit außer Betrieb; es wird gerade aufwändig saniert. Die historische Rundhalle ist ein Zirkus, eine der wenigen festen Zirkusbauten in Europa, der einzige erhaltene im Baltikum. Die Zirkusbetreiber haben eine Menge mit ihrem Haus vor; doch im ersten Teil gehe ich der Frage nach, wie Riga zu einem festen Zirkusbau kam.


Das mittelalterliche Spiel umherziehender Gaukler, die das Volk auf den Marktplätzen amüsierten, hat auch in Riga eine lange Tradition. Die Rigenser ließen sich von solchen Gästen auf vielfältige Weise unterhalten, mit recht unterschiedlichen Darbietungen. Zane Volkinsteine, PR-Beauftragte des Zirkus`, erklärt den Grund: “Riga war die Grenze zwischen West und Ost, so dass den Zuschauern ein vielfältiges Repertoire geboten wurde. An diesem Grenzort kamen unterschiedliche Zirkustraditionen zusammen, schöpferische Experimente, das Ausloten der artistischen Möglichkeiten. Beispielsweise probten legendäre russische Clowns vor der Tournee durch Europa ihre Nummern in Riga, weil das Publikum hinreichend gemischt und westlich genug war, um annähernd die Reaktionen im fernen Europa abzuschätzen, bei Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund.”


In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Riga zu einer der wenigen Industriemetropolen des Zarenreichs, deren Einwohnerzahl sich in ein paar Jahrzehnten auf eine halbe Million Menschen vervielfachte. In ihrer knappen Freizeit wünschten Arbeiter Unterhaltung und Ablenkung von der eintönigen Schufterei in den Werkshallen. Zirkusveranstaltungen waren als Massenspektakel gefragt. Solche fanden zunächst im Wöhrmannpark statt, wo bereits 1864 ein provisorisches Zirkusgebäude aus Holz gebaut wurde.  


Das Rigaer Zirkuswesen ist mit dem Namen Albert Salamonski verbunden. Der Preuße verband seine von den Eltern ererbten Zirkustalente mit der Cleverness eines Unternehmers der Gründerjahre, waghalsig und risikobereit. Er hatte von seinem Vater gelernt, Pferde zu dressieren und sie mit äußerstem Geschick zu reiten. Er vermochte es, auf einem ungesattelten Pferd einen Salto vorzuführen. Salamonski hatte bereits als 30jähriger seine eigene Zirkustruppe. 1873 ließ er in Berlin eine unrentable Markthalle zu einem Zirkus mit 5000 Plätzen umbauen, den er aber schon sechs Jahre später an einen anderen Zirkusunternehmer verkaufte. Später wurde die Stätte an der Spree weiter umgestaltet: Zum Großen Schauspielhaus Max Reinhardts, schließlich zum bedeutenden Vergnügungsort der DDR, dem alten Friedrichsstadt-Palast, der 1980 wegen des unsicheren Fundaments abgerissen wurde.  


Parforcereiter Salamonski drängte es gen Osten. Er ließ Zirkusgebäude in Moskau und Odessa errichten und hatte ein solches auch für Riga vor; er kaufte dafür das Grundstück an der heutigen Merkela Straße. Zunächst aber präsentierte er seine Reiterkunststücke im Hippodrom des Wöhrmannparks. Der Plan, in der baltischen Metropole eine immobile Zirkushalle zu errichten, verzögerte sich von Jahr zu Jahr, zunächst, weil das Geld fehlte, dann, weil die Rigaer Baubehörde gegen die Baupläne des Architekten Karl Johann Felsko Sicherheitsbedenken äußerte und sie nicht genehmigte. Veranstaltungen fanden in einem Provisorium auf der Rückseite des Geländes statt. Salamonski beauftragte Janis Fridrihs Baumanis, den ersten akademisch ausgebildeten Architekten lettischer Herkunft, einen neuen Plan auszuarbeiten. Baumanis entwarf eine Manege für 1700 Zuschauer mit einem Kuppeldach, das aus Eisenbahnschienen geformt wurde. Die Behörde machte abermals Schwierigkeiten. Schließlich trieb ein Berliner Konkurrent zur Eile: Die Libauische Zeitung meldete am 30. März 1888, dass Albert Schumann von der Rigaer Verwaltung zugesichert worden war, ein Zirkusgebäude zu errichten, falls Salamonski auf seine Konzession verzichte: “Der Cirkus Schumann ist vorläufig noch davon abhängig, ob Herr Salamonski die Bauarbeiten rechtzeitig in Angriff nimmt oder seine Koncession im Stiche läßt.” (periodika.lv)


Salamonski konnte also nicht mehr auf die Zustimmung der Baubehörde warten und setzte Baumanis` Pläne ohne Genehmigung ins Werk. Die Bauarbeiter errichteten den Rundbau in wenigen Monaten und er konnte vor Jahresende fertiggestellt werden; Salamonski hatte seine Konzession gerettet. Die Düna-Zeitung berichtete über eine der ersten Veranstaltungen am 28. Dezember 1888:


“Der gestrigen Vorstellung, welche wiederum außerordentlich stark besucht war, wohnte Se. Excellenz, der Herr Livländische Gouverneur längere Zeit bei. Das Publikum folgte dem mannigfachen Programm mit ersichtlichem Interesse, das auch durch manche kleine Unvollkommenheit, die dem nächst verschwinden wird, nicht abgeschwächt wurde. So schienen die 6 jungen Rapphengste noch nicht vollkommen dressirt. Einen besondern hübschen Anblick gewährte die Schulreiterin Frl. Eugenie, die mit einer Eleganz und Schneidigkeit reitet und so fest im Sattel sitzt, daß selbst Leute, die sich für Kenner der Reitkunst ausgeben, darüber ihr Erstaunen äußerten. Alles in Allem, Riga scheint sehr froh zu sein, jetzt endlich einmal einen steinernen Zirkus und Herrn Salamonski als den Direktor desselben zu besitzen.” (periodika.lv)


UB


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