Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 2
17.06.2022


Als die Tiere der Manege Deutsch verstanden

Die italienischen Fratelli-Clowns traten auch in Riga auf, Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14139 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link

Der erste Teil (LP: hier) endete mit einem Zeitungsbericht über die bewunderten Reiterkunststücke des Fräuleins Eugenie alias Jenny Weiß. Der Zirkus war und ist eine Stätte waghalsiger Veranstaltungen; das ist nicht nur ein reißerischer Titel, sondern eine Warnung für ungeübte Nachahmer, die sich leichtfertig inszenieren wollen. Der reichste Kavalier Portugals hatte sich damals vorgenommen, eine von Fräulein Eugeniens Leibesübungen aufzuführen, wie die Düna-Zeitung am 28. November 1891 berichtete: “Der Graf Eduard Romero, der reichste Cavalier Portugals, hatte, wie aus Lissabon gemeldet wird, zwanzigtausend Francs gewettet, daß er die von der bekannten Schulreiterin Jenny Weiß [...] im Cirkus gezeigte Bravourleistung ebenfalls ausführen werde. Diese Leistung verlangt, daß der Reiter sich mit dem Kopfe abwärts hinten überwerfe, während das Pferd auf den Hinterbeinen aufrecht marschirt. Am Freitag wurde in Lissabon die Wette ausgetragen.” (periodika.lv) Es sollte für den Grafen Romero nicht gut ausgehen.


Denn die Düna-Zeitung berichtet weiter: “Das Pferd verlor aber dabei das Gleichgewicht, fiel auf den Rücken, wobei es den Grafen erdrückte und ihm mit dem Sattelknopf den Leib in einer Länge von fünfzehn Centimetern aufriß. Der Graf starb nach eintägiger furchtbarer Agonie.” Das Bestreben, wie Fräulein Eugenie glänzen zu wollen, hatte dem Grafen Romero das Leben gekostet. Ein das Fräulein beratender “Sportsman” hatte den Tipp gegeben, der dem Nachahmer zum Verhängnis wurde: “Der Vorfall wird für unsere Leser ein besonderes Interesse deshalb haben, weil ihnen Fräulein Weiß sicher noch in guter Erinnerung sein dürfte. Sie trat nämlich im Winter 1888/89 im hiesigen Cirkus Salamonski als Fräulein Eugenie auf. Auf einem Schimmelhengste zeigte sie sich unserem Publicum als vollendete Schulreiterin und machte schon hier das Bravourstück, daß sie auf dem Rücken ihres, nur auf den Hinterfüßen gehenden Thieres die Arena durchritt. Einer unserer jüngsten, aber tüchtigsten Sportsmens, gab ihr damals den Rath, die Verwegenheit noch weiter zu steigern und bei dieser Produktion den ganzen Oberkörper nach unten hängen zu lassen. Sie folgte dem Rathe und führte hier das halsbrecherische Kunststück, an dem jetzt der portugiesische Graf zu Grunde gegangen ist, zum ersten Male vor.” Fräulein Eugenie, eine Bankertochter, hatte mehr Glück und eroberte mit ihrer atemberaubenden Reitakrobatik die Männerherzen, so dass ihr der soziale Aufstieg bis in kurländische Adelskreise gelang, der aus dem Fräulein eine Herrin machte: Ein Wohlgeborener aus dem Geschlecht Rahden kürte sie wenige Monate später zu seiner Gemahlin, so dass sie fortan den Titel Baronin führte.


In welcher Sprache hatte Graf Romero sein Pferd kommandiert? War es Deutsch? Inita Saulite-Zandere erinnert in ihrem ausführlichen Beitrag zur Rigaer Zirkusgeschichte daran, dass Zirkustiere in der Regel Deutsch verstanden (jauns.lv). Die zu eine der größten Handelsnationen aufgestiegene Kolonialmacht Deutschland machte nämlich mit dressierten Zirkustieren Geschäfte. Die Sprache der Dressur war Deutsch; Löwen stellten sich damals beim Kommando “Auf!” auf die Hinterpfoten und nicht beim Kommando “Up!” Auch, als Lettland unabhängige Republik geworden war, kamen die Tiere weiterhin aus Deutschland. Die Soldatenzeitung Latvijas Kareivis meldete am 31. Januar 1925: “Am Zirkus Salamonski kamen gestern sechs Waggons mit verschiedenen Tieren an - Tigern, Bären, riesige braune Kröten, Affen und verschiedene Vögel. Die Tiervorstellungen beginnen am Sonntag. Die Tiere sind schon heute Abend zu besichtigen. In diesen Tagen wird sich der bekannte Tierdresseur W. Hagenbeck in Riga einfinden.” (periodika.lv) Der Hamburger Willy Hagenbeck war selbst Zirkusdirektor.


Die Künstlernamen klangen mondän, im Rigaer Zirkus und auf den Wanderbühnen der Provinz hießen die Stars Saleto, Dorando, Lilli oder Rene. Jemand, den Saulite-Zandere als “Ultraarzemnieks”, als Ultraausländer, bezeichnet, nannte sich Miforts Reiems. Statt Hippodrom mal ein Palindrom, denn mit bürgerlichem Namen hieß der Jongleur, vom Nominativ-S abgesehen, rückwärts gelesen umgekehrt: Trofims Meiers; Miforts Reiems klang irgendwie internationaler. Clown Rolando, der in Wirklichkeit Kazimirs Plucs hieß, meinte dazu: “Was blieb uns sonst übrig, wenn wir in einer Welt lebten, in der unübertreffliche Zirkusstars als Italiener, Deutsche oder Engländer angesehen wurden.”


Zane Volkinsteine, PR-Beauftragte des Rigaer Zirkus, weist darauf hin, das die Manege unter dem Kuppeldach ein vielfältiges Programm bot, das nicht von einer Zirkustruppe allein bestritten werden konnte: “In seiner Geschichte hatte der Rigaer Zirkus nie eigene Truppen - stets kamen saisonale und reisende Zirkuskünstler aus aller Welt. So war das Gebäude multifunktional und wurde nicht nur für Zirkusveranstaltungen genutzt, sondern auch für große Versammlungen, Konzerte, Ausstellungen und sonstige kulturelle Ereignisse.”


Nicht nur Männchen machende Tiere bereiteten Vergnügen, die “Luftkönigin” Miss Zampa, kam mit der Dressur des eigenen Körpers aus, um das Publikum zu verzaubern. Die Düna-Zeitung berichtete über sie am 18. Januar 1889: “Vor sehr gut besetztem Hause debutirte die `Luftkönigin` Miß Zampa gestern zum ersten Mal; eine vortheilhafte graziöse Erscheinung verstärkte den angenehmen Eindruck, den die sicher und kühn durchgeführten Produktionen in schwindelnder Höhe auf das Publikum machten; dasselbe applaudirte so lange, bis es vielleicht müder war vom Applaudiren als Miß Zampa von ihren Leistungen; dafür bekamen aber auch die guten Rigenser von der höchsten Höhe ungezählte Kußhände zugeworfen und doch garnicht von Oben herab. Jedenfalls sind die Leistungen der königlichen Miß höchst sehenswerthe und, soviel wir wissen, in Riga bisher noch nicht geboten.” (periodika.lv)


In den 20er Jahren klangen die Zirkus-Attraktionen in den Schlagzeilen der Presse wie die Titel von Hollywood-Filmen. Der Kulturhistoriker Andrejs Johansons hat einige aufgelistet: „Spiel mit dem Tod. Abgerichteter Affe Tarzan. Indische Dschungellöwen. Das Wunder der italienischen Elastizität. Berühmte Springer mit verbundenen Augen. Portugiesische Reiter. Chinesische Truppe. Dressierter Seelöwe.“ Doch auch das Lettische brach sich nun Bahn: Ab den 20er Jahren musste die ersten Nummer im Salamonski-Zirkus Lettisch sein. So leiteten zwei Clowns regelmäßig die Abende ein: Ripsis und Pipsis. Darüber mehr im dritten Teil.


UB 

 

Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 1

Die Anfänge als Zirkus Salamonski

Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 2

Als die Tiere der Manege Deutsch verstanden

Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 3

Die andere Welt im Wöhrmannpark

Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 4

Der Neubeginn.

Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 5

Das Zirkusgelände als spielerische Grenzerfahrung für alle

 




 
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