Rigas Zirkus: Die Stätte waghalsiger Veranstaltungen, einst und in Zukunft, Teil 5
09.07.2022
Das Zirkusgelände als spielerische Grenzerfahrung für alle
Bauarbeiten auf dem Gelände des Rigaer Zirkus`, Foto: UB
“Diesen Moment zu erleben, dass wieder eine Kuppel das Zirkusgebäude bedeckt, ist äußerst bewegend; das ist nicht nur ein physisches, sondern auch ein symbolisches Dach, das dem Zirkusgewerbe Sicherheit gewährt und einen Ort, wo es sich entwickelt,” meinte Zirkusdirektorin Mara Pavula am ersten April, als das Dach, die ungewöhnliche Kuppel, die die Manege bedeckt und die dem Bau sein unverwechselbares Aussehen verleiht, sich wieder im kompletten Zustand befand und die Bauarbeiter das Richtfest feierten. “Auch wenn es so aussieht, dass hier nur ein Gebäude entsteht, so wird in Wahrheit an der Zukunft des Zirkusgewerbes gebaut,” fügte Pavula hinzu (cirks.lv).
Die Bauarbeiter hatten zuvor die alten Kuppelplatten vollständig entfernt, nur das Eisengerüst, das aus Bahnschienen aus der Entstehungszeit besteht, war noch zu sehen. Die Erneuerung der Kuppel ist Teil der ersten Bauphase, die für mehr Energieeffizienz sorgen wird: Wände werden gedämmt, der Boden erhält eine Heizung, die Lüftung wird verbessert. Dafür stellte der EU-Fonds für regionale Entwicklung 2.533.748 Euro bereit, weitere 447.132 Euro, 15 Prozent der Gesamtsumme, werden aus dem lettischen Staatsbudget finanziert. Bis Ende Oktober 2022 soll dieser eineinhalb Jahre dauernde Bauabschnitt abgeschlossen werden, dann ist die Manege wieder für Veranstaltungen nutzbar. Während der Sanierung fanden die Arbeiter alte Zirkusreliquien, zum Beispiel handbemalte Plakate aus der Zwischenkriegszeit; hinter dem heutigen Wandanstrich verbergen sich Ornamente früherer Verzierungen. Das alles wird dokumentiert und aufbewahrt, um es später in einer Ausstellung zu präsentieren.
Im Lauf seines mehr als 130jährigen Bestehens musste der Zirkus ohne gründliche Sanierungsarbeiten auskommen; diese sind nun dringend nötig, wie Architekt Uldis Luksevics erläutert: “Dank des Herrn Albert Salamonski, eines Unternehmers und Zirkusenthusiasten, entstand dieses Gebäude, der einzige Zirkusbau im Baltikum. Aber er war auch Zirkuskünstler und die vorhandenen Bauprinzipien des Gebäudes erinnern an vielen Stellen wirklich sehr an Zirkustricks. Zirkustricks werden mit der Zeit entlarvt und mit ihnen sind die Wartungsarbeiten zur Betriebssicherheit beendet. Unsere Aufgabe ist es, ein Maximum des historischen Erbes zu bewahren.” Doch Luksevics stellt sich auch den Veränderungen, die der Wandel der Zeit erfordert: “Wenn sich die Vorstellungen vom Zirkus in Lettland und in der Welt verändern, muss sich auch das Verständnis der Architektur verändern, welche ihn repräsentiert.” (cirks.lv)
Luksevics und sein Büro NRJA (No Rules Just Architecture) hatten die Ausschreibung der staatlichen GmbH Rigas Cirks vor zwei Jahren gewonnen. Seine Aufgabe ist nicht nur, das Bestehende zu sanieren; er soll in späteren Bauphasen das Gelände umgestalten. An der Rückseite zur Kalnina Straße sind Neubauten geplant: Eine sogenannte Black Box für 300 Zuschauer wird Raum für zusätzliche Veranstaltungen bieten; hinzu kommen eine Unterkunft für gastierende Artisten und eine Zirkusschule. Auf dem Gelände zwischen der Merkela Straße und der Kalnina Straße ist ein öffentlicher Durchgang geplant.
Luksevics sieht sein Vorhaben als stadtplanerisches Projekt; die Zirkusfläche soll als öffentlicher Raum gestaltet werden, das dem Innenstadtviertel Leben einhaucht. Ein hoher Fußgängersteig zur Erkundung der Stadt wird entstehen; zu ihm führen Treppen, auf denen man bequem sitzen kann. “Ein Gebäude muss seiner Funktion entsprechen. Das muss attraktiv sein. Beispielsweise bietet der im Projekt vorgesehene Steg zur Stadterkundung schon von außen ein Zirkusgefühl. Er verschafft die Möglichkeit, auf die Stadt zu schauen und den Zirkus selbst aus anderer Höhe, schon etwas in der Art eines Zirkusartisten. Hier entstehen auch Assoziationen an das in der Kindheit gespielte Spiel `Cirks`. Unserer Ansicht nach ist das spielerische Moment sehr wichtig,” erläutert Luksevics (arterritory.com). Besucher sollen von Ferne erkennen, dass es sich um einen Zirkus handelt. Bislang verbirgt er sich, von der Kalnina Straße aus betrachtet, hinter hässlichen Toren und Mauern. Hier werden komplett neue Fassaden entstehen, ein Informations- und Kartenverkaufsbüro sowie ein gläsernes Vestibül, von dem man sowohl zur alten Manege als auch zur Black Box gelangt. Der Architekt betrachtet sein Stegprojekt als eine Art Lebensader für die Innenstadt: “Je mehr Menschen sich durch die Lebensadern bewegen, desto lebendiger wird das Viertel. Sowohl mit den Stegen als auch mit der gläseren Wand, durch die das Zirkusgeschehen sichtbar wird, als auch mit dem Gebrauch zeitgenössischer Holzkonstruktionen im modernen Städtebau zeigt das Gebäude, wie lebendig das alles ist und zudem, wie sowohl in der Stadt als auch im Gebäude die Menschen die Grenzen ihrer Möglichkeiten ausprobieren können.”
Udo Bongartz
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